Sondierungsgespräche“Die Finanzierung der Hausarztmedizin muss stehen”

„Zweiklassenmedizin", „Einheitsversicherung": Die letzten Stunden der Sondierungsgespräche stehen auch im Zeichen der Bürgerversicherung – und einer hitzigen Debatte um Pro und Contra. Hausärzteverbands-Chef Ulrich Weigeldt mahnt nun, den Blick zu schärfen.

„Dicke Brocken”: Das sind laut SPD-Chef Martin Schulz einige der Themen, die in den Sondierungsverhandlungen am Donnerstag noch zu klären waren. Am Donnerstagabend sollen die Gespräche über eine Fortsetzung der Großen Koalition beendet werden. Doch bis zuletzt waren zentrale Steuer- und Finanzfragen, aber auch wesentliche Entscheidungen in den Bereichen Gesundheit und Pflege offen.

Für politischen Zündstoff in den Beratungen von Union und SPD sorgte dabei vor allem die Bürgerversicherung. Für die Sozialdemokraten war sie bis zuletzt zentrale Forderung, für die Union ein Dorn im Auge. So betonte SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach Medienberichten zufolge, dass man „bis zum Schluss” um ein neues Modell der Krankenversicherung kämpfen wolle. Die Union hingegen lehnte eine Bürgerversicherung bis zum Ende der Sondierungsgespräche deutlich ab.

Für Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, ist die Debatte um Pro und Contra der Bürgerversicherung in vielen Bereichen ein nicht zielführendes Operieren mit Schlagwörtern. Das betonte er am Donnerstag vor Journalisten in Berlin. „Für uns Hausärzte ist das Label weniger entscheidend als vielmehr sicherzustellen, dass die Versorgung unserer Patienten auch in Zukunft sichergestellt ist und die Finanzierung der Primärversorgung auf vernünftigen Füßen steht.” Ob eine Bürgerversicherung das kann, hänge von der konkreten Ausgestaltung ab, betonte Weigeldt.

Durchaus Skepsis, aber keine Panikmache

Deutlich zurückgewiesen hat Weigeldt das „Aufbauen von Gespenstern”, mit dem andere Ärztevertreter in den vergangenen Tagen mediale Aufmerksamkeit erregt hatten. So zeichnete Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender des NAV-Virchow-Bunds, in einem Schreiben an dessen Mitglieder ein Szenario von Praxisschließungen. Die Bürgerversicherung bezeichnete er als Einstieg in eine “echte Zweiklassenmedizin”, Auslöser von langen Wartezeiten sowie Verursacher von Beitragssteigerungen für Versicherte.Auch Bundesärztekammerpräsident Professor Frank Ulrich Montgomery hatte zu Beginn der Sondierungsgespräche vor immensen Kosten und einem Anstieg des durchschnittlichen Beitragssatzes von 15,7 auf 16,7 Prozent gewarnt.

Hausärzteverbands-Chef Weigeldt will in diese Panikmache nicht einsteigen. Gleichwohl meldete er deutliche Skepsis an. Etwa in Sachen einheitlicher Gebührenordnung für GKV- und PKV-Leistungen: Mit einem Blick auf die zähe Arbeit allein an einer neuen GOÄ sei zu bedenken, dass dies kein Prozess sein könne, der von heute auf morgen passiert. Auch müssten andere Gesundheitsberufe wie Physiotherapeuten und Hebammen einbezogen werden.

Probleme liegen in anderen Bereichen

Für den hausärztlichen Alltag sei die Bürgerversicherung ohnehin nicht das primäre Thema, meint Weigeldt. Fünf bis zehn Prozent der Patienten seien privat versichert, analog dazu gestalte sich auch der Anteil privater Leistungen am Honorar. „Für uns sind andere Fragen im Prozess der neuen Regierungsbildung viel wichtiger.” So stehe für die Hausärzte etwa die Durchlässigkeit an den Sektorengrenzen über einer Durchlässigkeit zwischen PKV und GKV.

Er kündigte jedoch an, dass die Hausärzte den Prozess der konkreten Ausgestaltung im Fall einer Reform des Krankenversicherungssystems konstruktiv begleiten würden, solange die Finanzierung der Hausarztmedizin gesichert sei.

Prinzipiell sei der Hausärzteverband dabei nicht gegen Wettbewerb im Krankenversicherungssystem. So sei die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) ein erfolgreiches Beispiel für einen Wettbewerb, der die Patientenversorgung deutlich verbessere.

Kompromisse möglich

Ein Kompromiss in Sachen Gesundheitssystem könnte letztlich weg von Bürgerversicherung und Honorarordnung hin zu einer paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung führen, wurde am Donnerstag in Berlin spekuliert. So könnte ein möglicher Kompromiss zwischen den Verhandlungspartnern bedeuten, dass die Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung wieder zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen werden.

Alle drei Verhandlungspunkte waren bis Donnerstagabend offen.In anderen Bereichen hingegen haben Union und SPD bereits gemeinsame Positionen gefunden. Etwa in Sachen Glyphosat: Das möglicherweise krebserregende Pestizid hatte zuletzt ebenfalls für Ärger zwischen den Parteien gesorgt. Laut einem Eckpunktepapier der zuständigen Arbeitsgruppe streben nun aber beide Seiten an, die Anwendung so schnell wie möglich grundsätzlich zu beenden.

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