Praxis-SoftwareLeichter zum PVS-Wechsel?

Seit diesem Monat gibt es eine neue standardisierte Archiv- und Wechselschnittstelle. Ihr Ziel: Praxen den Umstieg auf ein neues Praxisverwaltungssystem (PVS) zu erleichtern. Doch der genaue Blick dämpft die Erwartungen – nicht zuletzt, weil die Wirkung im Praxisalltag wohl noch Geduld braucht.

Ein von vielen Hausärztinnen und Hausärzten oft kritisiertes Ärgernis soll jetzt der Vergangenheit angehören. Denn mit der zum 6. Juni eingeführten standardisierten Archiv- und Wechselschnittstelle für Praxisverwaltungssysteme (PVS) sollen Praxen leichter den Anbieter wechseln können. Zudem wird die Archivierung von Patientendaten unabhängig vom PVS möglich. Die neue Schnittstelle ist für alle Software-Unternehmen verpflichtend.

Bisher war ein Wechsel wegen fehlender oder unzureichender Konvertierungsstellen häufig aufwändig und teuer, wenn auch nicht unmöglich gewesen. Laut Bundesverband der Gesundheits-IT (BVITG) wechseln jährlich etwa 5000 Praxen pro Jahr ihr PVS.

Ob es mit der neuen Archiv- und Wechselschnittstelle (AWST) mehr werden, wird sich nun zeigen, und auch, ob sich Erwartungen an purzelnde Preise und einen neuen Wettbewerb auf dem Markt der PVS erfüllen. Denn die Schnittstelle ist zwar jetzt verbindlich, die Implementierung bei den allermeisten Herstellern aber noch nicht abgeschlossen.

Laut Liste der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) war bis 1. Juni erst in zwei PVS die Archiv- und Wechselschnittstelle integriert; weitere 34 Systeme befanden sich laut KBV-Pressesprecher Dr. Roland Stahl in der Zertifizierung. Insgesamt erwarte die KBV circa 120 Produkte, die die neue AWST integrieren werden.

Tipp: Alle PVS, die die Schnittstelle bereits eingeführt haben, sind in der laufend aktualisierten Zulassungsliste der KBV aufgeführt: www.hausarzt.link/wHTek – in der vorletzten Spalte ist jeweils ein Kreuz gesetzt, sofern die Schnittstelle bereits vorhanden ist.

Implementierung in der Praxis dauert an

Die KBV hatte die AWST gemäß gesetzlicher Vorgaben (Paragraf 371 Abs. 1 SGB V) definiert und zum Juni 2019 in das Verzeichnis für informationstechnische Standards im Gesundheitswesen (vesta) der Gematik eingetragen, das sogenannte Interoperabilitätsverzeichnis. Aus diesem Termin ergab sich der Stichtag 6. Juni 2021.

Die Implementierung in der Praxis benötigt jedoch weitere Zeit – aus mehreren Gründen. Erstens sind mit der neuen Schnittstelle die Anforderungen an die Software-Entwickler stark gestiegen, da sie auf dem bisher noch nicht flächendeckend eingesetzten FHIR-Standard basieren.

“Nicht alle Hersteller können diese im definierten Umfang im vorgegebenen Zeitrahmen vollständig umsetzen”, sagt KBV-Sprecher Stahl. Deshalb fordere die KBV “von den Herstellern initial nur wenige verpflichtende Profile umzusetzen”. Sukzessive erfolge dann eine Erweiterung dieser verpflichtenden Profile. “Bis zur vollständigen Umsetzung der Profile durch die Hersteller unterstützt die Schnittstelle die Praxen daher beim Wechseln und Archivieren.”

Tipp: Unabhängig von der Einführung der AWST ist ein Wechsel des PVS weiter möglich. “Er funktioniert dann über die bisher genutzten Schnittstellen”, sagt Sebastian Zilch, Geschäftsführer des BVITG.

Firmen bemängeln “fehlerhaftes Setting”

Dass es mit der Integration so schnell nicht geht, dürfte auch daran liegen, “dass die Anbieter die Anforderungen der ersten Variante technisch aufgrund eines fehlerhaften Settings schlicht nicht erfüllen konnten”, sagt Sebastian Zilch. Die KBV eröffnete auch deshalb im Oktober eine zweite sogenannte Kommentierungsrunde, bei der die Software-Firmen ihre Anmerkungen zur Schnittstelle übermitteln konnten.

Die wesentlichen Kritikpunkte seien nach der ersten Kommentierungsrunde nicht verbessert worden, sagt Zilch. “Für die zweite Variante wurden unsere Kommentierungen berücksichtigt. Noch läuft nicht immer alles optimal, aber diese Variante ist zumindest weitgehend umsetzbar.”

Ausgenommen von der Integrationspflicht sind Individualsoftware sowie Systeme, die nicht primär zur Speicherung von Patientendaten eingesetzt werden. Diese Systeme zeichneten sich “dadurch aus, dass der Hersteller gleichzeitig auch der Nutzer der Software ist beziehungsweise es sich um eine Speziallösung handelt.

Hierdurch ist immer ein Wechseln und Archivieren ohne Probleme und Abhängigkeiten möglich”, erläutert KBV-Sprecher Stahl. Gleichwohl könnten diese Systeme auch die Vorgaben umsetzen.

200 PVS sind auf dem Markt

Doch warum überhaupt das PVS wechseln? An die 30 Jahre ist es her, dass mit Einführung der elektronischen Versichertenkarte in praktisch jeder Hausarztpraxis ein Praxisverwaltungssystem installiert worden ist. Heute ist ein Praxisalltag ohne IT undenkbar und PVS haben sich von der einfachen Lösung für Formulardruck und Abrechnung hin zum komplexen Programm für Dokumentation, Praxisablauf und Controlling entwickelt.

Stand Mai waren fast 200 von der KBV zertifizierte Systeme auf dem Markt, vom Ein-Funktion-System für Spezialanwendungen wie die Blankoformularbedruckung bis hin zum Voll-PVS.

Weil die Systeme modular aufgebaut sind, kann ein Wechsel nicht nur aus Kostengründen attraktiv, sondern wegen der unterschiedlichen Inhalte manchmal sogar notwendig sein. Auch die fortschreitende Digitalisierung des Gesundheitswesens könnte den Wechsel des PVS künftig interessanter machen, wenn Software-Entwickler unterschiedlich rasch, kostenintensiv und bedienerfreundlich auf technische Entwicklungen reagieren.

Tipp: Vor jedem Wechsel lohnt sich ein genauer Vergleich, welche Module das PVS enthält und welche optional hinzugekauft werden können.

Seit Jahresbeginn sind Praxen übrigens schon nicht mehr an ihr PVS gebunden, wenn es um die Verordnung von Arzneien geht. Dafür wurde bereits zum 1. Januar die sogenannte Verordnungsschnittstelle eingeführt (“Der Hausarzt” 8/21).

Internationaler Standard muss erst “gelernt” werden

Im praktischen Arbeitsalltag ändert sich für Hausärzte mit der neuen AWST nichts, sie wird erst beim Anbieterwechsel relevant. Offene, standardisierte Software-Schnittstellen sind die entscheidende Voraussetzung für den reibungslosen und schnellen Datenaustausch und -transfer.

Ihn einfacher zu gestalten ist nicht nur eine Serviceleistung für Ärzte, sondern wichtiger Baustein der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Auch die Europäische Union formuliert hier im Rahmen der europäischen Digitalisierungsstrategie Vorschriften und Anforderungen.

Um den einfachen Wechsel zu garantieren, basiert die neue Schnittstelle auf dem internationalen, sektorenübergreifenden und offenen technischen Standard HL7 FHIR. Ein Standard, den die PVS-Hersteller dem Vernehmen nach bisher wenig genutzt haben und erst implementieren mussten.

FHIR steht für Fast Healthcare Interoperability Resources und definiert Kommunikationswege für den Datenaustausch. Das 2014 erstmals definierte Framework soll besser als bisherige Standards funktionieren, weil die Implementierungsleitfäden wie zum Beispiel die neue Archiv- und Wechselschnittstelle ein integraler Bestandteil dieses Frameworks sind.

FHIR liefert “Baukasten-Prinzip”

“FHIR ist ein Baukasten, der es Software- Entwicklern erlaubt, schnell Interoperabilitätslösungen zu schaffen, da die einzelnen Bausteine wiederverwendbar sind und das FHIR-Framework mit vielen fertigen Code-Bibliotheken und -Beispielen und einer sehr aktiven Community unterstützt”, erläutert Simone Heckmann, Geschäftsführerin der gefyra GmbH in Münster. “Damit existieren Lösungen, die es vorher nicht gab.” Gefyra unterstützt als Dienstleiter bei der Anwendung von FHIR.

Welche Lösungen man mit FHIR aber schaffe und inwieweit diese den Ärzten nutzten, “dies obliegt den zuständigen Organisationen wie Gematik und KBV, die basierend auf FHIR Spezifikationen zur Umsetzung von E-Rezept, E-AU, Archiv- und Wechselschnittstelle, elektronischem Impfpass, Mutterpass und Ähnlichem erstellen”, sagt Heckmann.

Manko im Alltag: PVS-Wechsel dauert weiter bis zu 24 Stunden

Der BVITG kritisiert, dass die internationale FHIR-Community bei der Fehleranalyse und -behebung nicht mit einbezogen werde. Diese zu nutzen sei aber hilfreich und notwendig bei der Nutzung des Standards. Zudem funktioniere im Augenblick noch die Übertragung von Bilddateien nicht. “Aktuell dauert nach unserer Einschätzung ein PVS-Wechsel weiter bis zu 24 Stunden am Stück”, sagt Sebastian Zilch.

Auch eine Preisspirale nach unten erwartet der Geschäftsführer des BVITG nicht. “Die gesetzlichen Anforderungen an PVS steigen, immer neue Module sind verpflichtend – egal, ob der Arzt sie nutzt oder nicht. Deren Bereitstellung und Wartung sind nicht umsonst.”

Wichtig zu wissen: Die KBV gibt zwar den Standard für die Praxissoftware vor und zertifiziert sie. Sie hat mit ihrer Zertifizierung aber auf die inhaltliche Ausgestaltung, die Preisgestaltung und die Geschäftsbedingungen der Software-Anbieter keinen Einfluss.

Tipp: Ein günstiges Angebot klingt zunächst attraktiv. Vor einem Wechsel sollte aber geprüft werden, welche Module das Basispaket des neuen PVS-Anbieters umfasst und welche individuell hinzugekauft werden können. Nicht jedes günstige Angebot hält dieser Analyse stand.

Auch künftig bleibt es beim Kauf eines neuen PVS nicht bei einmaligen Anschaffungskosten. Für den laufenden Betrieb sind monatlich Zahlungen fällig. Als Richtwert gilt, dass der Kaufpreis innerhalb von 18 Monaten noch einmal für die Wartung bezahlt wird. •

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