Wirtschaft + PraxisPersonalisierte Medizin: Segen für Patienten – Fluch für Versicherer?

Die personalisierte Medizin verspricht passgenaue Therapien für Patienten. Was für Betroffene große Vorteile und bessere Heilungschancen mit sich bringen kann, stellt die (privaten) Versicherer vor große Herausforderungen.

Die Idee der personalisierten Medizin ist weder komplett neu noch Science Fiction. Mittels neuer Ansätze und Tests sollen die Risikofaktoren der Patienten für verschiedene Krankheiten besser erkannt und die Therapie zielgerichteter abgestimmt werden. Damit verbunden ist die Hoffnung auf höhere und schnellere Wirksamkeit therapeutischer Ansätze und Medikamente sowie weniger unerwünschte Wirkungen.

Die Forschung und Entwicklung passgenauer Konzepte läuft auf Hochtouren. Ein Beispiel ist die zielgerichtete Erkennung und Behandlung von Her2-positiven Brustkrebspatientinnen. Doch die tiefgehende Forschung führt dazu, dass es für Krankheiten immer mehr kleinteiligere Gruppierungen gibt. Während man in den 1950er Jahren unspezifisch von „Blutkrankheit“ sprach, gab es 1960 die Leukämie. Zehn Jahre später unterteilte sie sich in chronische, akute Leukämie sowie Präleukämie. 2010 splittert sich das Krankheitsbild in 34 Leukämie-Typen und 52 Lymphome auf.

Die genauen Spezifizierungen, die für die Behandlung möglicherweise ein Segen sein können, stellen die privaten Versicherer hingegen vor eine große Herausforderung. Denn die Grundlagen, nach denen private Versicherungen wirtschaften, sind das Äquivalenzprinzip (Summe der Einnahmen und Ausgaben müssen gleichwertig sein), das Prinzip einer risikoabhängigen Prämie, welche prospektiv festgesetzt wird sowie die Freiheit der versicherten Person, die gewünschten Leistungen zu wählen.

Für einen Versicherungsarzt, der bei einem Antrag einer Person für eine PKV oder eine Lebensversicherung über das Risiko dieser Person, im Laufe des Lebens an bestimmten Krankheiten zu erkranken, zu entscheiden hat, gibt es nur diesen einen Zeitpunkt. Die Prognose bezieht sich auf die Momentaufnahme während der Antragstellung, ist nach vorne auf die Vertragslaufzeit gerichtet und – bei Hinzukommen weiterer Risikofaktoren – nicht mehr modifizierbar.

Die Grundlagen, die diesen Berechnungen zugrunde liegen, werden laufend aktualisiert, beziehen sich aber logischerweise immer auf die Entwicklung in der Vergangenheit, aus welcher dann Aussagen für die Risikoentwicklung in der Zukunft getroffen werden müssen. So konnte sich eine HIV-positive Person vor 30 Jahren nicht privat versichern – heute ist das möglich.

Folglich werden die einzelnen Risikogruppen durch die immer weitere Aufsplitterung immer kleiner, gleichzeitig sind Aussagen über die Prognose noch nicht im gleichen Maße zuverlässiger möglich. Für die Versicherer spielen vier Aspekte eine wichtige Rolle.

1. Antiselektion

Antiselektion heißt, dass eine Person, die weiß, dass sie ein erhöhtes Risiko für eine (genetische) Erkrankung hat, sich mehr dafür interessiert, eine Lebensversicherung abzuschließen und für die Absicherung der Angehörigen zu sorgen, als eine Person, der die Erkrankung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht droht. So findet quasi eine Negativauslese statt, die sich um Verträge bei Versicherungen bemüht.

Die Versicherer fordern daher, dass beiden Seiten bei Vertragsabschluss dieselben Informationen vorliegen müssten – also Ergebnisse durchgeführter (Gen) Tests beispielsweise. Das Gendiagnostikgesetz erlaubt es den Antragstellern jedoch, solche Testergebnisse für sich zu behalten.

2. Diskriminierung

Versicherer unterscheiden zwischen fairer und unfairer Diskriminierung. Eine „Bestrafung“ von Versicherten durch eine Mehrprämie (unfaire Diskriminierung) darf es nicht geben: Jeder 40-jährige mit den gleichen Parametern muss die gleiche Prämie erhalten. Hingegen basiert das Berechnungsprinzip der Versicherungen auf der Risikoabschätzung – im Gegensatz zum Solidarprinzip der gesetzlichen Krankenkassen und Sozialversicherer.

Diese wird nicht nur wegen der bereits genannten Aspekte immer schwieriger, sondern auch, weil den Versicherern die Unterscheidung untersagt wird: Verträge für Frauen dürfen sich in der Prämie nicht von denen für Männer unterscheiden, Behinderungen dürfen nicht in die Risikobetrachtung einfließen usw.

3. Datenschutz

Bereits jetzt – und künftig noch in größerem Umfang – werden individuelle Gesundheitsdaten gesammelt. Doch wem gehören die Daten? Dem Patienten? Wie kann er entscheiden, wem er sie zur Verfügung stellen will? Wenn die Daten aufgrund von datenschutzrechtlichen Aspekten nicht mehr herangezogen werden dürfen, fehlt Versicherungsmathematikern jegliche Grundlage für die Risikokalkulation.

4. Gesundheitskosten

Aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit lässt sich mit relativ großer Sicherheit vorhersagen, dass die Gesundheitsausgaben weiter steigen werden. In welchem Umfang die personalisierte Medizin einen Einfluss haben wird, ist noch unklar. Am Beispiel Hepatitis C lässt sich aber zeigen, dass ein sehr teures Medikament dennoch wirtschaftlich sinnvoll sein kann. Wo jedoch der Wendepunkt erreicht ist, an dem Versicherer etwas nicht mehr bezahlen, muss sich erst herausstellen.

Grundsätzlich gilt die Faustformel, dass in der privaten Versicherungswirtschaft 20 Prozent der Versicherten für 80 Prozent der Kosten verantwortlich sind. Im Optimalfall würde ein stärker personalisierter Ansatz dafür sorgen, dass Patienten schneller genesen oder schneller die passende Therapie erhalten, was wiederum Kosten sparen würde.

Die personalisierte Medizin wird immer stärker Einzug in den medizinischen Alltag halten, wenngleich die Entwicklung 2025 wohl noch nicht bei einer neuen Taxonomie und einem Ganzkörperansatz angekommen sein dürfte, wie es der NHS in England in seiner Vision für die personalisierte Medizin [(Improving outcomes through personalised medicine)](http://hausarzt. link/vknNc) optimistisch einschätzt. Mit immer mehr testbaren Risikofaktoren wird es vermutlich eine Entwicklung von der Reparaturmedizin hin zur Präventionsmedizin geben.

Private Versicherungen könnten sich daher neu positionieren: Vom ehemals reaktiven Leistungszahler bei Krankheit zu einem proaktiven Risikomanager mit Motivationsaspekten und anpassbaren Tarifen. Bis dahin fließen aber noch Milliarden Liter an Blut durch arteriosklerotische Gefäße.

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