Organspende„Wir brauchen mehr Flexibilität in der Beratung“

Seit gut einem Jahr können Hausärztinnen und Hausärzte alle zwei Jahre ein Beratungsgespräch zur Organspende abrechnen. Ebenso lang stellen Deutscher Hausärzteverband und Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) Infomaterialien für Praxen bereit. Nun ziehen sie positive Zwischenbilanz - und sprechen im Interview darüber, wie das Gespräch im Praxisalltag organisiert werden kann.

Organspendeausweis im Arzt-Patienten-Gespräch: Alle zwei Jahre können Hausärztinnen und Hausärzte die Organspendeberatung gezielt anbieten und abrechnen.

Erlauben Sie uns einen Blick in Ihr Portemonnaie: Welches Datum trägt Ihr Organspendeausweis?

Dr. Markus Beier: Tatsächlich trägt das Plastikkärtchen in meinem Portemonnaie ein junges Datum: Ich habe den Umzug nach Berlin nach meiner Wahl zum Bundesvorsitzenden genutzt, die neue Meldeadresse zu hinterlegen und den Ausweis zu erneuern.

Prof. Martin Dietrich: Auch mein Kärtchen ist ganz neu, konkret vom 2. Februar 2023. Mein vorheriger Papierausweis war schon ganz zerfleddert (lacht).

Seit 1. März 2022 können Hausärztinnen und Hausärzte nach dem Transplantationsgesetz ein Gespräch zur ­Organspende alle zwei Jahre abrechnen. Hat diese Neuerung wirklich einen Aufschwung gebracht – oder haben sie zu dem Thema nicht schon immer beraten?

Beier: Das stimmt, wir haben von jeher zu den Themen Organspende und Patientenverfügung beraten. Doch das waren häufig individuelle, spontane Situationen, in denen die Patientinnen und Patienten in der Regel auf uns zugekommen sind. So unglücklich das Gesetz im EBM umgesetzt worden ist, so sehr hat es doch geholfen, die Beratung nun im Praxisalltag zu verankern und dem Thema einen neuen Schub zu geben.

Dietrich: Diese Wahrnehmung teile ich. Das unterstreichen auch die Bestellvorgänge bei uns: Zwischen 1. März und 31. Dezember 2022 wurden knapp 700.000 Exemplare der Basisbroschüre zur Organ- und Gewebe­spende versendet, außerdem sage und schreibe 4,2 Millionen Organspendeausweise. Diese Bestellzahlen zeigen: Die Ärztinnen und Ärzte engagieren sich für die Organ- und Gewebespende.

Auch die Abrechnungszahlen scheinen das zu stützen: Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) wurden zwischen 1. März und 30. September 2022 rund 1,7 Millionen Beratungen abgerechnet. Entspricht das auch der Zahl der tatsächlichen Gespräche oder vermuten Sie hier eine noch höhere Zahl?

Beier: Eine Zahl vermittelt natürlich immer den Eindruck: Das ist die Realität. Aber ich möchte gern an die Beratung zur Patienten­verfügung erinnern, für die es ja keine Abrechnungsziffer gibt. Diese wird von Hausärztinnen und Hausärzten nebenher oder mitunter auch als Individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) erbracht. Auch in diesem Zusammenhang beraten wir immer wieder zum Thema Organspende. Oder in individuellen oder familiären Krisensituationen, in denen das Thema aufkommt, ohne dass abgerechnet wird. Das beinhaltet sicher ein gewisses Maß an Spekulation, aber ich bin mir sicher, dass die Zahl der tatsächlichen Beratungen deutlich höher liegt als die Abrechnungen der 01480.

Dietrich: Wenn man die Zahlen als Indikator verstehen möchte, inwiefern die Beratung in den Praxen angekommen ist, sind sie ein wichtiges Zeichen dafür, wie zentral die hausärztliche Rolle ist. Für uns sind die heute auf dem Tisch liegenden Zahlen der Beweis, dass der Weg über die Hausärztinnen und Hausärzte der richtige ist.

Welche Tipps haben Sie ganz konkret für hausärztliche Kolleginnen und Kollegen: Bei welchen Beratungsanlässen lässt sich im Praxisalltag über die Organspende sprechen?

Beier: Meine Praxis hat die Beratung systematisch in die Gesundheitsuntersuchung (GU) aufgenommen. Unserer Erfahrung nach ist es sinnvoll, das Thema von sehr bedrängenden, akuten Situationen zu entkoppeln und im Kontext von Präventionsleistungen anzusprechen. Alle Praxen, die ich kenne, haben es daher in Routinen eingebunden, in denen nichts schwerwiegend Gesundheitliches besprochen wird. Hilfreich ist auch, die Beratung als Teamleistung zu denken und das Thema auch durch die MFA anzusprechen oder Infomaterial auszulegen. Manchmal braucht es eine Wiederholung und auch einen zeitlichen Verzug, sich damit auseinanderzusetzen.

Was ist für das Arzt-Patienten-Gespräch grundlegend wichtig?

Beier: Bei der Organspende geht es um das Thema Tod, und es ist menschlich, sich nicht mit dem Tod beschäftigen zu wollen. Unser Auftrag ist, hier einzuhaken.

Dietrich: Das Verhältnis von Patienten zu ihrem Hausarzt oder ihrer Hausärztin ist durch ein besonderes Vertrauen gekennzeichnet. In dieser positiven Atmosphäre kann auch die Organspende als gute Tat für einen anderen Menschen angesprochen werden. Aus der individuellen Entscheidung wird etwas Sinnvolles für die Gesellschaft. Ein anderer Gedanke: Was würde ich mir wünschen, wäre ich auf ein Spenderorgan angewiesen?

Im EBM sind für das Gespräch fünf Minuten veranschlagt, was der Hausärzteverband seit jeher kritisiert. Was bedeutet das für den Praxisalltag?

Beier: Mit dieser Regelung wird uns jegliche Flexibilität genommen! Natürlich gibt es viele Gespräche, die tatsächlich nur fünf Minuten brauchen, vor allem, wenn sie in Routine- Anlässe eingebettet sind. Dauert aber ein Gespräch länger oder bietet sich außerhalb des Zwei-Jahres-Rhythmus ein Gesprächsanlass, etwa aufgrund einer Erkrankung oder Situation in der Familie, haben wir Stand heute keinerlei Spielraum. Da ist die Organspendeberatung nur ein Beispiel von vielen. Indem im EBM Plausibilität über Arzt-Patienten-Kontakte (APK) und Zeitvorgaben geprüft wird, wird die Versorgung in ein starres Korsett gepresst. Genau diese APK-Logik verbietet es uns dann auch, dass unsere geschulten MFA und VERAH® die Beratung anbieten – obwohl sie dazu sehr wohl in der Lage wären.

Ziel der Politik ist explizit, die Spenderzahlen zu erhöhen. Gleichzeitig ist vorgegeben, dass die Beratung „ergebnisoffen“ erfolgen muss. Empfinden Sie das als Zwickmühle für Hausärzte?

Dietrich: Nein. Wir wissen aus unseren Befragungen, dass sehr viele Menschen eine positive Einstellung zur Organspende haben. Wir müssen mit den Menschen ins Gespräch kommen und sie motivieren, ihre positive Grundhaltung in eine Entscheidung zu überführen und diese zu dokumentieren. Es geht darum, das vorhandene Potenzial wirksam auszuschöpfen.

Zu der erhöhten Aufmerksamkeit für das Thema hat sicher auch die Diskussion Entscheidungslösung versus Widerspruchslösung beigetragen…

Dietrich: Ja, durchaus.

Beier: Dass einige – weil die Spenderzahlen eben noch nicht so hoch sind wie idealerweise möglich – reflexartig immer wieder nach der Widerspruchslösung rufen, empfinde ich Stand heute jedoch nicht als hilfreich. Auch wenn ich persönlich eine starke Tendenz zur Widerspruchslösung in mir trage, halte ich es gesamtgesellschaftlich für ein schwieriges Zeichen, die politische Debatte wieder zu öffnen, obwohl sich der Bundestag ja bereits dagegen entschieden hat. Denn das kann die Politik auch diskreditieren. Ich plädiere vielmehr dafür, die eben von Prof. Dietrich skizzierte positive Grundhaltung zu nutzen und darauf zu fokussieren, wie wir noch mehr ins Gespräch kommen können.

Dietrich: Die Organspende ist ein multifaktorielles Geschehen: Neben der individuellen Entscheidung gibt es auch andere Einflussfaktoren wie die Organisation in den Kliniken, aber auch das Alter der Spender sowie deren Vorerkrankungen, Vergütungssysteme und die Transparenz insgesamt.

Mit Blick auf die Zukunft: Wo wünschen Sie sich Unterstützung, um die Beratung in den Hausarztpraxen praxistauglicher zu machen?

Beier: Es muss Aufgabe der Selbstverwaltung sein, die Teams zu stärken. Ärztinnen und Ärzte müssen letztlich immer in der Verantwortung sein – aber wir haben in gut laufenden Hausarztpraxen immer auch ein starkes Team, in dem die Patientinnen und Patienten zu den MFA ein ebenso vertrauensvolles Verhältnis haben wie zu den Ärztinnen und Ärzten. Hier könnte man sicher noch Arztentlastung schaffen, indem man sich Richtung Teamberatung bewegt.

Dietrich: Wir würden es begrüßen, wenn die Information zur Organspende in der Hausarztpraxis als Leistung des gesamten Teams gesehen wird, an dem auch MFA ihren Anteil haben, indem sie etwa Informationsmaterialien zur Vorbereitung auf das Arzt-Patienten-Gespräch anbieten. So fördert das gesamte Team den Dialog zur Organspende.

 

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