Früherkennung bei Kindern und JugendlichenVorsorgeuntersuchungen U6 bis U11

Früherkennung in Form von Vorsorgeuntersuchungen ist in der Hausarztpraxis Routine. Erfreulicherweise ist in den letzten zehn Jahren die Teilnahme an den Kindervorsorgeuntersuchungen auf über 95 Prozent gestiegen.

Da statistisch rund 25 Prozent aller Kinder-Arzt-Kontakte in der Hausarztpraxis stattfinden, sind auch Vorsorgeuntersuchungen bei Kindern Teil hausärztlicher Tätigkeit [1]. Ziel der Kindervorsorgen ist die “Früherkennung von Krankheiten, die ihre körperliche, geistige oder psycho-soziale Entwicklung in nicht geringfügigem Maße gefährden” [2].

Es handelt sich ausdrücklich nicht um eine Entwicklungsdiagnostik und darf von Kinder- und Allgemeinärzten durchgeführt werden. Die gestiegene Teilnahme an den Kindervorsorgeuntersuchungen ist wahrscheinlich in erster Linie dem bundesweiten Melde- und Erinnerungssystem zuzuschreiben.

Auch die vorher bestandenen großen sozialen Unterschiede in der Inanspruchnahme (Migranten, sozial-ökonomisch schlechter gestellte Familien) sind seitdem erheblich verringert worden.

Die Vorsorgeuntersuchungen der ein- bis fünfjährigen Kinder werden im gelben Heft dokumentiert, das seit 1971 in Gebrauch ist und 2017 überarbeitet wurde (Abb. 1).

Entwicklungsüberprüfung mittels “Grenzsteinen”

Die Überprüfung der altersentsprechenden Entwicklung findet für die Untersuchungen U6 bis U9 in folgenden Bereichen statt:

  • Grobmotorik
  • Feinmotorik
  • Sprache
  • Perzeption/Kognition
  • Soziale/emotionale Kompetenz
  • Interaktion/Kommunikation

Für diese Entwicklungsüberprüfung sind ausgewählte Items (“Grenzsteine”) vorgegeben, die von 90-95 Prozent der Kinder der entsprechenden Altersgruppe als Entwicklungsziel bewältigt werden. Die Auswahl dieser Items stößt nicht überall auf Zustimmung.

Jedoch sind sie als Teil einer Screening-Untersuchung sowohl einfach zu beurteilen als auch aussagekräftig hinsichtlich einer Einschätzung von Entwicklungsverzögerungen. Da die Entwicklung von Kindern sehr variabel verläuft, sind Abweichungen von den Grenzsteinen nicht immer Zeichen von schweren Entwicklungsstörungen.

Jedoch sollte das entsprechende Kind dann frühzeitig wieder einbestellt und nochmal untersucht oder einer umfangreichen Entwicklungsdiagnostik zugeführt werden.

Anamnese und körperliche Untersuchung

Das gelbe Heft (Abb.1) bietet Eltern freien Raum für das Aufschreiben bedeutender Ereignisse oder Fragen für die anstehende Vorsorgeuntersuchung. Dem untersuchenden Arzt gibt es Anhaltspunkte für das Erfassen der Anamnese. Im neuen gelben Heft nehmen sowohl im Anamnese- als auch im Beratungsteil psychosoziale und emotionale Aspekte einen deutlich größeren Raum ein als in den alten Heften.

Die von einer Arbeitsgruppe familienmedizinisch aktiver Hausärztinnen und Hausärzte im Hausärzteverband entwickelten Fragebögen stehen als Download bzw. als Teil der Broschüre zur Familienmedizin zur Verfügung (s. Kasten Sonderheft). Die Fragebögen erleichtern die Anamneseerhebung und werden von den Eltern ausgefüllt, während die Kinder gerade zum Messen, Wiegen und beispielsweise zum Hörtest von der MFA betreut werden.

Jede Vorsorgeuntersuchung beinhaltet die körperliche Untersuchung des komplett entkleideten Kindes sowie selbstverständlich das Messen von Gewicht, Größe und Kopfumfang. Neben der Überprüfung der normalen körperlichen Entwicklung gilt es auf Zeichen von Kindeswohlgefährdung zu achten wie zum Beispiel Hämatome an ungewöhnlichen Stellen.

Seh- und Hörvermögen prüfen

Bei der U6 und U7 muss der sogenannte Brückner-Test aus 3 bis 4 Metern sowie aus 0,2 bis 0,5 Metern Entfernung durchgeführt werden. Durch ein lichtstarkes Ophthalmoskop wird dabei der rote Retinareflex beider Augen gleichzeitig aus einer dunklen Ecke des Zimmers beurteilt. Pathologisch sind Seitendifferenzen der Reflexe [3].

Ein Sehtest wird bei der U7a, der U8 und der U9 durchgeführt. Dafür eignet sich beispielsweise der Sehtest nach Lea-Hyvärinen. Dieser Test ist nicht teuer und bedarf nur einer kurzen Einführung. Ein Stereotest z.B. nach Lang ist ab der U7a erforderlich und überprüft das Stereosehen. Die U8 schließt eine Überprüfung des Gehörs mittels einer Audiometrie ein. Bei Auffälligkeiten überweist man zum HNO-Arzt.

Entwicklungsschritte

Die grobmotorische Entwicklung verläuft bei Kleinkindern sehr unterschiedlich. Dennoch gibt es klare Meilensteine, die von allen Kindern zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht werden sollten:

Zur feinmotorischen Entwicklung gehören:

Sprachentwicklung

Die Sprachentwicklung ist von besonderer Bedeutung: Sprache macht einen wesentlichen Teil menschlicher Kommunikation aus und ist zudem auch Ausdruck der Kognition. Jedoch sollte die Sprachentwicklung auf keinen Fall mit der kognitiven Entwicklung gleichgesetzt werden.

So haben lediglich etwa 33 Prozent der sogenannten “late talker” , also Kinder, die zum dritten Geburtstag nicht altersentsprechend sprechen, eine spätere Auffälligkeit in schulischen Fertigkeiten wie Lesen und Rechtschreiben.

Die besonders große Variabilität der Sprachentwicklung macht es mitunter schwierig, Pathologie von einfacher Normabweichung zu unterscheiden. Es gibt Kinder, die mit 20 Monaten bereits zweistrophige Lieder singen können, während andere mit 2 Jahren gerade mal einen Wortschatz von 10 Wörtern beherrschen.

Es lohnt sich, die Kinder mit einer verzögerten Sprachentwicklung häufiger einzubestellen (z.B. in dreimonatigem Abstand) und sich selbst ein Bild von der weiteren Sprachentwicklung zu machen. Falls eine weitere pädaudiologische Abklärung oder logopädische Therapie noch nicht erforderlich ist, lohnt es sich, den Eltern Tipps für die häusliche Sprachförderung mitzugeben: Vorlesen (besser als Toniebox!), Singen, Kinderreime und vor allem weitgehender Verzicht auf Medienkonsum.

Für die Befunderhebung der Sprache bei der U7a steht ein Elternfragebogen (SBE 3 KT) zur Verfügung, der speziell für die U7a entwickelt wurde und kostenlos heruntergeladen werden kann unter: https://hausarzt.link/JDDMm

Zu den Items Perzeption/Kognition, sozial-emotionale Kompetenz und Interaktion/Kommunikation gibt es ebenfalls Meilensteine, die allerdings in der Regel nur abgefragt, nicht abgetestet werden können. Hier geht es z.B. um Rollenspiele mit gleichaltrigen Kindern, Spielregeln einhalten, Als-Ob-Spiele, Mithelfen bei häuslichen Tätigkeiten.

Am Ende jeder Vorsorgeuntersuchung listet das gelbe Heft Themen auf, zu denen Ärzte die Eltern beraten sollen. Zwingend vorgeschrieben sind dabei die Impfberatung und ab der U7 die Beratung zur zahnärztlichen Früherkennung. Die anderen Themen betreffen Medienkonsum, Ernährung, Sprachentwicklung, Bewegungsförderung und Unfallverhütung [4].

Apparative Ausstattung der Praxis

Für die Kindervorsorgeuntersuchungen benötigen Hausarztpraxen folgende Ausstattung:

  • Babywaage
  • Messlatte
  • Ophthalmoskop
  • Audiometer
  • Sehtest für Kinder ab drei Jahren (etwa LEA-Sehtest) (U7a-U9)
  • Stereotest zum Beispiel nach Lang
  • Spielzeug zum Testen der Feinmotorik, z.B. Würfel
  • Stift und Papier
  • Kinder-Blutdruckmanschette

Vorsorgeuntersuchung U10 und U11

Die Vorsorgeuntersuchungen U10 und U11 sind für Kinder von 7-8 und von 9-10 Jahren konzipiert. Sie werden nur von wenigen Kassen bezahlt und das meistens nur für Pädiater. Allgemeinmediziner, die diese Vorsorgeuntersuchungen abrechnen wollen, können das nur, wenn sie bestimmte Qualifikationskriterien erfüllen (für Westfalen-Lippe z.B. ist das bei einigen Kassen möglich, wenn man mindestens 30 Vorsorgeuntersuchungen im Quartal, 25 Fortbildungspunkte zu pädiatrischen Themen und die Teilnahme an einem pädiatrischen Qualitätszirkel in vier Quartalen nachweisen kann).

Die Dokumentation dieser Untersuchung erfolgt in dem vom BVKJ herausgegebenen Gesundheits-Checkheft für Kinder und Jugendliche, dem “grünen Vorsorgeheft” (s. Abb. 2).

Die Vorsorgeuntersuchungen U10 und U11 schließen die Lücke zwischen den bekannten “alten” Vorsorgeuntersuchungen U1 bis U9 und der ersten Jugenduntersuchung J1. Die Themen dieser Untersuchungen liegen vor allem im psycho-sozialen und emotionalen Bereich.

Die Gewichtsentwicklung, der Medienkonsum, Schulschwierigkeiten und Verhaltens-auffälligkeiten stehen im Vordergrund der Elternsorgen. Da die häuslichen Verhältnisse uns Allgemeinmedizinern häufig gut bekannt sind und viele Kinder in dieser Altersgruppe zunehmend eher den Allgemeinmediziner als den Pädiater aufsuchen, sind die U10 und U11 eigentlich eine klassische Domäne der Familienmedizin, wie sie in vielen Hausarztpraxen praktiziert wird. Intensive Beratung zu Bewegungsförderung, zu “gesundem” Medienkonsum, zu kindgerechter gesunder Ernährung sollte den Eltern im Rahmen dieser Untersuchungen angeboten werden.

Die U6-U9 werden mit den Ziffern 01716, 01717, 01723, 01718, 01719 abgerechnet und werden mit ca. 42 Euro (KVWL) honoriert.

Sonderheft

Das aktualisierte Sonderheft Familienmedizin beschreibt ausführlich alle Vorsorgeuntersuchungen für Kinder und Jugendliche und beinhaltet auch die oben beschriebenen Fragebögen.

Zu bestellen unter mm medizin + medien Verlag GmbH

Quellen:

  1. Journal of Health Monitoring, 4/2018 KiGGS Welle 2 – Inanspruchnahme Pädiatrie (www.rki.de)
  2. G-BA Kinder-Richtlinie 2016
  3. Eine gute Darstellung des Brückner-Tests gibt ein Artikel im Deutschen Ärzteblatt: https://hausarzt.link/T3SU7
  4. Informative und sehr übersichtlich gestaltete Merkblätter, die einen Teil dieser Elternberatung übernehmen, kann man kostenlos herunterladen unter: https://hausarzt.link/8Z9dn
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