NutzenbewertungBoehringer geht gegen Bewertung von Arzneimittel vor – G-BA kontert

Wenn in Deutschland ein Arzneimittel neu zugelassen wird, folgt eine Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Die hält Boehringer für dringend verbesserungswürdig -- zumindest bei seltenen Erkrankungen. Der Ausschuss und der GKV-Spitzenverband sehen das anders.

Bremst die Nutzenbewertung Medikamente gegen seltene Erkrankungen aus?

Ingelheim/Berlin. Der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim wehrt sich gegen die Bewertung eines neuen Medikaments gegen eine seltene Krankheit und mahnt insgesamt flexiblere Prüfungen in Deutschland an.

Der Pharmabranche werde oft vorgeworfen, sich zu wenig um seltene Krankheiten zu kümmern, sagte die Deutschlandchefin des Unternehmens, Sabine Nikolaus, der Deutschen Presse-Agentur in Mainz. Wenn dies getan werde, werde aber zu starr geprüft. Das könne verhindern, dass unter seltenen Krankheiten leidende Patienten hierzulande Zugang zu neuen Behandlungsmöglichkeiten bekämen.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hatte entschieden, dass er bei dem von Boehringer entwickelten Präparat Spevigo zur Behandlung akuter Schübe von generalisierter pustulöser Psoriasis – einer seltenen Hauterkrankung – keinen Zusatznutzen im Vergleich zu anderen Therapien sieht.

Spevigo nicht mehr erhältlich

In Folge dessen wird Spevigo Boehringer zufolge von Dienstag (29. August) an nicht mehr in Deutschland erhältlich sein. Den Beschluss des G-BA will das Unternehmen gerichtlich anfechten. Der Ausschuss selbst verteidigte am Dienstag sein Vorgehen.

Der G-BA ist verpflichtet, für neu zugelassene Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen nach Markteintritt eine Nutzenbewertung durchzuführen. Geprüft wird, ob das Medikament gegenüber der Standardtherapie Vorteile hat. Das Ergebnis ist Grundlage für die Entscheidung, wie viel die gesetzliche Krankenversicherung für das neue Arzneimittel zahlt.

Ob Ärzte ein Medikament verordnen, ist nicht von der Bewertung abhängig. Sehr wohl beeinflusse die Bewertung aber den Stellenwert eines Mittels in der Gesundheitsversorgung, sagte Nikolaus.

Klinische Studien bei seltenen Erkrankungen schwierig

Die pustulöse Psoriasis betrifft in Deutschland nach Angaben von Boehringer nicht einmal 300 Patienten. Entsprechend schwer sei die Realisierung klinischer Studien, sagte Nikolaus. Diese könnten gar nicht all die Parameter liefern, die der G-BA verlange. Es brauche mehr Flexibilität bei der Bewertung.

“Innovationen sind in Deutschland oft Opfer starrer Prozesse und Vorgaben.” Boehringer verweist darauf, dass Spevigo in den USA und Europa zugelassen sei, in Frankreich etwa sei auch ein Zusatznutzen erkannt worden.

In dem G-BA-Beschluss zu Spevigo vom 20. Juli 2023 heißt es, ein Zusatznutzen sei nicht belegt, es lägen keine bewertbaren Daten vor. Nikolaus forderte, der G-BA müsse verpflichtet werden, verfügbare Studien mit einzubeziehen – auch wenn diese nicht alle Parameter großer Studien lieferten. Auch komme die Perspektive der Patienten zu kurz.

Perspektive der Patienten einbinden

Bei der Nutzenbewertung müssten neben medizinischen Fachgesellschaften Patientenverbände stärker eingebunden werden. Deutschland verliere durch «inadäquate Nutzenbewertungen» von Innovationen insgesamt weiter an Wettbewerbsfähigkeit.

Von Seiten des G-BA hieß es, in den Prüfungen zum Zusatznutzen eines neuen Arzneimittels würden immer alle Studien einbezogen, die von dem Hersteller vorgelegt würden. “Bei Spevigo war die im Dossier des Herstellers vorgelegte Studie allerdings ungeeignet, daraus Aussagen zum Zusatznutzen abzuleiten”, sagte der unparteiische Vorsitzende Josef Hecken.

Der G-BA habe sich ausführlich mit der Studie befasst, habe letztlich aber zu keinem anderen Ergebnis kommen können, da die Studie insgesamt zu kurz gewesen sei.

Patientenvertretung stimmte zu

Aussagekräftige Studien seien auch bei kleinen Patientengruppen möglich, das habe die Pharmaindustrie schon gezeigt. Der G-BA prüfe auch, ob ein Arzneimittel aus Sicht der Patienten die Lebensqualität verbessere. In dem konkreten Fall habe auch die Patientenvertretung dem Beratungsergebnis zugestimmt.

Die Entscheidung, das Mittel vom Markt zu nehmen, werde aus wirtschaftlichen Interessen getroffen. “Das ist legitim, aber Grund ist letztlich das Fehlen aussagekräftiger Studien und keinesfalls eine zu rigide Prüfpraxis des Gemeinsamen Bundesausschusses”, sagte Hecken.

Auch der GKV-Spitzenverband, der die Interessen der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen vertritt, verteidigte die Nutzenbewertung. Sie solle früh mehr Transparenz zum therapeutischen Zusatznutzen schaffen, um eine an Qualitätsaspekten ausgerichtete Versorgung zu sichern”.

Deutschland schneidet gut ab

Auch der Verband hält bei Spevigo einen Zusatznutzen für nicht belegt. “Im weltweiten Vergleich gehört Deutschland zu den Ländern, in denen die Bevölkerung am frühesten und umfänglichsten Zugang zu neu zugelassenen Arzneimitteln hat”, sagte Sprecher Jens Ofiera.

Die frühe Nutzenbewertung leiste einen wichtigen Beitrag zur qualitativen Verbesserung der Arzneimittelversorgung.

Quelle: dpa

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