Berlin. Die neue Ersteinschätzungs-Richtlinie kann nicht wie geplant im Juni 2024 in Kraft treten. Denn das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat den entsprechenden Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vom 6. Juli in einigen Punkten beanstandet, womit das Wirksamwerden gestoppt wird.
Das entsprechende Schreiben vom 12. September wurde nun bekannt. Innerhalb von vier Wochen kann dagegen Klage eingereicht werden, was der G-BA aktuell prüft, wie aus Berliner Kreisen zu hören ist.
Vertragspraxen wieder außen vor?
Für Hausärztinnen und Hausärzte ist der nun einkassierte G-BA-Beschluss insofern relevant, als dass dieser die Vertragsärztinnen und -ärzte explizit wieder in die Notfallversorgung bei Versicherten, die eine Klinikambulanz aufsuchen, eingebunden hätte. Der geplanten Richtlinie zufolge hätte in den Ambulanzen eine Unterscheidung in Dringlichkeitsstufe 1 und 2 stattfinden sollen:
Wer sofort behandelt werden muss, wäre an oder in der Klinik behandelt werden (Stufe 1). Alle anderen Fälle hätten in die vertragsärztliche Versorgung übermittelt werden sollen (Stufe 2) – so der Plan des G-BA. Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband hatte den G-BA-Beschluss befürwortet, da er „Struktur ins Chaos“ bringe, das mit kurzfristigen Änderungen am Pflegeentlastungsgesetz (PUEG) entstanden war. Diese “Nacht- und Nebelaktion” des Gesetzgebers hatte der Verband damals scharf kritisiert.
Ministerium kritisiert sieben Punkte
Insgesamt sieben Punkte hat das Ministerium an der Ersteinschätzungs-Richtlinie auszusetzen. So bemängelt es, dass der G-BA bis Juni 2024 dem Klinikpersonal keine konkreten Kriterien für die Ersteinschätzung vorgibt. Es gebe bisher keine richtlinienkonformen Instrumente für die Einstufung in Dringlichkeitsgruppen. Dies gefährde die Patientensicherheit erheblich, so das BMG.
Der G-BA hatte dies bewusst weich formuliert, um Kliniken Spielraum bei der Umsetzung zu lassen und Verfahren im Probebetrieb zu testen. Er hatte in der Richtlinie daher etwa auch zur nötigen Qualifizierung des Personals Übergangszeiträume benannt.
Richtlinie nicht für Rettungsdienst
Zweitens kritisiert das Ministerium, dass die Ersteinschätzung keine Versicherten umfassen darf, die der Rettungsdienst in Kliniken bringt. Die Richtlinie dürfe sich nur auf Versicherte beziehen, die selbst Kliniken kontaktieren oder aufsuchen.
Ebenso dürfe nicht vorgeschrieben werden, dass Versicherte der Dringlichkeitsstufe 1 auch an der Klinik angeschlossene MVZ weiterzuleiten sind. Dies widerspreche den Änderungen im PUEG. Genauso wenig sei es erlaubt, dass Menschen mit Dringlichkeitsstufe 1 an Notdienstpraxen verwiesen werden, die „innerhalb eines vertretbaren Zeitraumes öffnen“ werden.
Auch müssten Kliniken die ärztliche Prüfung der Ersteinschätzung abrechnen dürfen, andernfalls könnten sich Kliniken finanziell gezwungen sehen, Hilfesuchende womöglich abzuweisen, die sich selbst als sofort behandlungsbedürftig einschätzen.
Darüber hinaus sei es nicht zulässig, dass der G-BA Vorgaben zur Errichtung zentraler Notaufnahmen an Kliniken mache. Dies sei den Kliniken freigestellt.
BMG stärkt Krankenhäuser
Die Ersteinschätzungs-Richtlinie hatte der G-BA damals mit den Stimmen von Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und GKV-Spitzenverband – und gegen die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) – beschlossen. Die Klinikvertretung wendete sich vor allem gegen die neue Definition eines Notfalls als „Behandlungsbedarf innerhalb von 24 Stunden“.
Sie pochte darauf, dass das PUEG vorgebe, dass Krankenhäuser Versicherte nur weiterleiten dürften, wenn eine vertragsärztliche Notfalleinrichtung in unmittelbarer Nähe geöffnet habe. Das Ministerium hat nun mit einigen Punkten in der Beanstandung die Seite der Kliniken gestützt.
Die KBV wertet die Einschätzung des BMG als „Misstrauen gegenüber dem G-BA“, sagte KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister am Freitag (15.9.) vor der Vertreterversammlung in Berlin. Es entstehe der Eindruck, dass politisch keine Steuerung gewünscht sei, sondern ein „ungebremster Zugang in die stationäre Versorgung“. „Es stellt darüber hinaus teilweise schon lange praktiziertes Vorgehen in Notaufnahmen in Frage, etwa die Weiterleitung in die vertragsärztliche Versorgung!“, sagte Hofmeister weiter.