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"Der Hausarzt" im Gespräch mit Kolleginnen und KollegenProtest hat viele Gesichter

Die hausärztliche Versorgung befindet sich in der Krise, der Druck in den Praxen steigt täglich. Immer mehr sehen sich gezwungen, einen Aufnahmestopp auszurufen. Vier Kolleginnen und Kollegen geben einen Einblick, was sie im Alltag am meisten umtreibt, was sie von der Politik fordern – und wie sie sich an den aktuellen Protestaktionen beteiligen.

Unter Beteiligung des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe gingen Ärzte und Apotheker in Dortmund auf die Straße.

“6.000 bis 8.000 Patienten blieben unversorgt zurück”

“Im Frühjahr dieses Jahres hat in unserer Stadt die dritte Praxis innerhalb von zwei Jahren geschlossen. Die Folge: 2.000 weitere Patienten standen plötzlich ohne Hausarzt da, 700 davon sind bei uns gelandet. Insgesamt haben die Praxisschließungen der letzten Jahre dazu geführt, dass 6.000 bis 8.000 Patientinnen und Patienten unversorgt zurückblieben. Hinzu kommt, dass sich viele Spezialisten aus der Versorgung auf reine Kontrolltermine zurückziehen.

Für mich als Hausärztin hat das dramatische Folgen. Wir versorgen so viele Patienten, dass die Qualität der Versorgung – für alle spürbar – leidet. Offiziell haben wir in unserer Praxis einen Aufnahmestopp, doch konsequent leben lässt sich das nicht. Das führt mitunter aber dazu, dass wir Patientinnen und Patienten nicht mehr mit Zeit und Ruhe betreuen können.

Ein Grund dafür liegt aus meiner Sicht darin, dass unser Gesundheitssystem extrem arztzentriert ausgerichtet ist. Wenn der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt (APK) weiter Voraussetzung für die Abrechnung vieler Leistungen bleibt, bedeutet das, dass sowohl per Telefon oder digital erbrachte Leistungen als auch delegierte Leistungen faktisch nicht vergütet werden.

Beispiel aus der Praxis: Würde mir ein bekannter Patient ein – von einem Fitnesstracker aufgezeichnetes – Blutdruckprofil schicken und ich daraufhin das Candesartan per E-Rezept anpassen, wäre er medizinisch gut versorgt. Dafür erhalte ich Stand heute, aufgrund des fehlenden APK, aber nur einen Kleckerbetrag. Hier wäre Entlastung denkbar, wenn Medizin endlich als digital unterstützter Teamsport verstanden würde!

Wir müssen mit diesen Problemen an die Öffentlichkeit gehen. Wir haben dafür Poster in der Praxis aufgehängt, auch habe ich Videos aufgezeichnet und diese veröffentlicht (s. Kasten). Wir dürfen nicht müde werden, aufzuklären und auf unsere aktuelle Krise hinzuweisen.”

Dr. Laura Dalhaus, Fachärztin für Allgemeinchirurgie und Allgemeinmedizin

“Wir träumen von einer ,normalen‘ Sprechstunde”

“Das Patientenaufkommen in unserer Praxis ist extrem gestiegen – und es lässt nicht nach. Jüngst sind drei Praxen der Umgebung in einem MVZ aufgegangen, doch zwei davon konnten sich in dieser Form faktisch nicht halten. Die Folge ist, dass noch immer unzählige Patienten unversorgt sind und wir täglich mit Bitten um Neuaufnahme konfrontiert sind. Unsere MFA jonglieren nur noch Termine. Ständig muss jemand eingeschoben werden, wir arbeiten quasi den ganzen Tag solche “Einschiebe-Termine” im Fünf- bis Sieben-Minuten-Takt ab.

Tipp für Kolleginnen und Kollegen: Die Stimmung im Praxisteam ist trotz dieses “Jonglierens” und mitunter unverschämten Patientenanforderungen gut, das ist aus meiner Sicht Grundvoraussetzung, dass der Praxisbetrieb unter diesen Bedingungen überhaupt laufen kann. Wir arbeiten dazu mit einem rotierenden System. Sprich: Eine MFA, die heute am Telefon sitzt, ist morgen etwa im Labor und damit raus aus der “Schusslinie”.

Wir träumen alle von einer “normalen” Sprechstunde, aber das ist ehrlich gesagt nicht absehbar. Wir spüren im Versorgungsalltag die Eile und den Druck, und ebenso tun das die Patientinnen und Patienten. Wochenweise müssen wir Aufnahmestopps ausrufen, um neue Patienten überhaupt erst einmal abzuarbeiten.

Eine enorme Erleichterung wäre es, wenn die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU) wegfallen würden. Die Telefon-AU (S. 34) ist zumindest ein erster Schritt.

Für einen effektiven Protest wäre nötig, dass wir Praxen den Schulterschluss hinbekommen, aber das haben wir – zumindest hier – bislang noch nicht. Eine Praxisschließung an einem Mittwoch spüren die Patienten kaum. Vielmehr müssten wir – so wie Lokführer oder Piloten – eine Einheit bilden und dann wirklich alle Praxen eine Woche lang schließen, mit nur einer Notfall-Anlaufstelle.

#Den politischen Druck können wir Hausärzte allein nicht aufbauen, das müssen auch die Bürgerinnen und Bürger. Ich ermutige sie deswegen, sich an ihre politischen Vertreter zu wenden, und versuche, mit Leserbriefen in der Zeitung oder mit Aufklärung auf unserer Facebook-Seite für unsere Lage zu sensibilisieren.”

Dr. Carsten Köber, Facharzt für Allgemeinmedizin

“Ich spüre immensen Kostendruck”

“Meine Vorgängerin hatte rund 550 Scheine/ Quartal. Diese Zahl muss ich steigern, sonst kann ich nicht wirtschaftlich arbeiten. Im Gegensatz zum Vorgängerbetrieb haben sich meine Ausgaben verdoppelt, beispielsweise durch eine deutliche, aber nachvollziehbare Anhebung der Miete sowie mein Aufstocken von einer MFA mit 26 Stunden auf zwei MFA mit je 30 Stunden. Ich spüre also einen immensen Kostendruck. Weil der Bezirk als überversorgt gilt und rundherum Praxen schließen, bin ich zuversichtlich, dass der Patientenstamm wachsen wird. Gleichzeitig bereitet mir die Budgetierung mit Blick auf die Zukunft Sorgen. Denn wenn ich es nicht schaffe, innerhalb der ersten Jahre wie geplant zu wachsen, könnten dann massive Kürzungen kommen.

Gleichzeitig steht für mich fest, dass ich mir meinen Beruf von der Politik nicht vermiesen lassen will. Die Niederlassung stand für mich nie in Frage. Eher bin ich bereit, mich stärker in den Protesten oder berufspolitisch zu engagieren, um die Rahmenbedingungen für unsere Arbeit zu verändern.”

Dr. Sandra Blumenthal, Fachärztin für Allgemeinmedizin

“Die Entbudgetierung ist unverzichtbar”

“Neben der zunehmenden Bürokratisierung und ineffizienten Digitalisierungsansätzen belastet mich im Alltag vor allem die stets präsente Sorge, dass eine MFA ausfällt. Wir sind aktuell zwar gut aufgestellt. Doch ich kenne Personalprobleme aus eigener Erfahrung: Mitunter sind uns eigens ausgebildete MFA in die Klinik abgewandert. Aber gut qualifizierte MFA sind existenziell für unsere Arbeit!

Darüber hinaus ist die Budgetierung hier in Hamburg das größte Problem. Mit einer Auszahlung von rund 80 Prozent wird mir, wie allen Hamburger Hausärzten, rund 20 Prozent meiner Arbeit schlichtweg nicht bezahlt. Das ist bitter. Da ich viele meiner Patienten über die HZV abrechne, gehören wir noch zu den weniger betroffenen Praxen. Die Entbudgetierung ist nichtsdestotrotz mit Blick auf die langfristige Perspektive der Hausarztpraxen unverzichtbar.

Aus meiner Sicht sind daher mehr denn je Politik und Berufspolitik, wo ich mich auch engagiere, gefragt. Meine Patienten – viele von ihnen kämpfen selber um die eigene Existenz – kann und will ich dafür nicht gewinnen.”

Dr. Maria Hummes, Fachärztin für Allgemeinmedizin

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