Serie Teil 2Länger leben durch frühes PSA-Screening?

Untersuchungen zur Früherkennung von Prostatakrebs, insbesondere das PSA-Screening, sind umstritten. Die Kernfrage ist: Leben Männer, deren Prostatakrebs frühzeitig erkannt wurde, länger und besser als diejenigen, die von nichts wissen?

Lange galt die Tastuntersuchung der Prostata im Rahmen der von den Krankenkassen bezahlten “Krebsvorsorge Männer” (bei auffälligem Tastbefund ergänzt durch eine Ultraschalluntersuchung der Prostata) als adäquate Methode zur Früherkennung von Prostatakrebs. Diese Vorstellung ist inzwischen obsolet.

Was taugt die Tastuntersuchung?

Eine kanadische Metaanalyse aus dem Jahr 2018 umfasst sieben Studien mit über 9000 Männern, die bei der digital-rektalen Untersuchung in Hausarztpraxen einen auffälligen Tastbefund hatten und anschließend biopsiert wurden. Sie kommt zu folgendem ernüchterndem Resultat:

  • 36 von 100 Männern mit “unauffälliger” Prostatapalpation hatten laut Biopsie doch Krebs.
  • 59 von 100 Männern mit auffälligem Tastbefund hatten bioptisch keinen Krebs.

Die WHO fordert von Screeningtests, dass sie wissenschaftlich begründet sein sollen und ihr Nutzen den Schaden überwiegt.

Fazit der Autoren: Die digital-rektale Untersuchung erfüllt diese Kriterien nicht.

,,Der große PSA-Irrtum”

Das prostataspezifische Antigen (PSA) wurde 1970 von Richard J. Ablin entdeckt. Es folgte ein von den USA ausgehender weltweiter Hype, glaubte man doch, endlich eine aussagekräftige und einfache Methode zur Früherkennung von Prostatakrebs gefunden zu haben. Im Jahr 2010 schrieb Ablin in einem Gastkommentar für die New York Times unter dem Titel “Der große Prostata-Irrtum”: “Ich hätte mir nie träumen lassen, dass meine Entdeckung vor 40 Jahren in eine derartige profitgetriebene Katastrophe für das Gesundheitswesen führen würde. Die Medizin sollte sich der Realität stellen und den unangemessenen Einsatz von PSA-Tests stoppen. Das würde Milliarden Dollar sparen und Millionen Männer vor unnötigen und beeinträchtigenden Behandlungen bewahren.”

Während in den USA der jahrelange Wildwuchs des massenhaften PSA-Screenings inzwischen zu einem Umdenken geführt hat und selbst die dortige Urologen-Gesellschaft kein ungezieltes PSA-Screening mehr empfiehlt, versuchen deutsche Urologen und Onkologen weiter das PSA-Massenscreening zur Kassenleistung zu machen.

Taugt der PSA-Test zur Prostatakrebs-Früherkennung?

Nicht wirklich. Einflussfaktoren wie Fahrradfahren, Sex und gutartige Prostataveränderungen können das PSA ebenso erhöhen. Prostatakrebs entwickelt sich oft auch unter normalen PSA-Werten.

Das PSA taugt vielleicht als Verlaufsparameter bei metastasierendem Prostatakrebs – sonst aber für (fast) nichts. Daran haben auch diverse Studien nichts geändert. Um noch einmal Richard Ablin zu zitieren: “Der PSA-Test ist kaum effektiver als ein Münzwurf.”

Man(n) stirbt meist nicht am, sondern mit dem Prostatakrebs

Schon in den 1960er-Jahren wusste man aus Sektionen, dass die meisten älteren und alten Männer nicht am Prostatakrebs, sondern mit ihm sterben. Der Medizinkritiker Julius Hackethal nannte ihn daher einen “Haustierkrebs”. Natürlich gibt es auch aggressive Verläufe bei nicht sehr alten Patienten, aber das sind die Ausnahmen. Wenn ein Patient am Prostatakrebs stirbt – und das ist nach Zahlen aus den USA nur knapp jeder fünfte Mann, bei dem ein Prostatakrebs diagnostiziert wurde – dann tut er es im Durchschnitt mit 80 Jahren.

Um Prostatakrebs ranken sich zahlreiche Legenden und Emotionen. Und auch der interessierte Teil der Wissenschaft beteiligt sich eifrig daran. Es klingt durchaus beeindruckend, wenn verkündet wird, dass ein frühes PSA-Screening die FünfJahres-Überlebensrate von Prostatakrebs drastisch erhöht. Stimmt nicht?

Doch, stimmt. Bedeutet aber nichts. Denn es kommt auf die Mortalität an, nicht auf die Vorverlegung des Diagnosezeitpunkts, wenn die Sterblichkeit an Prostatakrebs kaum verändert wird und die Gesamtsterblichkeit gleich bleibt (siehe Abb. 2).

Mehr Schaden als Nutzen

Die Faktenbox des Harding-Zentrums für Risikokompetenz zeigt die derzeit beste verfügbare medizinische Evidenz (siehe Abb. 3).

Fazit

1. Die Früherkennungsuntersuchung auf Prostatakrebs mit Tastuntersuchung und PSA-Screening kann die Sterblichkeit an Prostatakrebs nicht oder nur wenig senken; insbesondere die Gesamtsterblichkeit bleibt unverändert.

2. Die Untersuchungen können relevante Gesundheitsschäden auslösen, z. B.:

  • Unnötige Biopsien bei ca. 160 von 1.000 Screening-Teilnehmern
  • Unnötige eingreifende Therapien wie Operationen oder Bestrahlungen bei ca. 20 von 1.000 Screening-Teilnehmern
  • Inkontinenz und Impotenz bei einer hohen Prozentzahl der wegen Prostatakrebs behandelten Männer, insbesondere postoperativ

3. Auf Nachfrage des Patienten sollte der Hausarzt ihm diese Faktenlage erläutern können. Eine nicht hinterfragte PSA-Bestimmung sollte zur Ausnahme werden.


Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (Hrsg.): Hausärztliche Beratung zu PSA-Screening. 2018
  2. Gigerenzer, Gerd: Das Jahrhundert des Patienten: zum Umgang mit Risiken und Chancen. Zeitschrift für Allgemeinmedizin, 2016: 92 (5), 213-219
  3. Keller, Niklas et al.: PSA-Screening: Möglicher Nutzen und Schaden. Deutsches Ärzteblatt 2018, 115 (13), A583-587
  4. Kötter. Thomas: PSA-Screening in der Hausarztpraxis. Ja, nein, vielleicht? Der Allgemeinarzt 7/2019, 56-61
  5. Naji, Leen et al: Digital Rectal Examination for Prostate Cancer Screening in Primary Care:A Systematic Review and Meta-Analysis. Annals of Family Medicine. Vol. 16, No 2, March/April 2018, S. 149-154
  6. US Preventive Task Force (Hrsg.): Screening for Prostate Cancer. US Preventive Services Task Force Recommendation Statement. JAMA 2018, 319 (18), 1901-1913

 


Mögliche Interessenskonflikte: Der Autor hat keine deklariert.

Serie

Teil 3 zum “HIV-Selbsttest” erscheint in Ausgabe 2/2020 am 05.02.2020.

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