127. Deutscher ÄrztetagMehr Gesundheitskompetenz dringend nötig

Übergewichtig, süchtig, psychisch krank: Ärztinnen und Ärzte fürchten, dass mehr und mehr Kinder und Jugendliche gesundheitlich Schaden nehmen. Die Vermittlung von Gesundheitskompetenz unter anderem in der Schule war auf dem 127. Deutschen Ärztetag großes Thema.

Wenn Kindern und Jugendlichen Gesundheitskompetenz vermittelt werden soll, müssen auch Erwachsene einbezogen werden, erklärten einige Delegierte in Essen.

Essen. Bei der Vermittlung von mehr Gesundheitskompetenz bei Kindern und Jugendlichen kommt dem Bildungssystem eine große Rolle zu, meinte Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), am Mittwoch (17.5.) in Essen. Zukunftsweisend könne die Etablierung von gesunden Schulen sein, meinte Reinhardt, der dabei betonte, dass man diese wichtige Aufgabe der Lehrerschaft nicht on top aufbürden wolle.

Wenn in Schulen mehr Gesundheitskompetenz und -bildung vermittelt werden soll, dann müsse das auch finanziell und konzeptionell abgestimmt sein. Im Hinblick auf die Gesundheitsförderung müsse man die gesamte Ausgestaltung – personell und auch räumlich – in den Blick nehmen, so Reinhardt.

Zu den Themen gehörten Ernährung, Klimaschutz, Achtsamkeit, Stressresistenz etc. aber auch ganz praktisches Wissen wie etwa Erste-Hilfe-Maßnahmen. Zur Gesundheitskompetenz zählten der Zugang zu Gesundheitsinformationen, sich diese zu beschaffen, sie zu verstehen und sie am Ende auch umzusetzen, sagte Reinhardt.

Der 127. Deutsche Ärztetag hatte dem Thema einen eigenen Tagesordnungspunkt gewidmet.

Vorzeigeprojekt: “Gesundheitskompetente Schule”

Reinhardt wies auf ein „sehr gutes und wegweisendes Projekt `Gesundheitskompetente Schule`“ hin, dass unter Mitwirkung mehrerer Ärztekammern entwickelt worden sei und vom Bundesgesundheitsministerium gefördert wird.

Dorothee Feller (CDU), Bildungsministerin in Nordrhein-Westfalen, erklärte, dass sich die Pandemie erheblich auf die Psyche der Kinder- und Jugendlichen ausgewirkt habe. Lehrerinnen und Lehrer berichteten von erhöhter Aggressivität und einer höheren Anzahl an psychischen Erkrankungen.

Die Pandemie habe besonders deutlich gemacht, so Feller, dass Schule viel mehr als nur ein Lernort sei. Es sei auch ein Ort, an dem Freundschaften gepflegt, gemeinsam musiziert, gegessen, Sport getrieben wird. Die Schulschließungen hätten fehlende soziale Interaktionen bewirkt – mit den sozialen Medien hätte dies nicht kompensiert werden können.

Kinder sozial schwächerer Familien mehr betroffen

Insbesondere bei den sozial schwächeren Familien seien die negativen Auswirkungen spürbar – teils müssten die Kinder erhebliche Lernrückstände aufholen. Probleme von Übergewicht und Fettleibigkeit hätten sich in der Pandemie nochmals verschärft. Schulen, so Feller, hätten erheblichen Einfluss auf die Gesundheit von jungen Menschen – das habe die Pandemie deutlich gezeigt.

Aber was ist eigentlich Gesundheitskompetenz? Eine Definition von Serensen et al (aus 2012) zitierte Prof. Orkan Okan, Professur für Health Literacy an der Technischen Universität München: „Gesundheitskompetenz ist mit Wissen, Bildung und Motivation verknüpft und stellt die Fähigkeit dar, Informationen zur Gesundheit zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden, um im Alltag informierte Entscheidungen zur Gesundheit zu treffen.“

Geringe Gesundheitskompetenz sei verknüpft unter anderem mit ungesunden Verhaltensweisen (zum Beispiel Tabak- und Alkoholkonsum, zu wenig Schlaf, erhöhter Medienkonsum) aber auch mit Problemen in der Gesundheitskommunikation, dem Umgang mit Informationen und Sozialen Medien, im kritischen Denken und Analysieren, schlechterer körperlicher Gesundheit und schlechterem psychosozialen Wohlbefinden, erklärte Orkan.

Wer kann noch richtig Fieber messen?

Auch Delegierte berichteten auf dem Deutschen Ärztetag über immer weniger Kompetenz – auch bei Erwachsenen. Familien und auch Lehrer wüssten nicht mehr, wie man richtig Fieber messe oder man sich bei einem Infekt verhält. Dr. Johannes Grundmann, Bremen, erklärte, die Gesundheitskompetenz sei in den letzten Jahren geringer geworden. Hinderlich sei hier sicherlich auch die Zunahme von digitalen – teils widersprüchlichen – Gesundheitsinformationen.

Auch Kinder im Vorschulalter müssten bei der Gesundheitsbildung mit in den Fokus genommen werden, meinte Dr. Gisbert Voigt aus Niedersachsen. Bei zwei Drittel der Kinder habe er mangelnde Sprachkompetenz festgestellt. Wenn aber Kinder nicht mehr sprechen und lesen können, wie soll es dann mit der Gesundheitskompetenz klappen?

Problem: Mangelnde Sprachkompetenz

Dr. Joachim Suder, Baden-Württemberg wies auf die hohe Schulabbrecherquote in Deutschland hin. Diese müssten ebenfalls aufgefangen werden. Dr. Regine Held, Berlin, unterstrich, dass es mit der Gesundheitskompetenz bei Erwachsenen ebenfalls schlecht bestellt sei. Da sei der ältere Herr, der am Wochenende eine Rettungsstelle aufsuche, nachdem er zwei Tage zuvor in der Praxis war, um noch mal nachschauen zu lassen. Oder die Mutter, die nicht sagen könne, ob ihr Kind Fieber hat oder nicht.

Held: „ Wir brauchen eine große Kampagne zur Strukturen und Zahlen des Gesundheitswesens.“ Gesundheitskompetenz bedeute eben auch, dass man eine Praxis nicht zwei bis dreimal aufsuchen müsse oder eine Rettungsstelle nur in brisanten Fällen aufsuche. Hier müssten Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Kassen, Bundesgesundheitsministerium und Medien mit ins Boot geholt werden.

Dr. Katharina Thiede, Berlin, meinte, bei der Gesundheitskompetenz müsse man auch künftige Krisen im Blick haben. So müsse vermittelt werden, wie man mit der Klimakrise umgehe. Auch sie unterstrich, dass Erwachsene bei der Vermittlung von Gesundheitskompetenz nicht vergessen werden dürfen. Gesunde Lebensräume müssten geschaffen werden.

Forderungen der Ärzteschaft

Dem Beschlussantrag: „Bildungsziel Gesundheitskompetenz – Strategie und Gesamtkonzept für gesundheitskompetente Schulen entwickeln und umsetzen” stimmten die Delegierten nach den Diskussionen zu. Hierin fordert die Ärzteschaft konkret, dass

  • die Kultusministerkonferenz (KMK) eine länderübergreifend abgestimmte Strategie entwickelt, mit der die Förderung von Gesundheitskompetenz im Alltag von Erziehungs- und Bildungseinrichtungen nachhaltig verankert werden kann;
  • die KMK sich dafür einsetzt, dass die Entwicklung eines nachhaltigen Gesamtkonzepts (“Die gesundheitskompetente Schule”) auf den Weg gebracht wird. Hierzu zählen neben Fortbildungen für Schulleitungen, Lehrerinnen und Lehrer und weiteres Schulpersonal auch die Entwicklung von Mustercurricula sowie die Entwicklung und Bereitstellung fächerübergreifender Lehr- und Unterrichtsmaterialien;
  • konkrete Lerninhalte zu Themen wie Ernährung, Bewegung, Sexualität, psychische Gesundheit, Verhalten im Notfall, Hitzeschutz, Klimawandel und Gesundheit, aber auch zur angemessenen Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen systematisch entwickelt werden. Diese Lerninhalte müssen als verbindlicher Bestandteil in den (Rahmen-)Lehrplänen verankert werden. Bei der Erarbeitung der Lehr- und Lerninhalte und der erforderlichen Schulungsmaßnahmen für die Lehrkräfte ist die Expertise der Ärzteschaft einzubinden;
  • die digitale Gesundheitskompetenz von Schülerinnen und Schülern u. a. durch die Anwendung digitaler Lernangebote gestärkt wird; in den Schulen eine gesunde und möglichst nachhaltige Verpflegung gemäß der Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGEQualitätsstandards) angeboten wird;
  • eine zügige Umsetzung des Bundesprogramms “ReStart – Sport bewegt Deutschland”, dessen weiterer Ausbau sowie parallel die Förderung von Bewegungsangeboten im schulischen Bereich (u. a. Schulhofgestaltung) erfolgen.

Daneben wurden zahlreiche weitere Anträge rund um das Thema Gesundheitskompetenz beschlossen.

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