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Urteil BundesarbeitsgerichtEmpfehlung: Arbeitszeit ab sofort erfassen!

Das Bundesarbeitsgericht ist dem Europäischen Gerichtshof gefolgt. Arbeitgeber müssen dafür sorgen, dass die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter erfasst wird. Das gilt auch für Praxen.

Die Stundenzettel sollten in der Personalakte aufbewahrt werden.

Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte müssen ab sofort die tägliche Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter erfassen und aufzeichnen. Das empfiehlt Johannes Kalläne. Der Fachanwalt für Medizinrecht und Gründungspartner der Hamburger Kanzlei „medlegal“, betont, dass es nicht ausreicht, ein System nur einzuführen: „Es muss tatsächlich genutzt werden und auch die Arbeitszeit der angestellten Ärztinnen und Ärzten erfassen.“

Hintergrund ist ein branchenübergreifend geltendes Urteil des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) vom 13. September 2022 und deren Begründung, die seit Anfang Dezember 2022 vorliegt.

Das Bundesarbeitsgericht hatte sich auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Mai 2019 bezogen. Der EuGH hatte seinerzeit eine europaweite Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bestätigt und dies mit dem Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer begründet.

Bundesgericht kommt dem Gesetzgeber zuvor

Nach EU-Recht muss das betriebliche System zur Erfassung „objektiv, verlässlich und zugänglich“ sein. Der deutsche Gesetzgeber aber blieb bislang untätig und hat das EuGH-Urteil nicht in nationales Recht überführt.

Jetzt kommen die Richterinnen und Richter des BAG dem zuvor: „Da Urteile des Bundesarbeitsgerichts das bestehende Recht konkretisieren, sind sie wie gesetzgeberische Entscheidungen einzustufen, sodass die Arbeitgeber leider sofort reagieren müssen,“ sagt Johannes Kalläne. Das heißt: Alle Arbeitgeber tragen bereits jetzt die Verantwortung – unabhängig von der Branche und der Betriebsgröße.

Kein Zwang zur elektronischen Erfassung

Welche Lösungen lassen sich in Arztpraxen schnell, ohne viel Aufwand und dennoch rechtssicher umsetzen? Es ist zu erwarten, so Kalläne, dass viele Softwarehersteller aktiv werden und den Arztpraxen digitale Lösungen anbieten werden.

Diese Angebote anzunehmen, sei jedoch nicht nötig. Denn die jetzt vorliegende Begründung des BAG-Urteils gibt nicht vor, in welcher Form die Arbeitszeit dokumentiert werden muss. Darin heißt es: „Die Arbeitszeiterfassung muss nicht ausnahmslos und zwingend elektronisch erfolgen.“ Vielmehr können – je nach Tätigkeit und Unternehmen – „Aufzeichnungen in Papierform“ genügen.

Ein einfacher Stundenzettel reicht aus

Der Hamburger Fachanwalt empfiehlt den Praxisinhabern daher, ihren Spielraum zu nutzen und ein einfaches, leicht umsetzbares Vorgehen auszuwählen: „Sie müssen keine Stechuhr am Praxiseingang installieren. Ein handgeschriebener Stundenzettel, der Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit sowie die Ruhepausen jedes Mitarbeiters erfasst und von Arbeitgeber und Mitarbeiter bestätigt wird, reicht aus.“

Diese Stundenzettel müssen dann sorgfältig in der Personalakte aufbewahrt werden. Da mit einer baldigen Regelung durch den Gesetzgeber zu rechnen ist, so Kalläne weiter, „würde ich aktuell noch kein weitergehendes – womöglich elektronisches – System einführen, zumal nicht klar ist, wie diese Regelung aussehen wird.“

Ableitung aus dem Arbeitsschutz

EuGH und jetzt das BAG zielen mit ihren Vorgaben darauf ab, die Beschäftigten vor allem vor belastenden Überstunden zu schützen. Rund 4,5 Millionen Beschäftigte haben 2021 laut statistischem Bundesamt über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus gearbeitet, bei rund 20 Prozent von ihnen wurden diese Überstunden nicht vergütet.

Das deutsche Arbeitszeitgesetz begrenzt die Arbeitszeit in der Regel auf acht, in Ausnahmefällen auf bis zu zehn Stunden pro Tag. Dokumentiert werden müssen bisher lediglich die Überstunden sowie die Arbeitszeit an Sonn- und Feiertagen.

Die Richter in Erfurt berufen sich in ihrer Entscheidung insbesondere auf das in Deutschland geltende Arbeitsschutzgesetz (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG). Aus dessen europarechtskonformer Auslegung ergebe sich, dass die Arbeitszeit „zum Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer“ systematisch zu erfassen ist.

Entscheidung überraschte auch Experten

Weiter verpflichtet es die Arbeitgeber, „erforderliche Maßnahmen des Arbeitsschutzes“ zu treffen sowie „für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen“. Nach Ansicht des BAG gehört es zur unternehmerischen Fürsorge, die täglich geleistete Arbeitszeiten der Angestellten zu dokumentieren.

Die Entscheidung des BAG geht somit weit über die bisherigen Vorgaben in Deutschland hinaus und kam auch für Rechtsexperten überraschend. Ursprünglich ging es in dieser Rechtssache darum, ob der Betriebsrat das Initiativrecht habe, ein Zeiterfassungssystem bei seinem Arbeitgeber einzuführen.

Einträge regelmäßig abgleichen

Das Urteil dürfte in vielen Arztpraxen zum Thema werden. Der Verband der medizinischer Fachberufe (vmf) hat die BAG-Entscheidung bereits begrüßt und setzt darauf, dass damit „den zahlreichen unbezahlten Überstunden, die unsere Mitglieder regelmäßig leisten, hoffentlich ein baldiges Ende“ gesetzt werde.

Andere Ärzte-Vertreter erwarten, dass eine zügige Umsetzung des Urteils auch als ein Instrument gegen den Ärztemangel genutzt werden kann.

Rechtsexperte Kalläne empfiehlt den niedergelassenen Praxisinhabern schnell aktiv zu werden. Dies sei insbesondere wichtig, um in einer aktiven Rolle gemeinsam mit den Beschäftigten Lösungen zu entwickeln: „Denn die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung verstärkt auch die Kontrolle der Beschäftigten und kann ein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis belasten.“

Präzisere Vorgaben in I/2023 erwartet

Die Einträge sollten im regelmäßigen Turnus – etwa wöchentlich oder monatlich – mit der vereinbarten Arbeitszeit abgeglichen und von der Praxisleitung gegengezeichnet werden.

Unabhängig von weiterem Aufwand, hat dies den Vorteil, dass für beide Seiten stets unstreitig ist, ob und in welchem Umfang Überstunden angefallen sind. Denn „Arbeitgeber müssen diese zusätzlichen Stunden nur dann vergüten, wenn sie angeordnet worden sind“, betont Fachanwalt Kalläne.

Präzisere Vorgaben dürften im neuen Jahr folgen. Bundesarbeitsminister Hubert Heil (SPD) will die Urteilbegründung des BAG eingehend prüfen und kündigte dabei an, im ersten Quartal 2023 „einen praxistauglichen Vorschlag für die Arbeitszeiterfassung“ im Arbeitszeitgesetz zu machen.

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