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Baden-WürttembergWissenschaftler finden HZV-Effekt

Weniger schwere Komplikationen wie Schlaganfälle, Herzinfarkte und Amputationen sowie weniger Klinikeinweisungen: Die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) von Hausärzteverband, Medi und AOK in Baden-Württemberg zeigt deutliche Effekte gegenüber der Regelversorgung.

Chronisch kranke Patienten profitieren gesundheitlich von einer Teilnahme an den Haus- und Facharztverträgen von Hausärzteverband, Medi und AOK in Baden-Württemberg. Zu diesem Ergebnis kommt die Evaluation von Prof. Ferdinand Gerlach, Universität Frankfurt am Main, und Prof. Joachim Szecsenyi, Universität Heidelberg, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. „Insbesondere chronisch kranke, multimorbide und ältere Patienten erhalten eine bessere Versorgung“, fasst Gerlach die Ergebnisse zusammen.

So traten bei Diabetikern, die an der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) teilnehmen, seltener schwerwiegende Komplikationen auf. Konkret: Von 2011 bis 2013 blieben Diabetikern in der HZV gegenüber der Regelversorgung rund 1.700 schwere Komplikationen erspart, darunter 500 Schlaganfälle, 450 Herzinfarkte, bei 389 Patienten eine Dialysepflicht, 260 Amputationen und 139 Erblindungen. Dem liegen die Daten von nahezu 218.000 AOK-Versicherten zugrunde, davon mehr als 119.350 mit HZV und rund 98.600 ohne HZV.

Ähnlich sieht es bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung (KHK) und Herzinsuffizienz aus. Bei ihnen waren seltener Klinikaufenthalte nötig: Von 2011 bis 2014 lag die Anzahl in der HZV pro Jahr jeweils einen Prozentpunkt niedriger als in der Regelversorgung. Auf eine Million HZV-Versicherte gerechnet, entspreche dies 40.000 vermiedenen Klinikeinweisungen. Während in der HZV-Gruppe 34,4 Prozent der KHK-Patienten und 37,6 Prozent der Herzinsuffizienz-Patienten in die Klinik mussten, waren es in der Kontrollgruppe 36 und 41,2 Prozent.

Szecsenyi: „Ich führe den Rückgang eindeutig auf die intensivere und besser koordinierte Betreuung chronisch kranker Patienten durch den Hausarzt zurück.“ Jeder HZV-Patient habe im Schnitt drei Hausarztkontakte mehr im Jahr als Nicht-Teilnehmer. Gleichzeitig sinke die unkoordinierte Inanspruchnahme von Fachärzten (1,6 versus 2,7 Kontakte pro Jahr in der Regelversorgung). Hier sei auch zu berücksichtigen, dass 2013 die Praxisgebühr abgeschafft wurde, was die Koordination durch Hausärzte in der Regelversorgung zusätzlich geschwächt habe.

Darüber hinaus zeigte sich, dass HZV-Teilnehmer mit Herzinsuffizienz häufiger leitliniengerecht therapiert werden: Von den HZV-Teilnehmern erhielten 69,5 Prozent ACE-Hemmer oder AT1-Blocker, gleichzeitig identifizierten die Wissenschaftler nur 16,8 Prozent der Teilnehmer mit potentieller medikamentöser Unterversorgung – also Herzinsuffizienzpatienten, die keine ACE-Hemmer, AT1- oder Betablocker bekommen. In der Regelversorgung gab es mehr „potentiell Unterversorgte“ (20,1 Prozent) und weniger „Versorgte“ (65,4 Prozent). Dafür wertete die Uni Frankfurt Daten von 152.360 Patienten mit KHK und rund 100.550 mit Herzinsuffizienz aus.

Was ist der HZV-Effekt?

Gerlach und Szecsenyi führen dies einerseits darauf zurück, dass in der HZV-Gruppe deutlich mehr Versicherte in einem Disease-Management-Programm (DMP) versorgt werden. Denn in Hausarztverträgen sind die Ärzte verpflichtet, ihren Patienten die speziellen Chronikerprogramme anzubieten. Unter HZV-Teilnehmern waren knapp ein Viertel mehr ins DMP Diabetes (77,8 versus 53,8 Prozent in der Regelversorgung) und DMP KHK eingeschrieben (54,7 versus 32,1 Prozent).

Andererseits sprach Gerlach von einem „unabhängigen HZV-Effekt“, der bedingt durch verschiedene Faktoren zu den positiven Ergebnissen beitrage. Einer der Faktoren sei die engere und kontinuierliche Betreuung durch den Hausarzt, ein anderer die Verpflichtung für HZV-Ärzte regelmäßig an Qualitätszirkeln zur rationalen Pharmakotherapie teilzunehmen. „Die HZV-Effekte sind konstant über mehrere Jahre. In der Mehrzahl der von uns untersuchten Versorgungsbereiche profitieren die Patienten sogar von Jahr zu Jahr mehr“, erläuterte Joachim Szecsenyi.

Ein weiterer Aspekt sei die gemeinsam abgestimmte Versorgung zwischen Fach- und Hausärzten. Vertraglich werden in den Haus- und Facharztverträgen indikationsspezifische Versorgungsziele definiert und daraus Diagnose- und Therapiepfade abgeleitet. Ein Beispiel: Die Zahl der Klinikeinweisungen bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (im Selektivvertrag) sei um 13,6 Prozent gesunken. Magen-Darm-Operationen seien um etwa ein Drittel (26,9 Prozent) zurückgegangen, also bei 100 Patienten 2,36 Operationen weniger im Jahr.

HZV zahlt sich aus

Auch AOK-Chef Dr. Christopher Hermann zeigte sich mehr als zufrieden. Er sprach von einem „Return on Invest“ für die Krankenkasse. Die AOK Baden-Württemberg habe 2015 in Haus- und Facharztverträge 530 Millionen Euro investiert. In der Regelversorgung hätte die Kasse für eine entsprechende Vergleichsgruppe 35 Millionen Euro mehr auf den Tisch legen müssen. Hermann kündigte an, dass die AOK am 1. Oktober einen neuen Facharztvertrag zur Urologie starten und den Orthopädievertrag um ein neues Rheumatologie-Modul erweitern will.

„Die HZV ist die mit Abstand wichtigste Errungenschaft der letzten 20 bis 30 Jahre“, lobte Dr. Berthold Dietsche, Vorsitzender des Hausärzteverbandes in Baden-Württemberg. Sie werte den Hausarztberuf durch bessere Rahmenbedingungen auf: Mehr Zeit für Patienten durch weniger Abrechnungsaufwand, mehr Qualität in der Versorgung auch durch die Unterstützung der VERAH® und planbares Honorar. Dies ermögliche auch, für junge Hausärzte attraktive Praxisformen wie Hausarztzentren zu schaffen und auf den Trend zur Anstellung einzugehen, sagte Dietsche.

Medi-Vorsitzender Dr. Werner Baumgärtner resümiert: „Die Arbeitszufriedenheit ist deutlich höher als in der KV-Regelversorgung.“ Denn es gebe keine Fallzahlbegrenzung oder Abstaffelung.

Die Studie zum Herunterladen.

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