Hausarzt MedizinMigranten: An welche Erkrankungen Sie denken sollten

Die gestiegene Zahl an Asylsuchenden und Migranten hält auch für die Hausarztpraxen neue Herausforderungen bereit. Viele Patienten kommen mit ungewöhnlichen Erkrankungen, eine Infektionsgefahr für die Allgemeinbevölkerung stellen sie jedoch nicht dar.

Migranten sind mittlerweile eine epidemiologisch wichtige Gruppe. Da die Ärzte aufgrund fehlender Handlungsempfehlungen und Studien weitgehend auf sich gestellt sind, ist es hilfreich zu wissen, mit welchen Infektionskrankheiten bei Geflüchteten zu rechnen ist. Wie Prof. August Stich aus Würzburg ausführte, zählt dazu etwa die sehr verbreitete Scabies. Dabei besteht jedoch keine unmittelbare Ansteckungsgefahr, da für eine Übertragung ein minutenlanger Hautkontakt erforderlich ist. Die Behandlung erfolgt mit Ivermectin, das nun auch oral verabreicht werden kann. „Die ­Flüchtlingswelle hat dazu geführt, dass das längst ­benötigte Medikament zur Behandlung von ­Scabies und Fadenwürmern endlich zugelassen ­wurde“, berichtete der Tropenmediziner.

Die Leishmaniose kommt bei Flüchtlingen aus Syrien, Irak, Iran und Afghanistan ebenfalls häufiger vor. Seltener ist das Läuse-Rückfallfieber, verursacht durch Borrelia recurrentis. Es existierte in Deutschland früher nicht, bei Migranten wurden nun jedoch einige Fälle bekannt, die teilweise sogar tödlich endeten.

Die Prävalenz von Hepatitis B und C ist mit bis zu 25 Prozent in ­Migrantenpopulationen sehr hoch. Laut Stich überlagern sich die unspezifischen Symptome wie Müdigkeit, Konzentrationsschwäche oder Bauchschmerzen oft mit dem allgemeinen ­Beschwerdemuster dieser Patienten und können daher leicht übersehen werden.

Zu den potenziell ansteckenden Erkrankungen, die eine Unterbringung in Massenunterkünften verbieten, gehört die Tuberkulose. Hier gab Stich zu bedenken, dass es an einem gutem Screening-Instrument fehlt. Röntgen-Diagnostik, Tuberkulin-­Hauttest (THT) und Interferon-Gamma-Bluttest ­(IGRA) würden in ihrer ­Bedeutung überschätzt und wögen die ­Beteiligten in falscher Sicherheit. Multiresistente Tuberkulose-­Erreger sind nicht ungewöhnlich bei ­Migranten. Multiresistente Erreger (MRSA) können weiterhin bei Haut-, Darm- und Atemwegsinfektionen sowie bei Helico-­bacter auftreten.

Achtung: nicht infektiös!

„Nicht alles was nach einer Infektion aussieht, ist tatsächlich eine Infektion“, erklärte Stich. Bei manchen Geflüchteten ­wurde eine massive bilaterale interstitielle Lungenerkrankung festgestellt, die auf ­einer Vergiftung mit Hydrocarbon-Ingestion ­beruhte. Laut Stich wird dies den Flüchtlingen vor der Fahrt über das Mittelmeer oft zwangsweise eingeflößt, um sie ruhig zu stellen. Bei wiederkehrenden Fieberschüben (ein bis drei Tage) sowie Bauch-, Brust- und Gelenkschmerzen sollte man dagegen an das familiäre Mittelmeerfieber denken. Die ­autoinflammatorische Erkrankung ist insbesondere bei Menschen (Kindern!) aus ­Regionen des östlichen Mittelmeerraums verbreitet.

Keine erhöhte Infektionsgefahr durch Migranten

Dass Migranten nicht zu einer vermehrten Infektionsgefahr für die deutsche Bevölkerung führen, erläuterte Stich am Beispiel ­Tuberkulose: Während die Tuberkulose-Inzidenz in Deutschland sinkt, steigt sie im Ausland deutlich an. Auch sind hierzulande eher ältere, immunsupprimierte Patienten betroffen, wogegen im Ausland häufig ­jüngere Menschen erkranken. „Ähnliches könnte man auch für andere Infektionen aufzeigen. Es gibt einfach keine Evidenz für eine höhere Infektionsgefahr durch Flüchtlinge“, betonte Stich. Stattdessen stecken sich die ­Migranten untereinander an, wodurch es immer ­wieder zu Ausbrüchen von ­Infektionskrankheiten in Gemeinschaftsunterkünften (GU) kommt. „Es ist unsere Aufgabe diese Ausbrüche durch Maßnahmen der ­Primärprävention, Impfungen und Hygiene zu verhindern“, ­forderte der Tropenmediziner.

Hilfsangebote für Frauen

„Frauen leiden anders unter Kriegen, Flucht und Vertreibung“, erklärte Ulrike Sonnenberg-Schwan, München. Denn ihr Körper wird zur Angriffsfläche für Vergewaltigung, ungewollte Schwangerschaft oder Missbrauch. Aufgrund zahlreicher Anfragen an das FrauenGesundheitsZentrum München (FGZ) wurde 2016 das Projekt ‚Gesund leben in München – Gesundheitsangebote für geflüchtete Frauen und Mädchen‘ gegründet. „In erster Linie war uns wichtig, den Frauen Wertschätzung zu vermitteln, da diese in den Unterkünften häufig fehlt“, berichtete die Diplom-Psychologin. Weitere Ziele bestehen unter anderem darin, Körper- und Gesundheitswissen verfügbar zu machen und die Kontakte zu den Sozialdiensten zu verbessern. Es wurden 15 ehrenamtliche Multiplikatorinnen unterschiedlicher Nationalitäten geschult, welche die FGZ-Veranstaltungen unterstützen und nun erste eigene, ­niedrigschwellige Gesundheitsgespräche in ihrer Muttersprache anbieten.

Besonders nachgefragt sind die Themen ­Familienplanung, Zyklus- und Verhütungswissen, Wechseljahre, Schmerzen und Hygiene. Die bislang durchgeführten interaktiven Vorträge und Gesundheitsgespräche stießen auf eine sehr positive Resonanz.

HIV, Schwangerschaft und Flucht

Etwa ein Drittel der HIV-Patienten kommt aus dem Ausland, die Mehrzahl von der Subsahara-Region Afrikas – und nicht ­etwa aus dem mittleren Osten, woher ­derzeit die meisten Flüchtlinge ­stammen. ­Bemerkenswert ist laut PD Dr. Andrea Gingel­maier aus München, dass sich ­etwa ein ­Drittel der Patienten mit HIV-Neudiagnose in Deutschland infiziert hat. ­Sorgen bereitet der ­Gynäkologin die dezentrale Verteilung der HIV-Infizierten in ­ländliche Regionen ohne Zugang zu spezialisierten Zentren. Sie schilderte den Fall einer hochschwangeren 27-jährigen Frau aus ­Nigeria, die bei der Erstvorstellung ihre HIV-Diag-nose und umgehend eine ­antiretrovirale Therapie erhielt. Als die Patientin zum errechneten Termin nicht erschien, stellte sich heraus, dass sie nach Rottal-Inn verlegt worden war. Nach einigen Wirrungen brachte man sie unter Wehen mit dem Taxi zurück nach München, wo sie am nächsten Tag per Sectio von einem gesunden Kind entbunden wurde. „Die späte Vorstellung von HIV-positiven Schwangeren ist ein großes Problem und die Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden ist gelinde gesagt schlecht“, resümierte Gingelmaier.

7. Münchner AIDS und Hepatitis Werkstatt: „Migration und Gesundheit 2017“, in München

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