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HIV-InfektionUpdate HIV-Therapie: Trend zu „Long Acting“

Mussten HIV-Infizierte in der Anfangszeit der antiretroviralen Therapie (ART) mit Kühlschrank und Wecker verreisen, gibt es heute Regimes mit zum Teil nur einmal täglicher Einnahme einer einzigen Tablette. Inzwischen zeichnen sich Behandlungsformen mit weit längeren Anwendungsintervallen ab.

HI-Virus, das eine Zelle angreift.

Eine HIV-Infektion scheint das Risiko, sich mit SARS-CoV-2 anzustecken, nicht zu erhöhen. Die Inzidenz ist teilweise sogar niedriger als in der Allgemeinbevölkerung. Als mögliche Erklärungen dafür werden diskutiert: die oft bestehende permanente Aktivierung des Immunsystems bei HIV-Infektion, die Altersstruktur oder andere soziodemografische Besonderheiten dieser Patientengruppe sowie eine gewisse – bislang nicht belegte, aber auch nicht ganz unwahrscheinliche – Schutzwirkung durch die ART.

So ist das bei HIV-Infektion oft verwendete Tenofovir chemisch mit Remdesivir verwandt und bindet stark an ein Enzym, das bei der Infektion mit SARS-CoV-2 beteiligt ist.

Risikomarker CD4-Zahl

Dagegen scheint eine HIV-Infektion Einfluss auf die Morbidität und Mortalität bei einer Covid-19-Erkrankung zu haben. Eine Studie verglich die Häufigkeit eines schweren Verlaufs bei gesunden Kontrollen, HIV-Infizierten sowie Patienten unter immunsuppressiver Therapie nach Organtransplantation.

Eine HIV-Infektion machte einen schweren Verlauf um 21 Prozent wahrscheinlicher, eine Organtransplantation um 55 Prozent und die Kombination aus HIV und Transplantation um 67 Prozent. Daraus kann geschlossen werden, dass das HI-Virus eine Immunsuppression bewirkt, die aber deutlich schwächer ist als durch immunsuppressive Therapien.

Als Marker eines erhöhten Risikos für einen schweren Verlauf gilt derzeit eine CD4-Zahl unter 350/µl. Die Covid-19-Sterblichkeit scheint erhöht zu sein, wenn der Tiefpunkt (Nadir) der CD4-Zellen im Verlauf der HIV-Infektion unter 200/µl gelegen hat.

HIV und Covid-19-Impfung

Menschen mit HIV-Infektion wurde zwar Anfang des Jahres eine erhöhte Priorität für eine Covid-19-Impfung zugesprochen, Studiendaten über Wirksamkeit und Sicherheit einer Impfung bei ihnen gibt es jedoch nur wenige, denn in den Zulassungsstudien waren HIV-Patienten weitestgehend ausgeschlossen.

Aktuell empfiehlt die STIKO für alle HIV-infizierten Menschen ab 18 Jahren die Covid-Impfung. Eine Auffrischung soll nach sechs Monaten erfolgen, bei einer CD4-Zahl unter 200/µl schon nach mindestens vier Wochen (dann auch mit zusätzlicher Bestimmung spezifischer Antikörper gegen das Spikeprotein vor und nach der Auffrischung).

Immer wieder wird vor allem in sozialen Medien behauptet, dass bei HIV-Infizierten das Risiko bestehe, dass mRNA aus dem Impfstoff in die DNA des Wirts eingebaut werden könne, denn wegen des HI-Virus seien Reverse Transkriptase und Integrase im Zellkern vorhanden.

Tatsache ist jedoch, dass die mRNA des Impfstoffs nicht in den Zellkern gelangt. Die RNA des HI-Virus schafft das nur, weil sie von einem Kapsid umschlossen ist, das sie vor dem raschen Abbau schützt und die RNA wie ein trojanisches Pferd durch die Poren des Zellkerns schleust.

Doch selbst wenn Impfstoff-mRNA in den Zellkern gelangte und in DNA umgeschrieben würde, benötigt die Integrase aus dem HI-Virus genau definierte Startsequenzen, um diese DNA ins Erbgut einzuschleusen.

“Long acting” ist der neue Trend

Goldstandard der HIV-Behandlung ist derzeit die Gabe einer einzigen Tablette pro Tag. Sowohl für die Therapie als auch für die Prä- und Postexpositionsprophylaxe (PrEP/PEP) werden Behandlungsansätze mit längeren Intervallen erprobt. Diese reichen von einmal wöchentlich eine Tablette bis zum Implantat einmal jährlich. Zu den Neuerungen in der Therapie zählen:

Für Menschen, die aufgrund von Resistenzen mit keiner Kombination mehr wirksam behandelt werden können, ist der monoklonale Antikörper Ibalizumab zugelassen. Er wird als Infusion alle zwei Wochen verabreicht und muss mit anderen antiretroviralen Substanzen kombiniert werden.

Ebenfalls für Menschen mit Multiresistenz und in Kombination mit weiteren antiretro-viralen Mitteln ist der oral anwendbare Attachement-Inhibitor Fostemsavir verfügbar. Attachement-Inhibitoren verhindern das Eindringen des Virus in die Wirtszelle.

Seit 1. Mai ist eine duale HIV-Medikation mit den Wirkstoffen Cabotegravir (HIV-Integrasehemmer, INI) und Rilpivirin (nicht-nukleosidischer Reverse-Transkriptase-Hemmer, NNRTI) für Erwachsene zugelassen, deren Viruslast unter einem stabilen antiretroviralen Regime unter der Nachweisgrenze liegt.

In der Erhaltungsphase müssen die Wirkstoffe nur noch alle zwei Monate i.m. verabreicht werden. Die Einstellung beginnt mit der oralen Gabe über mindestens vier Wochen (je eine Tablette täglich), um die Verträglichkeit zu prüfen. Danach erfolgt die erste i.m.-Injektion.

Da sich die Substanzen nicht mischen lassen, sind zwei intraglutäale Injektionen auf gegenüberliegenden Seiten nötig. Nach vier Wochen erfolgt je eine weitere Injektion. Danach werden die Injektionen im Abstand von acht Wochen fortgesetzt. Die Injektionstermine können flexibel (± sieben Tage) gehandhabt werden, längere Verschiebungen lassen sich durch orale Zufuhr überbrücken. Die Injektionen müssen zwingend durch medizinisches Personal erfolgen (keine Selbstinjektion).

Ebenfalls in der Entwicklung ist eine Tablette mit Islatravir (nukleosidischer Reverse-Transkriptase-Hemmer, NRTI) und MK-8507 (NNRTI) für die Einnahme einmal pro Woche. Islatravir alleine wird derzeit für die PrEP erprobt (Einnahme einmal pro Monat oder als Implantat).

Von Lenacapavir (dem ersten Kapsid-Inhibitor) ist eine Spritze in Entwicklung, die alle sechs Monate s.c. gegeben wird. Ferner soll eine langwirksame Kombination mit Islatravir entwickelt werden, die oral oder in injizierbarer Form anwendbar ist.

Gehäuft Aortenaneurysmen

Die Studie COCOMO (Copenhagen Comorbidity in HIV Infection) hat gezeigt, dass Menschen mit einer HIV-Infektion unabhängig von Alter, Geschlecht, Blutdruck, Rauchen, Übergewicht und Lipidstatus ein etwa 4,5-fach erhöhtes Risiko für Aortenaneurysmen haben. Bei diesen Patienten sollte man daher genauer auf Zeichen für ein Aortenaneurysma achten.

Doch keine Heilung?

In vermutlich zwei Fällen weltweit konnte das HI-Virus bislang durch eine tumorbedingte Knochenmarktransplantation vollständig aus dem Körper beseitigt werden. 2020 wurde von einem Patienten in Brasilien berichtet, der auch ohne Knochenmarktransplantation nach Absetzen einer antiretroviralen Therapie über längere Zeit frei von nachweisbarer Viruslast geblieben war.

Nach über einem Jahr wurde die Nachweisgrenze aber doch wieder überschritten. Allerdings weist das jetzt identifizierte Virus eine andere Sequenz auf. Man weiß daher nicht, ob dieses Virus vorher schon latent vorhanden (und daher in der Sequen-zierung nicht nachweisbar) war und jetzt reaktiviert wurde oder ob sich der Patient neu infiziert hat.

EMA bleibt stur

Seit Jahren fordern Patientenvertreter die EMA auf, den Hinweis “U=U” in die Beipackzettel von antiretroviralen Wirkstoffen aufzunehmen. “Undetectable = Untransmissable” bedeutet, dass man die Infektion nicht weitergeben kann, wenn die Viruslast unter der Nachweisgrenze liegt.

Die EMA argumentiert, dass in Beipackzetteln nur auf Risiken hingewiesen werde, “U=U” aber ein Nicht-Risiko bedeute, auf das folglich nicht hingewiesen werden müsse. Dem halten Patientenvertreter entgegen, dass wegen des Fehlens dieses Hinweises auch viele Ärzte ihre Patienten nicht über diesen Zusammenhang informierten.

Zu wissen, dass man für seinen Partner/seine Partnerin nicht infektiös ist, wenn man seine Medikamente regelmäßig nimmt, ist aber für viele Patienten ein wesentlicher Beweggrund für Therapietreue. Ist den Patienten “U=U” nicht bekannt, könnte dies folglich die Adhärenz mindern und somit das Risiko der Übertragung sowie der Resistenzentwicklung erhöhen.

Womit, so die Patientenvertreter, doch ein klares Risiko vorliege, auf das ein Beipackzettel hinweisen müsse.

Unerklärte Gewichtszunahme

Der Mechanismus der zum Teil starken Gewichtszunahme unter Integrasehemmern und Tenofoviralafenamid (TAF, eine Weiterentwicklung von Tenofovir) ist noch nicht geklärt. Allgemeinmaßnahmen (Ernährungsumstellung, mehr Bewegung) gelten daher hier als sehr wichtig.

Vom Markt genommen

Zum 1. Oktober wurde Viramune® (Nevirapin; nicht aber Viramune® orale Suspension) sowie Aptivus® (Tipranavir) vom Markt genommen. Als Generika sind die Wirkstoffe weiter erhältlich.Das Kombinationspräparat Atripla® (Efavirenz plus Emtricitabin plus Tenofovirdisoproxil) wird zum Ende des Jahres zurückgezogen, weil es nicht mehr das bevorzugte Erstpräparat ist. In Form von Generika ist die Kombination weiterhin verfügbar.

Quellen:

Deutsche Aidshilfe

Projektinformation Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter (dagnä)

RKI/STIKO

Abstracts von der “Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections (CROI)” vom 6.–10. März 2021

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