InterviewIm Schadenfall richtig handeln

An erster Stelle bei Schadenfällen der Berufshaftpflicht rangieren chirurgische und orthopädische Fälle. Doch auch in der Allgemeinmedizin ist mitunter die Berufshaftpflicht gefragt. Rechtsanwalt Patrick Weidinger gibt Tipps, wie Sie sich bei einem möglichen Behandlungsfehler richtig verhalten.

Die größten Schadenpotentiale bergen Befunderhebung und Diagnose.

Berufshaftung in der Allgemeinmedizin – ein sprödes, aber auch ein wichtiges Thema für Hausärztinnen und Hausärzte. Denn im Haftungsfall drohen ernste Konsequenzen. Welche Schadenfälle sind in der allgemeinmedizinischen Praxis am häufigsten?

Patrick Weidinger: Zuerst fällt mir die letzte Statistik der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen ein. Darin stehen die Hausärztinnen und Hausärzte im niedergelassenen Bereich auf Platz zwei der Antragshäufigkeit. Hier spielen die Diagnosefehler die größte Rolle. Dies entspricht auch meiner beruflichen Erfahrung.

Können Sie ein paar typische Beispiele für Schadenfälle nennen?

Die größten Schadenpotentiale bergen Befunderhebung und Diagnose. Zum Beispiel, wenn Schwindel und Taubheitsgefühl in den Extremitäten ohne weiteres unter BWS-Syndrom subsumiert und die tatsächlich vorliegende Subarachnoidalblutung nicht ausgeschlossen wird. Oder wenn bei schmerzhaftem Ziehen in der Brust nur an eine Zerrung gedacht wird und nicht an einen Herzinfarkt.

Naturgemäß ist das Schadenspektrum bei Hausärztinnen und Hausärzten aber viel breiter: Da wird die Empfehlung eines Krankenhauses zum Ausschleichen eines Medikamentes überlesen. Oder es wird ein die Nieren schädigendes Psychopharmakon auf Patientenwunsch verschrieben.

Oder die Hausärztin verkennt bei einem Patienten eine Beinvenenthrombose nach einer Flugreise, sodass er an einer Lungenembolie stirbt. Oder ein Hausarzt löst durch eine Injektion einen Pneumothorax aus. Oder es wird ein Blinddarmdurchbruch verkannt – und das sind nur einige Fälle.

Sehen Sie bei diesen Fällen ein grundsätzliches fachliches Defizit?

Eindeutig nein. Es sind ja durchweg gute Ärztinnen und Ärzte, denen nach Jahren erfolgreicher Arbeit plötzlich ein Fehler passiert. Natürlich kann im Einzelfall ein fachliches Defizit eine Rolle spielen. Aber nach meinem Eindruck handelt es sich oft um ein Augenblicksversagen – für welches das Risiko mit zunehmendem Zeitdruck steigen dürfte. Es gilt also, sich für jeden Patienten Zeit zu nehmen, Störungen auszuschalten und möglichst im Zustand permanenter Achtsamkeit zu arbeiten.

Wer haftet eigentlich im Falle eines Falles? Wie steht es dabei mit MFA oder angestellten Ärztinnen oder Ärzten?

Es haften sowohl Praxisinhabende aus dem Behandlungsvertrag als auch Angestellte aus sogenannter unerlaubter Handlung. Für die Anspruchserhebung haben Betroffene ab Kenntnis der Haftungssituation drei Jahre Zeit. Für Aufklärungspflichtverletzungen gilt dies analog.

Gesetz und Rechtsprechung sehen in bestimmten Fällen Beweiserleichterungen für Patientinnen und Patienten vor, zum Beispiel bei einem groben ärztlichen Fehler. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung vom November 2021 wurde eine zusätzliche Stärkung der Patientenrechte vereinbart.

In der Folge diskutiert die Politik nun über weitere Haftungsverschärfungen, zum Beispiel einen Ursachenzusammenhang zwischen einem Behandlungsfehler und der Gesundheitsverletzung schon dann anzunehmen, wenn es dafür eine bestimmte Wahrscheinlichkeit gibt.

Ansonsten sind neue Entwicklungen insbesondere durch den Bundesgerichtshof geprägt. Ein Beispiel: Nach wie vor ist es so, dass nicht festgehaltene dokumentationspflichtige Maßnahmen rechtlich gesehen gar nicht stattgefunden haben.

Nun kommt hinzu, dass die elektronische Dokumentation schon von vorneherein keinen Beweiswert hat, solange sie technisch nicht sicherstellt, dass Dokumentiertes nicht gelöscht werden kann.

Was dürfen Ärzte und Ärztinnen Patienten im Zuge eines Streitfalles überhaupt sagen, ohne ihren Versicherungsschutz zu gefährden?

Ehrliche Sachverhaltsbeschreibungen sind möglich und sollten auch die Regel sein. Nur ein echtes Anerkenntnis, etwa so: “Ich bin schuld und komme für die finanziellen Folgen auf”, sollte man nicht ohne Abstimmung mit dem Versicherer abgeben.

Denn das Anerkenntnis schafft für die Patientinnen und Patienten einen eigenen Anspruchstatbestand, der Forderungen auch dann begründen kann, wenn sich die vermeintliche Haftung für ein unerwünschtes Ereignis wie einen Spritzenabszess nicht bestätigt. Mit dieser Folge einer grundlosen Selbstverpflichtung braucht sich der Versicherer dann nicht zu beschäftigen.

Verständlicherweise sind Patientinnen und Patienten bei der Beschädigung ihrer Gesundheit durch Ärzte besonders sensibel und aufgebracht. Was können Ärztinnen und Ärzte tun, um Eskalationen bei Patientenvorwürfen zu vermeiden?

Man sollte sich zunächst einmal bewusst machen, dass es ein natürlicher menschlicher Reflex ist, auf Vorwürfe mit Verteidigung zu reagieren. Aber genau das sollte man nicht tun. Denn Betroffene nehmen den Behandelnden in der Regel als den Stärkeren wahr. Und genau

das gibt die Möglichkeit zu deeskalieren, indem man das Problem der Patientinnen und Patienten ernst nimmt, Hilfe anbietet und einen Lösungsweg aufzeigt.

So könnten Ärztinnen oder Ärzte zum Beispiel sagen: “Ich werde die Sache meiner Haftpflichtversicherung melden. Die wird sich kurzfristig bei Ihnen melden. Sollte ich schuld sein und den Schaden verursacht haben, gehe ich davon aus, dass die Versicherung dafür aufkommt”.

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