Serie "EKG in der Hausarztpraxis"Atypische Angina pectoris

Bei einem Myokardinfarkt zählt nicht nur rasches Handeln in der Akutsituation – auch die richtige Nachsorge ist äußerst relevant. Das zeigt auch der Fall von Frau B.

Patientin B. berichtet über ein allgemeines Unwohlsein und leichte Schmerzen im rechten Arm (Symbolbild).

Die 62-jährige Frau B.* kommt in Ihre Notfallsprechstunde. Sie berichtet über ein allgemeines Unwohlsein und leichte Schmerzen im rechten Arm. Die Beschwerden seien plötzlich aufgetreten und hielten seit etwa zwei Stunden an.

Zusätzlich erwähnt sie ein diffuses Druckgefühl im Oberbauch, das sich zunehmend verschlimmert habe. Sie habe sich einmal übergeben müssen. Frau B. hatte in der Vergangenheit keine kardiovaskulären Erkrankungen, sie ist jedoch Raucherin mit einer familiären Vorgeschichte von Herzerkrankungen.

Bei der körperlichen Untersuchung ist die Patientin wach und ansprechbar, aber unruhig und kaltschweißig. Ihr Blutdruck beträgt 150/90 mmHg, die Herzfrequenz circa 80/min. Die Herztöne sind rein, die Lunge ist frei. Das Abdomen wirkt in der Untersuchung relativ unauffällig, das diffuse epigastrische Druckgefühl verstärkt sich nur leicht durch Palpation. Sie schreiben ein EKG (siehe Abbildung unten).

EKG-Befund

Grundrhythmus in diesem EKG ist ein Sinusrhythmus, die Frequenz ist mit circa 80/min normal. Es fallen ausgeprägte ST-Streckenhebungen in den inferioren Ableitungen und in V3-V6 auf. In I und aVL sehen wir spiegelbildliche Senkungen.

Es handelt sich um ein großes betroffenes Myokard-Areal, vermutlich im Versorgungsgebiet einer großen rechten Koronararterie (RCA) oder eines dominanten Ramus circumflexus (RCX). Bei acht oder mehr Ableitungen mit signifikanten ST-Hebungen und/oder -Senkungen muss immer auch an einen Verschluss des linken Hauptstamms gedacht werden.

Der 6. QRS-Komplex ist eine supraventrikuläre Extrasystole mit Rechtsschenkelblock-Aberranz.

Zeit ist Muskel

Sie sind zwar verwundert über die atypische Symptomatik, diagnostizieren aber angesichts des EKG-Befunds sofort einen ST-Strecken-Hebungsinfarkt. Die Patientin wird unmittelbar mit Notarztbegleitung in das Herzkatheterlabor des nächsten Krankenhauses gebracht.

In der Koronarangiografie zeigt sich eine Okklusion der ostialen RCA. Die RCA versorgt die inferioren Anteile der Herzwand und das basale inferiore Septum. Zusätzlich ist die Perfusion des rechten Ventrikels oft komplett von der RCA abhängig. Während des Eingriffs wird ein Drug-Eluting-Stent (DES) implantiert. Die Intervention verläuft erfolgreich und der Blutfluss wird vollständig wiederhergestellt.

Kritisch sind die ersten 24 Stunden

Direkt nach der Koronarangiografie wird die Patientin auf die Intensivstation verlegt. Nicht selten kommt es nach Rekanalisation akuter kompletter RCA-Verschlüsse zu sogenannten Reperfusionsarrhythmien. Diese können von harmlosen Sinusarrhythmien und ventrikulären Extrasystolen bis hin zu vollständigen AV-Blöcken und Kammertachykardien reichen.

Klassisch sind bradykarde Herzrhythmusstörungen, da sowohl der Sinus- als auch der AV-Knoten in der Regel von der RCA versorgt werden. Unsere Patientin entwickelt in den Stunden nach dem Infarkt tatsächlich hämodynamisch relevante Bradykardien. Die zugrunde liegenden Herzrhythmusstörungen sind höhergradige AV-Blöcke Grad II und III.

In der ersten Nacht werden die Episoden so lang, dass sie nicht mehr toleriert werden. Das Laktat steigt. Es wird ein passagerer Schrittmacher eingeschwemmt. Die Bestimmung der Creatinkinase (CK) ergibt einen deutlich erhöhten Wert (maximal 2.500 U/l).

Die CK ist sehr gut zur Abschätzung geeignet, wie viel Myokardmasse von der Ischämie betroffen war, und stellt auch einen guten Verlaufsparameter dar. Das Troponin ist zwar ein sehr sensitives Herzenzym in der Frühphase, hilft aber bei schweren Infarkten im Verlauf nur eingeschränkt, da es noch längere Zeit undulierend hoch sein kann.

In den folgenden Stunden fällt trotz Schrittmacherstimulation kontinuierlich der Blutdruck auf kritisch niedrige Werte ab und das Laktat als Marker für eine Gewebeischämie steigt kontinuierlich an. Eine Echokardiografie zeigt eine nur gering reduzierte systolische Funktion des linken Ventrikels bei kompletter Akinesie der Hinterwand, aber guter Kontraktilität der übrigen Wandabschnitte.

Relevante Klappenvitien fallen nicht auf. Der rechte Ventrikel wirkt allerdings erweitert und in seiner Kontraktilität deutlich eingeschränkt. Neben der Ischämie der Hinterwand ist zusätzlich ein Rechtsventrikelinfarkt aufgetreten. Diese typische Komplikation des RCA-Infarkts kann sehr schwerwiegend sein.

Mit ausreichender Volumenzufuhr und kontraktilitätsfördernden Katecholaminen lässt sich die Situation bei Frau B. gerade noch in den Griff bekommen.

Insgesamt verlängert sich der Aufenthalt auf der Intensivstation um eine knappe Woche. Auf die Implantation eines permanenten Herzschrittmachers kann verzichtet werden, die Bradykardien verschwinden zwei Tage nach ihrem Auftreten. Die Rechtsherzfunktion zeigt sich in einem abschließenden Echo auf Normalstation noch nicht normalisiert. Frau B. ist noch nicht voll belastbar, kann sich in der Ebene aber problemlos bewegen.

Nachsorge

Die ambulante Folgetherapie ist gerade in Anbetracht des komplizierten stationären Aufenthalts besonders relevant. Frau B. erhält eine vielfältige medikamentöse Therapie einschließlich einer dualen antithrombozytären Therapie mit ASS und Ticagrelor, Statinen und Betablockern, um das Risiko für weitere kardiovaskuläre Ereignisse zu reduzieren.

Zudem wird ein ACE-Hemmer (alternativ AT1-Blocker) verschrieben, um Fibrose während der postinfarziellen Myokardrestrukturierung zu reduzieren. Der Patientin wird geraten, ihren Lebensstil zu ändern und vor allem das Rauchen aufzugeben.

Sie sehen die Patientin etwa vier Wochen nach dem Akutereignis wieder. Inzwischen hat sie eine ambulante Rehabilitation absolvieren können. Die Belastbarkeit im Alltag ist noch nicht so gut wie vorher, Treppensteigen bereitet ihr noch Probleme.

Sie überweisen Frau B. zur ambulanten kardiologischen Mitbetreuung und geben ihr einen Hinweis für eine Herzsportgruppe. Außerdem verschreiben Sie ihr eine digitale Gesundheitsanwendung (DiGA), da sie noch nicht in der Lage war, mit dem Rauchen aufzuhören.

Derzeit enthält das DiGA-Verzeichnis zwei DiGA zur Unterstützung bei der Raucherentwöhnung: “NichtraucherHelden-App” und “Smoke Free – Rauchen aufhören”. Frau B. dankt Ihnen für Ihr empathisches Management und auch besonders für Ihr initial rasches Handeln.

Nach einem Jahr hat sich die klinische Symptomatik weitestgehend normalisiert. Dem Echokardiografie-Befund der ambulanten Kardiologin entnehmen Sie, dass eine reduzierte Rechtsventrikelfunktion verblieben ist. Zusätzlich hat sich eine mittelgradige Trikuspidalklappeninsuffizienz ausgebildet, die nun regelmäßig kontrolliert werden muss.

Auf ein Diuretikum kann zunächst verzichtet werden, Beinödeme sind bisher nicht aufgetreten. Sie setzen das Ticagrelor zwölf Monate nach dem Infarkt wieder ab, die Therapie mit ASS ist als Dauertherapie indiziert.

* Die Fälle der Serie werden teilweise aus akademischen Gründen etwas abgewandelt.

Literatur beim Verfasser

Interessenkonflikte: Der Autor ist Gründer und Geschäftsführer der Doctopia GmbH.

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