StickoxideWie gefährlich ist NO2?

Die gesundheitlichen Folgen von Stickstoffdioxid werden kontrovers diskutiert. Strittig ist vor allem, welche Folgen es hat, wenn Menschen langfristig höheren Werten ausgesetzt sind. Eine europäische Großstudie soll Klarheit bringen.

Autos sind eine Hauptquelle für Luftverschmutzung. Foto: jvb

München. Verkehrsabhängige Schadstoffgemische gefährden besonders Kleinkinder und Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Asthma, COPD, Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen, betont die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) [1]. Hingegen schätzten Experten die Schädigung für gesunde Erwachsene eher als nicht sehr hoch ein.

„Das Problem ist, dass sich niemand den schädlichen Effekten von Abgasen vollständig entziehen kann”, sagt DGP-Präsident Professor Klaus Rabe. „Es liegt deswegen in der Verantwortung der Kommunen, die Luftreinhaltepläne umzusetzen und zu einer besseren Luftqualität in den Ballungsgebieten beizutragen”, kommentiert Rabe das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Es hatte Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge grundsätzlich für zulässig erklärt. Die DGP hält es zusätzlich für sinnvoll, Umweltzonen auszuweiten, Stop-and-go-Verkehr durch eine bessere Verkehrsorganisation zu verhindern sowie den öffentlichen Nahverkehr attraktiver zu machen.

Umweltbundesamt legt neue Studie vor

Denn Studien zeigen, dass insbesondere Feinstaub, aber auch Stickstoffdioxid (NO2) die Gesundheit beeinträchtigen können. So hat das Umweltbundesamt (UBA) mitgeteilt, dass 2014 in Deutschland 6.000 Menschen vorzeitig an Herz-Kreislauf-Erkrankungen starben, die von Stickstoffdioxid ausgelöst werden [2]. Dies soll schon bei geringeren, länger anhaltenden Konzentrationen von zehn Mikrogramm der Fall sein. Die genauen Ergebnisse stellt das UBA erst im März vor, für die Analyse habe es viele wissenschaftliche Untersuchungen zu Krankheiten ausgewertet, die nachgewiesenermaßen mit der NO2-Belastung zusammenhingen.

Unterdessen warnt der Arbeits- und Umweltmediziner Prof. Hans Drexler vor Panikmache. Feinstaub sei ein Killer, schade der Lunge, verursache Herzinfarkte. „Aber NO2 ist kein Vorläufer von Feinstaub. Stickoxide kann man dem Diesel anlasten – Feinstaub nicht”, sagt Drexler.

Derzeit erlaubt die Europäische Union (EU) als Jahresmittel-Grenzwert 40 Mikrogramm NO2. Die bisherigen Grenzwerte basieren aber auf Studien aus Nordamerika und sind daher nur eingeschränkt auf Europa zu übertragen, kritisieren Experten. Zudem ist es immer wieder schwierig, die Effekte von Stickstoffdioxid von denen der anderen verkehrsbedingten Luftschadstoffe zu trennen, schreibt das UBA [3].

Insbesondere Langzeitbelastung von NO2 unklar

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) habe 2013 betont, dass seit 2004 eine Vielzahl epidemiologischer Studien veröffentlicht wurde, die Zusammenhänge zwischen der NO2-Kurzzeitbelastung und der Mortalität, Krankenhausbesuchen und Atemwegssymptomen aufzeigen. Diese Ergebnisse ließen sich durch Kammerversuche bestätigen, so das UBA.

„Die WHO spricht sowohl bei Kurzzeit- als auch Langzeiteffekten von NO2 von ausreichenden Beweisen für eine Kausalität”, schreiben Experten der Unis Düsseldorf und Bielefeld sowie des Helmholtz Zentrums München in einer Stellungnahme zur gesundheitlichen Bewertung von Stickoxiden [4]. Kurzfristige Schwankungen erhöhten die Sterblichkeit und Klinikeinweisungen aufgrund von Atemwegserkrankungen. Ebenso steigere langfristige Exposition die Gesamtmortalität und verschlimmere bestehendes Asthma. Zudem könne die Stickstoffdioxidbelastung mit dem Diabetesrisiko zusammenhängen, für eine Beeinflussung von Herzinsuffizienz, Schlaganfällen und COPD gebe es Hinweise, so die Wissenschaftler.

WHO plädiert für niedrigeren Grenzwert

Würden die Grenzwerte neu festgesetzt, sollten die Kurzzeit-Richtwert für NO2 möglicherweise niedriger als bisher angesetzt werden, empfahl die WHO schon 2013. Zudem müssten gesundheitsrelevante Wirkungen von Stickstoffdioxid ab einer langfristigen durchschnittlichen Exposition von 20 Mikrogramm/Kubikmeter kalkuliert werden. Ein systematischer Review (Studien bis 2014) der US-amerikanische Umweltbehörde EPA zeige, dass eine kurzfristige NO2-Belastung kausal mit Asthmaanfällen zusammenhänge, so das UBA. Bei längerer Belastung sei dies nur „möglicherweise” kausal.

In der EU untersucht die groß angelegte Studie ESCAPE (European Study of Cohorts für Air Pollution Effects), wie Schadstoffe in der Luft sich auf die Gesundheit auswirken. Einbezogen werden 22 europäische Kohorten verschiedener Altersgruppen und zu unterschiedlichen Gesundheitsproblemen, die unter anderem messen, wie sehr die Teilnehmer Feinstaub (PM 10, PM 2,5) und Stickstoffoxiden ausgesetzt sind.

Stickstoffoxide hängen mit Pneumonien und Otitis media zusammen

Für Stickstoffoxide zeige sich ein Zusammenhang mit Pneumonien und Mittelohrentzündungen bei Kindern [5], wurde auf dem DGP-Kongress 2017 berichtet. Nicht signifikante Hinweise gibt es auch dafür, dass das Asthmarisiko bei Kindern zunimmt [6, 7]. Die Lungenfunktion (FEV1, FVC) von Schulkindern war geringfügig erniedrigt sowohl für Feinstaub (PM2,5) als auch für Stickstoffoxide [8]. Es gebe aber keine Hinweise darauf, dass die Exposition in der perinatalen Phase einen langzeitigen Einfluss auf die Lungenfunktion hat, so die DGP [9].

Ebenso konnte die ESCAPE-Studie bisher keine Auswirkungen von Luftschadstoffen auf die Mortalität bei Erwachsenen feststellen [10]. Es steige aber das Risiko für ein Lungenkarzinom durch Luftschadstoffe: So hatten gesunde Erwachsene bei einer erhöhten Feinstaubkonzentration (PM 10) nach knapp 13 Jahren ein um 22 Prozent erhöhtes Risiko. Für Stickstoffdioxid stieg das Risiko nicht [11]. Eine anderer systematischer Review stellte allerdings ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko bei NO2-Exposition fest [12].

Zudem könne ESCAPE belegen, dass Luftschadstoffe die Lungenfunktion langfristig beeinträchtigen, das Ausmaß der Einschränkung sei aber sehr klein. Waren Teilnehmer langfristig Luftschadstoffen ausgesetzt, litten sie nicht häufiger an Symptomen der chronischen Bronchitis, Husten oder Auswurf. Lediglich für Frauen und teils für Nie-Raucher waren die Risiken teilweise statistisch signifikant erhöht [13]. So war das Risiko für Auswurf bei Nie-Rauchern mit Bezug auf Feinstaub (PM10-2,5) erhöht. Auch für die Inzidenz von Asthma zeigte sich nur für PM10–2,5 eine statistisch signifikante Risikoerhöhung [14].

Häufiger Hypertonien

Darüber hinaus könnte Luftverschmutzung sich auch auf das Herz-Kreislauf-System auswirken: So erkranken Anwohner, die hoher Luftverschmutzung ausgesetzt sind, häufiger an Bluthochdruck. Wissenschaftler der Uni Düsseldorf fanden, dass pro fünf Mikrogramm/Kubikmeter Feinstaub (PM 2,5) das Risiko der Entwicklung eines Bluthochdrucks um 22 Prozent zunahm [15].

Die Ergebnisse erhärten insgesamt den Verdacht, dass die Partikel auch unterhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte gesundheitsschädlich sind, schlussfolgert die DGP aus den diversen ESCAPE-Daten [9]. Vor allem die Langzeitbeurteilung von Stickstoffdioxiden ist unklar, hält das Umweltbundesamt fest. Festzuhalten bleibe, „dass gesundheitsschädliche Wirkungen von Luftschadstoffen aus dem Straßenverkehr unstrittig nachgewiesen sind, ob nun durch NO2 allein verursacht oder zusätzlich durch andere Luftschadstoffe” [3].

Quelle:

  • 1. Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Lungenärzte begrüßen Gerichtsurteil. 27.2.2018
  • 2. Studie belegt Folgen von Disel-Abgasen. Der Hausarzt online 22.2.2018: http://derhausarzt.eu/nachrichten/2018/fahrverbot_gesundheit_9087.php
  • 3. Stickstoffdioxid-Belastung: Hintergrund zu EU-Grenzwerten für NO2. 20.2.2018. https://www.umweltbundesamt.de/themen/stickstoffdioxid-belastung-hintergrund-zu-eu
  • 4. Hoffman B, Schneider A, Hornberg C. Kurz-Stellungnahme: Gesundheitliche Bewertung von NOx-Emmissionen aus Dieselfahrzeugen. 30.6.2017. Online: http://www.uniklinik-duesseldorf.de/presse/archiv/2017/juni-2017/detailansicht-juni-2017/article/widerspruch-aus-wissenschaftlicher-sicht-gesundheitliche-belastung-durch-dieselabgase-belegt/?tx_ttnews%5BbackPid%5D=106811&cHash=f321c3e419beb15e448a07ee453dc2c2, zuletzt abgerufen am 1.3.2018
  • 5. MacIntyre EA et al. Environ Health Perspect. 2014;122:107-113
  • 6. Mölter A et al. ERJ 2015;45(3):610-624
  • 7. Heinrich J et al. Geoinfor Geostat: An Overview 2016, 4:4
  • 8. Gehring U et al. Environ Health Perspect. 2013;121(11-12):1357-1364
  • 9. Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Feinstaubalarm: Wie gefährlich ist die Stuttgarter Stadtluft? 22.3.2017
  • 10. Dimakopoulou K et al. AJRCCM 2014;189(6):684-696
  • 11. Raaschou-Nielsen O et al. Lancet Oncol 2013;14:813-822
  • 12. Hamra GB et al. Environ Health Perspect. 2015 Nov;123(11):1107-12
  • 13. Cai Y et al. Thorax 2014;69:1005-1014
  • 14. Jacquemin B et al. Environ Health Perspect. 2015;123(6):613-621
  • 15. Fuks KB et al. Long-term exposure to ambient air pollution and traffic noise and incident hypertension in seven cohorts of the European study of cohorts for air pollution effects (ESCAPE). European Heart Journal. doi:10.1093/eurheartj/ehw413
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