BaurechtBarriere Bau: Ärztinnen und Ärzte nicht allein lassen

Händeringend suchen viele Gemeinden Hausärztinnen und Hausärzte, die sich bei ihnen niederlassen, und lassen dafür Fördergelder fließen. Ein Hemmnis haben Landräte, Bürgermeister und Co. aber häufig nicht auf dem Schirm: das Baurecht. Mit dem "Aktionsplan für ein barrierefreies Gesundheitswesen" könnte dies bald für mehr Praxen relevant werden.

Barrierefreie Praxis: Wer in Deutschland bauen will, muss sich an zahlreiche Vorschriften halten.

Ihre Praxis platzt aus allen Nähten. Daher will Hausärztin Dr. Verena Gall die Räume vergrößern, um mit ihrem Team die Menschen in Mommenheim besser zu versorgen (s. Kasten unten). Wochenlang hat sie Baugesetze gewälzt, mit Architekten geplant, mit Behörden und Landrätin gesprochen – genutzt hat ihr das bislang wenig. Seit mehr als zwei Jahren legt die Untere Baubehörde die Praxiserweiterung auf Eis.

Der Fall von Verena Gall zeigt: Auf dem Papier können Politik und Selbstverwaltung viele Ideen zur Bedarfsplanung und Sicherung der hausärztlichen Versorgung entwickeln, gebaut wird vor Ort. Und wer in Deutschland bauen will, muss sich an zahlreiche Vorschriften halten.

“Bei uns gibt es im Bebauungsplan zum Beispiel Ausnahmen für Gewerbetreibende und Landwirte, die ihnen das Bauen erleichtern”, erzählt Gall. “Mir als Freiberuflerin wird hingegen die Ausnahme verwehrt.” Dabei dienen Praxen doch dem Gemeinwohl, sie sichern nicht nur die medizinische Versorgung, sondern schaffen sogar Arbeitsplätze. Im Baurecht müsse sich etwas ändern, fordert Gall.

Bessere Beratung nötig

Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband sieht hier die Gemeinden als Hebel. “Vielerorts gibt es nicht nur von KVen, sondern auch von Gemeinden Niederlassungsförderungen. Das wird natürlich ad absurdum geführt, wenn im nächsten Schritt die Kolleginnen und Kollegen bei nötigen Bauvorhaben komplett im Regen stehen gelassen werden”, sagt Bundesvorsitzender Dr. Markus Beier.

Angesichts von Berechnungen [1], wonach in zehn Jahren bundesweit rund 11.000 Hausärztinnen und -ärzte gebraucht werden und etwa 40 Prozent der Gemeinden eine Unterversorgung droht, sollten diese daran interessiert sein, Praxen auf allen Wegen zu unterstützen. Ein Ansatzpunkt muss eine bessere Beratung und Begleitung bei ärztlichen Bauvorhaben sowie dann auch Förderung sein, fordert Beier.

Schwieriger wird es hingegen bei Ausnahmen vom Bebauungsplan. Hier stehen Bauherren und oft auch Kommunen einem komplexen Geflecht aus Baugesetzbuch, Länderbauordnung, Baunutzungsverordnung und örtlichem Bebauungsplan gegenüber. Konnte früher viel lokal entschieden werden, obliegen heute die meisten Aufgaben der Untersten Baubehörde, vielerorts (gerade in kleinen Gemeinden) dem Landratsamt.

Wird barrierefrei für alle Pflicht?

Dieses schwer durchschaubare Geflecht aus Gesetzen und behördlichen Zuständigkeiten könnte künftig für mehr Ärztinnen und Ärzte an Relevanz gewinnen. Zum einen werden Praxen mehr in größeren Einheiten arbeiten, die ggf. Umbauten erfordern, erwartet Hausärztin Gall mit Blick auf das HÄPPI-Konzept des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes. Zum anderen will das Bundesgesundheitsministerium (BMG) bis zum Sommer den “Aktionsplan für ein barrierefreies Gesundheitswesen” erarbeiten.

In diesem Zuge sprach sich zuletzt der Regierungsbeauftragte für Menschen mit Behinderungen Jürgen Dusel dafür aus, Arztpraxen zur Barrierefreiheit zu verpflichten [2]. Bislang gilt dies nur für Neubauten sowie Umnutzungen (also etwa vom Wohnraum zur Praxis); zudem kann es bei Praxisumbauten zu berücksichtigen sein.

“Natürlich wäre es toll, wenn alle Praxen komplett barrierefrei zugänglich wären. Die Kolleginnen und Kollegen tun dafür, was sie können”, sagt Beier. “Man muss aber auch klar sagen: Alle Praxen barrierefrei umzubauen, auch die Bestandspraxen, wäre ein unglaubliches Mammutprojekt. Das werden die Praxen nicht stemmen können. Viele müssten dann schließen. Das kann niemand wollen.”

Ein Schlupfloch lassen die Landesbauordnungen in der Regel jetzt schon. In Paragraf 50 Muster-Bauordnung, an der sich die Länder orientieren, heißt es sinngemäß: Ausnahmen von der Barrierefreiheit sind möglich, wenn es etwa schwere Gelände- oder Bauverhältnisse oder eine ungünstige bestehende Bebauung gibt, die zu unverhältnismäßigen Kosten führen können. Dies erfordert aber immer eine baurechtliche Prüfung im Einzelfall.

Es wäre also möglich, dass beispielsweise die Installation eines Aufzugs unverhältnismäßig wäre, aber andere Barrieren (etwa optisch oder akustisch) abgebaut werden müssen. Paragraf 50 ist somit keine grundsätzliche Ausnahme von einer möglichen Pflicht zur Barrierefreiheit, er gibt den Behörden aber im Einzelfall Spielraum.

29 Gesetze und Normen

Die baurechtlichen Absurditäten werden bei der Barrierefreiheit besonders deutlich, sind die Vorgaben doch auf unzählige Quellen verteilt. Ein Gutachten [3] für die KBV aus 2015 listet dazu allein 29 Gesetze, Verordnungen und DIN-Normen auf. Die Krux: Was genau im Einzelfall gilt, ist oft wieder Auslegungssache der Behörde auf Basis der Bauordnung. Was das bedeuten kann, hat Hausärztin Dr. Verena Gall beim Neubau ihrer Praxis erfahren.

Weil das Bauamt langsam reagierte, hatte sie einen Aufzug mit einer Traglast von 315 kg eingebaut. Im Nachgang forderte die Gleichstellungsbeauftragte 350 kg. Woher die Vorgabe kommt, konnte auch die KV nicht beantworten. Beim Nachbohren rückte die Beauftragte heraus: Sie habe sich an der Deutschen Bahn orientiert. Die erheblichen Mehrkosten musste Gall tragen.

Ebenso bei der Patiententoilette: Auf den letzten Drücker musste umgebaut werden, weil ein barrierefreier Zugang von beiden Seiten nötig sei. “Zudem forderte die Beauftragte, dass die Haltegriffe bis zu 100 kg belastbar sein müssen”, erzählt Gall. Auf Autobahnraststätten seien es nur 70 kg.

Das macht sich im Geldbeutel bemerkbar: Während die Haltegriffe für Autobahntoiletten um die 100 Euro kosten, sind die 100 kg-Griffe etwa zehnmal so teuer. Laut Gall braucht es daher Transparenz, welche Vorgaben verbindlich sind.

Technikvorgaben in DIN 18040-1

Die Landesbauordnungen und das Behindertengleichstellungsgesetz formulieren meist nur allgemein: “Barrierefrei sind bauliche Anlagen (…), wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.” Dagegen macht die in 2023 überarbeitete DIN-Norm 18040-1 für Gesundheitseinrichtungen konkrete Technikvorgaben.

Verbindlich ist eine DIN aber nicht per se! Inzwischen haben die meisten Länder diese jedoch in ihren Bauordnungen als technische Planungsgrundlage eingeführt.

Tipp: Übersichtlich zusammengefasst findet sich die DIN – auch für Architekten – auf www.nullbarriere.de. Für Arztpraxen gibt es dort eine Checkliste zur Barrierefreiheit: www.hausarzt.link/BDfWb

Umbau ist besonders teuer

Mehr Klarheit herrscht bei den Kosten. Erfahrungen von Architekten und Studien zeigen: Wird Barrierefreiheit beim Neubau mitgeplant, halten sich die Mehrkosten meist in Grenzen. Hingegen wird es beim Umbau von Bestandsbauten teils horrend, vor allem wegen Aufzügen.

Das Gutachten für die KBV rechnet drei Muster-Beispiele, bei denen der Preis zwischen 29.000 und 175.000 Euro differiert [3]. Und das war 2015, seitdem haben die Baupreise durch Pandemie, Lieferengpässe und Inflation extrem angezogen.

Förderzuschuss statt Kredit

“Eine grundsätzliche Pflicht zur Barrierefreiheit für alle Praxen wäre nur handhabbar, wenn sie auch gegenfinanziert würde. Dafür müssten große Fördertöpfe aufgelegt werden. Ansonsten müssten viele Praxen aufgeben”, fordert Beier.

Allerdings sah die Bundesregierung dies im Sommer 2023 noch anders. Dem Abgeordneten Hubert Hüppe (CDU) antwortete das BMG, ein Förderprogramm sei nicht geplant [4]. Dies sei nicht nötig, da “die KfW-/ERP-Förderkredite zur Finanzierung von Investitionen in die Barrierereduzierung freiberuflicher Praxen in Anspruch genommen werden” können. Zunächst bleibt sowieso abzuwarten, wie der Aktionsplan im Sommer konkret aussehen wird.

Dass Barrierefreiheit in Praxen auch unproblematisch gelingen kann, beweisen die hausärztliche Praxis von Dr. Christian Brodbeck und Dr. Christoph Kommerell (siehe Artikel “Barrierefrei: So geht´s“) sowie der Neubau von Dr. Jennifer Demmerle. Vor zwei Jahren hatte sie mit dem Bau in Winnweiler begonnen.

In der Altbau-Praxis wurde es nicht nur zu eng, auch die Treppe zwischen den beiden Ebenen war ungünstig. Jetzt ist der Neubau fertig und dem Team stehen rund 550 in dem 2.000 qm umfassenden Gebäude zur Verfügung. Derzeit ziehen die Fachärztin für Allgemeinmedizin, ihre Praxispartnerin und ein angestellter Hausarzt mit ihrem MVZ Nordpfalz in das komplett barrierefreie Gebäude.

Von der Gemeinde wurde das Ärzteteam toll unterstützt. “Wir haben unfassbares Glück”, sagt Demmerle. Nicht nur das Grundstück wurde zur Erbpacht angeboten, die Gemeinde übernahm sogar die Bürgschaft für die Baukosten.

Quellen:

  1. Gesundheitszentren für Deutschland. Robert Bosch Stiftung (Hg.). 2021; (zuletzt abgerufen am 27.3.24)
  2. Göpel G., Praxen zur Barrierefreiheit verpflichten? Tagesspiegel Background, 20.12.23
  3. Gutachten zu Investitionen in eine barrierearme Arztpraxis, Architektur- und Ingenieurbüro Opper; (zuletzt abgerufen am 27.3.24)
  4. BT-Drucksache 20/7053 vom 26.5.23; (zuletzt abgerufen am 27.3.24)
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