Serie DiGALieber App statt Physiotherapie?

Bei nicht-spezifischen Rückenschmerzen hilft vor allem Bewegung. Doch diese in den Alltag zu integrieren, fällt Betroffenen oft schwer. Hier setzen Digitale Gesundheitsanwendungen wie Vivira an. Sind sie eine echte Alternative zur Physiotherapie?

Die NVL Kreuzschmerz rät bei nicht-spezifischen Kreuzschmerzen, Bewegung in den Alltag zu integrieren.

“Therapeutisches Training per App für zu Hause” wirbt die Digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) Vivira auf ihrer Webseite. Hält die App, was der Slogan verspricht?

Vivira wurde mithilfe von Orthopädinnen und Physiotherapeuten entwickelt und von Rehaklinik-Betreibern mitgegründet. Die Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz [1] rät bei nicht-spezifischen Kreuzschmerzen, Bewegung in den Alltag zu integrieren und befürwortet auch Bewegungstherapien.

Funktionen

Hierauf setzen die Funktionen von Vivira auf. Die App fürs Smartphone (ab iOS 2.28, Android 2.22.3) oder Tablet (ab iOS 14, Android 7.0) stellt täglich vier Übungen zur Beweglichkeit oder Kräftigung zusammen. Der Hersteller rät zu mindestens drei Trainings pro Woche. Zu Beginn kann man einstellen, ob, wie oft und zu welcher Uhrzeit man ans Training erinnert werden möchte.

Erkrankten wird jede Übung anhand einer Kombination aus grafisch aufbereitetem Video, gesprochener Anleitung sowie zusätzlich lesbarem Text (etwa zu Schweregraden, Varianten einer Übung) erklärt. Während der Ausführung erinnert der Sprecher, worauf beim korrekten Ablauf zu achten ist. Zu Beginn kann ein Timer gestartet werden, um die vorgegebene Übungsdauer einzuhalten.

Das etwa 15-minütige Training wird individualisiert nach den anfangs eingetragenen Beschwerden und dem Beweglichkeitszustand zusammengestellt. Erfasst werden können: Schmerzskala, Lebensqualität, berufliche Einschränkung, Einschränkung bei Haushalt oder Freizeit, laufende Physiotherapie und Schmerzmedikation.

Nach jeder Übung werden deren Machbarkeit und mögliche Schmerzen erfragt – dabei können Nutzende Übungen auch ganz ausschließen. Zudem wertet die App wöchentliche Verlaufskontrollen und monatliche Bewegungstests (15 Übungen zu Beweglichkeit, Kraft und Koordination) aus.

Auch die Gesundheitsdaten aus dem Apple Health Kit (wie Schrittzähler) können für die DiGA freigegeben werden. In einer Historie sind Aktivitäten, Schmerzentwicklung und Beweglichkeit einsehbar. Die DiGA passt daraufhin die Übungsauswahl dem Trainingseffekt an.

Tipp: Die Fortschrittsberichte können als PDF an Praxen übermittelt werden. Begleitend kann das Wissen rund um Schmerzen, Muskel- und Skelettsystem mit Artikeln vertieft werden. Die DiGA gibt es auf Deutsch und Englisch.

Vivira für wen (nicht)?

Vivira kann ab 18 Jahren bei diversen Varianten von Rückenschmerzen – von Funktionsstörungen bis hin zu Osteochondrose der Wirbelsäule – zum Einsatz kommen. Die Liste der ICD-Kodes ist sehr lang, weshalb sich hierzu vor der Verordnung ein genauer Blick in die Praxissoftware oder das DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) empfiehlt.

Dies umso mehr, weil die Liste der Kontraindikationen noch länger und unübersichtlicher ist. Sie reicht grob von Knochenkrebs, Gelenkentzündungen und -prothesen bis hin zu Bandscheibenvorfällen. Wie andere DiGA kann Vivira entweder ärztlich verschrieben oder von Versicherten mit einer passenden diagnostizierten Erkrankung selbst bei der Kasse beantragt werden.

Die App-Webseite bietet einen Rezeptservice für Interessierte an. Bei der Anmeldung in der App wird man zudem mit den Kontraindikationen konfrontiert und muss bestätigen, dass diese nicht vorliegen.

Eine ärztliche Verordnung erscheint aber als der bessere Weg, um aufgrund der vielen Ausschlüsse auf der sicheren Seite zu sein. Darüber hinaus weist die App darauf hin, dass das Training bei starken Schmerzen, geschwollenen oder erwärmten Gelenken, Fieber und Krankheitsgefühl zu pausieren ist.

Medizinischer Nutzen anerkannt

Aufgrund der Studie [2] mit 213 Teilnehmenden (siehe Tabelle unten) hat das BfArM Vivira bei Rückenschmerzen die Verbesserung des Gesundheitszustandes attestiert. Diese sei signifikant und klinisch relevant. Nicht bestätigt sieht die Behörde hingegen eine Verbesserung der Lebensqualität oder Verkürzung der Krankheitsdauer.

Auch sei der Nutzen bislang nicht auf Knie- und Hüftschmerz übertragbar. [3] Der Hersteller Vivira Health Lab hofft in 2024, weitere Indikationen anbieten zu können.

Die Studie verglich über zwölf Wochen Vivira (mindestens 3 Tage/Woche, tägliche Trainingserinnerung) mit Physiotherapie. Eingeschlossen wurden Männer und Frauen mit unspezifischen oder degenerativen Rückenschmerzen, die auf der verbal-numerischen Ratingskala (VNRS) mindestens 4 von 10 Punkten erreichten.

Im primären Endpunkt Schmerzreduktion schnitt die Vivira-Gruppe um 2,44 Punkte besser ab als die Kontrolle. Wichtig: Hierbei ist interessant, dass Vivira im Schnitt an 5,77 Tagen die Woche genutzt wurde, die Kontrollgruppe im Mittel aber nur 6,94 Mal Physiotherapie in zwölf Wochen.

Dies erklärt wahrscheinlich das schlechte Abschneiden der Physiotherapie. Auf der anderen Seite ist die stetige Erreichbarkeit der DiGA auch ein wesentlicher Vorteil gegenüber herkömmlicher Physiotherapie. Inzwischen zeigt eine Analyse [4] von rund 2.500 Vivira-Nutzenden eine ähnliche Schmerzreduktion wie in der Initialstudie: Die Schmerzen nahmen hier im Mittel von 5,19 auf 3,35 ab.

Eine Subanalyse [5] der Initialstudie weist zudem auf eine sinkende Schmerzmitteleinnahme hin. 70 Teilnehmende hatten während der Studie mit Schmerzmitteln begonnen. Nach zwölf Wochen nahmen in der Vivira-Gruppe deutlich weniger Medikamente ein als in der Kontrollgruppe (Tab.). Die Autoren führen dies ebenso auf die bessere Zugänglichkeit zum Training mit der DiGA zurück.

Verordnung und Abrechnung

Vivira kann man als ärztliche Verordnung, mit Diagnosenachweis oder als Selbstzahler (Vivira Premium, 69 Euro/Monat) anwenden.

Tipp: Wer unsicher ist, ob Patientinnen und Patienten mit der DiGA zurechtkommen, kann diese zunächst auf das Starttraining verweisen. Dieses ist für sieben Tage kostenfrei zu testen. Zudem kann so die Zeit bis zur Freischaltung überbrückt werden. Die Anwendungsdauer richtet sich laut BfArM nach den Beschwerden; betrage meist aber drei Monate.

Da Vivira dauerhaft ins DiGA-Verzeichnis aufgenommen ist, übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten.

Wichtig: Ausführliche Indikationen und Kontraindikationen sollten vor der Rezeptierung sorgfältig angesehen werden. Auch die meisten Privatversicherungen tragen die Kosten, bei der Beihilfe sind laut Hersteller bis zu zwölf Monate erstattungsfähig.

Privatversicherte sollten vor der Verordnung am besten zunächst bei ihrer Krankenkasse nachfragen, ob die DiGA bezahlt wird. Anschließend kaufen Sie im App-Store “Vivira Premium” als Selbstzahler und reichen die Rechnung bei der Kasse ein.

Die Verordnung selbst wird innerhalb der EBM-Versichertenpauschale vergütet. Abrechnen können Ärztinnen und Ärzte aber die Auswertung und Verlaufskontrolle mit der 01472 EBM (7,35 Euro). Sie ist einmal im Behandlungsfall und zweimal im Krankheitsfall erlaubt. Das Monitoring gibt das BfArM als optional an.

Quellen:

  1. Nationale VersorgungsLeitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz, 2. Auflage. Version 1. 2017. Doi: https://www.leitlinien.de/themen/kreuzschmerz
  2. Weise H et al. The Effect of an App-Based Home Exercise Program on Self-reported Pain Intensity in Unspecific and Degenerative Back Pain: Pragmatic Open-label Randomized Controlled Trial [published correction appears in J Med Internet Res. 2023 Feb 20;25:e46512]. J Med Internet Res. 2022;24(10):e41899. Published 2022 Oct 28. doi: 10.2196/41899
  3. https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis/00387/fachkreise (abgerufen am 20.6.23)
  4. Teepe GW et al. Preliminary Use and Outcome Data of a Digital Home Exercise Program for Back, Hip, and Knee Pain: Retrospective Observational Study With a Time Series and Matched Analysis. JMIR Mhealth Uhealth 2022;10(12):e38649. doi: 10.2196/38649
  5. Hans FP et al. Concomitant use of pain medication in a randomized controlled trial of a digital therapeutic for the treatment of lower back pain [Konferenz-Abstract]. 70. Jahrestagung der VSOU e.V., 28.-30.4.22, Baden-Baden, BW, Deutschland
  6. Priebe JA et al. Digital Treatment of Back Pain versus Standard of Care: The Cluster-Randomized Controlled Trial, Rise-uP. J Pain Res. 2020;13:1823-1838. doi: 10.2147/JPR.S260761
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