Praxis WissenAuf Achterbahnfahrt zur Selbstzerstörung

Selbstbewusst, sexy und schmerzlos: Mit Crystal Meth werden Mauerblümchen zu Partylöwen – bis die Droge sie plötzlich mit in die Tiefe reißt. Wie erkennen Hausärzte Süchtige und wie können sie helfen? Die erste S3-Leitlinie trägt das weltweite Wissen für alle an der Behandlung Beteiligten zusammen.

Der Konsum von Methamphetamin auch Crystal Meth, Kristal, Ice oder C genannt, hat sich seit 2009 rasant über Deutschland ausgebreitet. Besonders betroffen sind Sachsen und Orte nahe der Grenze zur Tschechischen Republik, wo die synthetische Droge billig hergestellt wird. "Wir wissen, dass Crystal Meth eine sehr problematische, wenn nicht die problematischste Stimulanz ist", sagt Prof. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank von der LVR-Klinik Köln bei der Vorstellung der weltweit ersten S3-Leitlinie "Methamphetamin-bezogene Störungen" Anfang Dezember in Berlin. Denn Crystel Meth macht sehr schnell abhängig, es zerstört den Körper und verursacht im Gehirn irreparable Schaden. Während Drogen schwerpunktmäßig in Großstädten konsumiert werden, ist Crystal Meth vor allem ein ländliches und mittelstädtisches Phänomen. Auch sind die Konsumenten in allen Gesellschaftsschichten und Berufen zu finden und lassen sich unterteilen in Konsumenten:

  • im Freizeitbereich
  • in Schule und Ausbildung
  • im Beruf
  • im Kontext der Elternschaft
  • mit psychischer Komorbidität/ Traumaerfahrungen
  • spezieller Sex-zentrierte Szenen
  • mit exzessiven Konsummustern/wahllosem Mischkonsum
  • im Strafvollzug.

Die hohe Verfügbarkeit, der geringe Preis und die leichte Zugänglichkeit tragen ebenso zu ihrer schnellen Verbreitung bei wie die Unkenntnis über das Suchtpotential der Droge sowie ihr Wirkprofil, das sich nahtlos in die Bedürfnisse einer Leistungsgesellschaft und der ländlichen Party-Szene einfügt. Crystal Meth macht wach und euphorisch. Tagelang kann tagsüber hellwach gearbeitet und nachts gefeiert werden. Auf Partys wird die Droge oft eingesetzt, um die Müdigkeit übermaßigen Alkoholkonsums zu überwinden und wieder fit zu werden.

Häufige Symptome

Crystal Meth senkt das Schlafbedürfnis, Hungergefühl und auch die Angst vor Zurückweisung. Aus Mauerblümchen werden Partylöwen. Die Konsumenten fühlen sich plötzlich selbstbewusst, sind kontaktfreudig, distanzlos und sexuell enthemmt. Reduziertes Urteilsvermögen und Kritikminderung fördern oft ein riskantes Verhalten, das zu erheblicher Selbstschädigung führen kann. Ungewollte Schwangerschaften und die Verbreitung von sexuell übertragbaren Erkrankungen sind oft die Folge enthemmter Partys. Die als positiv erlebten Effekte der Droge sind häufig nicht stabil und können plötzlich unkontrollierbar umschlagen in Angespanntheit, Reizbarkeit, Aggressivität, Ängste und ungerichtete Impulsivität. Hyperaktivität, Logorrhoe, Grimassieren und Zähneknirschen können ebenso auftreten wie stundenlanges stereotypes Verhalten.

Da häufig das Zeitempfinden gestört und die Schmerzwahrnehmung reduziert ist, überschätzen Konsumenten ihre körperliche Leitungsfähigkeit und es kommt – etwa durch exzessives Tanzen – zum körperlichen Zusammenbruch. Darüber hinaus sind schwere Intoxikationszeichen wie Agitiertheit, massive psychomotorische Unruhe, Stimmungsschwankungen, psychotisches Erleben mit Halluzinationen und paranoiden Wahnvorstellungen sowie Paniksyndromen nicht selten. Gemeinsam ist den Konsumenten, dass sie die positiv erlebten Wirkungen losgelöst vom hohen Suchtpotential und der Toleranzentwicklung von Crystal Meth sehen. Insbesondere das Rauchen der Droge und der i.v. Konsum führen nach Gouzoulis-Mayfrank zu einem sich rasch steigernden Konsum und zur Abhängigkeit. „Am Anfang des Drogenkonsums fühlt man sich fit und sexy. Später kontrolliert Crystal Meth das Leben“, sagt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marlene Mortler. „Bei Crystal Meth-Abhängigen kommen wir mit den normalen Beratungsstrukturen nicht weiter“, berichtet Dipl.-Psych. Manuela Schulze, Leiterin der Suchthilfeeinrichtung „Tannenhof Berlin-Brandenburg“. Da Crystal Meth in vielen Bereichen eine Sonderstellung einnimmt und zu anderen illegalen Drogen praktisch relevante Unterschiede bestehen, sei die Leitlinie so wichtig, sagte Gouzoulis-Mayfrank. „Sie richtet sich an alle Berufsgruppen in der ambulanten und stationären Suchthilfe, an Ärzte, an ärztliche und psychologische Psychotherapeuten, an Mitarbeiter in Bereich Nachsorge und Rehabilitation sowie an Selbsthilfegruppeng, so Dr. Josef Mischo, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Sucht und Drogen der BAK.

135 Handlungsempfehlungen

Die S3-Leitlinie soll mehr Handlungssicherheit im Umgang mit akut intoxikierten oder abhangigen Personen geben. Das Bundesministerium für Gesundheit hat die BAK bei der Erstellung unterstutzt. Unter Federfuhrung der DGPPN hat das Arztliche Zentrum fur Qualitat in der Medizin mit einem interdisziplinar besetzen Expertenpanel die Leitlinie erarbeitet.

Sie enthält 135 Handlungsempfehlungen. Daruber hinaus finden Hausarzte sehr fundierte, wissenschaftlich abgesicherte Informationen rund um die Droge. Wie geht es weiter, wenn ich als Hausarzt den Verdacht auf missbrauchlichen Konsum habe? Was kann ich als Hausarzt leisten, wo sollte ich delegieren, wohin den Suchtigen weiterleiten? Bei all diesen Fragen hilft die Leitlinie.

Hinweise auf Crystal Meth

An erster Stelle steht die Aufmerksamkeit des Hausarztes, der seine Patienten oft lange kennt und daher Veränderungen des Patienten als erster wahrnehmen kann. "Methamphetamin- Intoxikation oder Entzugserscheinungen komplizieren somatische Behandlungen oder sind ursachlich, aber nicht benannte Grunde für die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe", heißt es in der Leitlinie auf Seite 31. Erste Hinweise auf Crystal Meth-Konsum können sein:

  • Verschlechterung der Haut bis hin zu Akne und Exzemen

  • deutliche Verschlechterung der Zähne

  • schnelles Abnehmen nach bisher gescheiterten Abnehmversuchen

  • beschleunigter Herzschlag mit erhöhtem Blutdruck

  • erhöhte Muskelanspannung

  • Hyperaktivität und hektisches Verhalten

  • unkoordinierter Gang

  • Pupillenerweiterung

  • perforierte Nasenscheidewand

Für die typischen Anzeichen von Crystal Meth-Konsum sollte nach Leitlinie nicht nur der Arzt, sondern das ganze Behandlungsteam sensibilisiert sein. Weiter empfiehlt die Elitlinie, im Erstkontaktsetting zu versuchen, den Konsumierenden dazu zu motivieren, die Hilfe von suchtspezifischen Einrichtungen in Anspruch zu nehmen. Bewährt hat sich hier, neben der Aufklärung über die Gefahren der Substanz, dem Patienten Adressen von erreichbaren Suchtberatungsstellen mitzugeben. Parallel sollten Hausärzte den somatischen Zustand des Patienten erheben und die Grundversorgung sichern. Konsumenten, die von sich aus Hilfe suchen, sollen in das Suchthilfesystem vermittelt werden und dort innerhalb eines Tages einen Beratungstermin erhalten.

Abstinenz ist nicht immer das Ziel

Bei der Planung der Behandlung sollen laut Leitlinie die Therapieziele des Patienten berücksichtigt werden. Denn nicht alle Süchtigen streben eine dauerhafte Abstinenz an. Oft wird ein kontrollierter Konsum gewünscht. Doch auch von denjenigen, die dauerhaft abstinent sein möchten, erleiden die meisten einen Rückfall. Die Interventionsziele lassen sich daher untergliedern in:

  • Überlebenssicherung
  • Gesundheitsförderung
  • Soziale Sicherung
  • Stabilisierung abstinenter Phasen
  • Akzeptanz der Abhängigkeit
  • Akzeptanz der Therapienotwendigkeit
  • Abstinenz
  • Konstruktiver Umgang mit Rückfällen
  • Berufliche und soziale Integration

Welche Unterstützungs- und Therapieangebote in welcher Interventionsphase sinnvoll sind, listet die Leitlinie unter Punkt 2.3.2 tabellarisch auf und bietet damit einen guten, schnellen Überblick für alle Beteiligten. Ein besonderes Augenmerk gilt Crystal Meth konsumierenden Frauen im gebärfähigen Alter, da immer mehr Crystal Meth abhängige Säuglinge zur Welt kommen. Konsumierenden Frauen sollten laut Leitlinie regelmäßig Schwangerschaftstests angeboten werden, da viele eine Schwangerschaft aufgrund unregelmäßiger Menstruation und einem gestörten Körpergefühl nicht bemerken. Der Methamphetamin-Entzug erfolgt in der Regel stationär. Damit Hausärzte Konsumenten beraten, informieren und ein dauerhaft vertrauensvolles Verhältnis aufbauen können, benötigen sie Informationen, wie und wo eine Behandlung weiter erfolgt und welche Hilfsangebote zur Verfügung stehen. Hier unterstützt die Leitlinie den Hausarzt fundiert mit Informationen von Suchtmittelenzug bis zu psychotherapeutischen Interventionen. Am Ende greift die Leitlinie den wichtigen ungewöhnlichen Bereich „Schadensminderung“ auf. „Das Ziel besteht darin, das Ausmaß möglicher gesundheitlicher und psychischer Schäden durch den Methamphetamin- Konsum zu begrenzen“, steht auf Seite 149. Sie richtet sich an Konsumierende, die ihren Konsum nicht dauerhaft beenden wollen oder können. Mit Beratung und Informationsmaterial kann ein Hausarzt süchtigen Patienten helfen, besonders gefährliches oder suchtförderndes Verhalten zu vermeiden.

Fazit

  • Crystal Meth wird inzwischen deutschlandweit konsumiert. Die Droge macht sehr schnell abhängig.
  • Fallen Häusarzten erste Anzeichen für einen Konsum bei Patienten auf, sollten sie sie über die Gefahr der Droge aufklären und zu einer Beratung in einer spezialisierten Einrichtung motivieren.
  • Häufig ist eher ein kontrollierter Konsum statt völlige Abstinenz das Therapieziel
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