Hausarzt MedizinKompressionsstrümpfe: Lästig, aber wirksam

Medizinische Kompressionsstrümpfe können bei Patienten mit tiefen Venenthrombosen die Häufigkeit postthrombotischer Syndrome reduzieren. Voraussetzung ist, dass sie konsequent getragen werden. Darüber müssen die Patienten informiert werden.

Die Notwendigkeit und der klinische Nutzen von medizinischen Kompressionsstrümpfen (MKS) in der Therapie einer akuten tiefen Bein-Beckenvenen-Thrombose (TVT) sind weit weniger untersucht als der Nutzen der Antikoagulation. Begründet ist dies durch die unterschiedlichen gesetzlichen Voraussetzungen der Zulassung. Das Arzneimittelgesetz fordert große Studien, das Medizinproduktegesetz nicht.

Diese Unterschiede in den Zulassungsstudien werden im Zeitalter der evidenzbasierten Medizin zum Nachteil der Medizinprodukte ausgelegt. So wird die Notwendigkeit der Kompressionstherapie in den nationalen und internationalen Leitlinien immer mit geringeren Evidenzgraden bewertet als die Antikoagulation.

Die aktuelle Leitlinie des American College of Chest Physicians (ACCP) stuft die Empfehlung der Kompression bei Patienten einer akuten symptomatischen TVT zur Prävention eines postthrombotischen Syndroms (PTS) auf ein 2B-Niveau (schwache Empfehlung, mittlere Qualität der Evidenz) und zur unmittelbaren Schmerz- und Ödemlinderung auf ein 2C-Niveau (schwache Empfehlung, niedrige Qualität der Evidenz) ein [7]. Vom Standpunkt der Evidenz her ist dies verständlich, vom Standpunkt der Patientenversorgung nicht.

In Europa wurden die Kompression und die Mobilisation aufgrund ihrer positiven Wirkung schon lange vor der Antikoagulation eingeführt [3]. Daher stellen sie die Basistherapie jeder TVT dar, vor deren Hintergrund die Antikoagulation etabliert wurde [1, 9, 10].

Wirkung der Kompression

Die Kompression wird häufig als lästig empfunden. Der Sinn der Kompression für die Therapie bzw. mögliche Ausheilung der Thrombose wird dem Patienten nicht vermittelt. Bei der Kompression handelt es sich nicht, wie häuig vermutet, um eine reine mechanische Ödembeseitigung, sondern um eine physiologische Unterstützung der Venenfunktion und des Gerinnungssystems. Verschiedene Wirkmechanismen sind beschrieben:

Ödem­reduktion: Die externe Kompression reduziert das Ödem durch eine Verringerung der kapillaren Filtration. Aufgrund des hohen intravenösen Drucks in aufrechter Position sind dazu Kompressionsmaterialien mit hohen Arbeitsdrucken während des Gehens notwendig. Dieser Wechsel im Arbeitsdruck bei Anspannung und Entspannung der Muskulatur kommt einer Gewebemassage gleich, die den venösen Rückfluss und die Lymphdrainage anregt.

Verbesserte Gewebe­nutrition: Die Ödemreduktion und prävention verbessert die Gewebenutrition und die Zellmigration. Interstitielle Flüssigkeit ist als Totraumvolumen anzusehen. Es verlängert die Diffusionsstrecke von Sauerstoff, Nährstoffen und Signalmolekülen und verdünnt ihre Konzentration, so dass Stoffwechsel und reaktive Organisationspro zesse verlangsamt ablaufen.

Schmerz­linderung: Über diese Wirkung der Kompression auf das Gewebe kommt es auch zu einer Schmerzlinderung. Vermittelt wird sie wahrscheinlich durch eine Freisetzung von antientzündlichen Mediatoren aufgrund einer Zunahme der Scherbewegung am Endothel. Neben der Antikoagulation kommt vor allem den antiinflammatorischen Prozessen im Bereich der Venenwand die größte Bedeutung für die Thromboseregression und der Vermeidung eines postthrombotischen Syndroms zu.

Erhalt der Endothelfunktion: Die frühe Mobilisation und Kompression re duziert das Thrombuswachstum gegenüber der Bettruhe vermutlich durch eine Erhöhung der Blutflussgeschwindigkeit. Diese stasevermeidenden oder beseitigenden Effekte erhalten die Endothelfunktion. Insbesondere im Bereich der Venenklappen erfolgt die Sauerstoffversorgung vor allem über das fließende Blut. Sauerstoffarmes Blut, das typisch für die Stase ist, führt also zum Sauerstoffmangel im Endothel der betroffenen Venenabschnitte und damit zur Desintegration des Endothels. Alle Schutzmechanismen des Endothels gehen verloren und ein appositio­nelles Thrombuswachstum wird gefördert und die endothelspezifischen Reparaturprozesse werden verhindert. Kompression unter bricht diesen Prozess.

Diese physiologischen Effekte der Kompression sollten sich auch in messbaren Endpunkten klinischer Studien niederschlagen.

Studien belegen Wirksamkeit

Brandjes et al. publizierten 1997 ihre Ergebnisse an 194 ambulant geführten Patienten mit proximaler TVT [2]. Die mediane Nach beobachtungszeit betrug 76 Monate. Leichte bis mäßige PTS traten bei 20 Prozent der Patienten mit MKS und bei 47 Prozent der Patienten ohne MKS auf. Mit MKS entwickelten nur 11 Prozent der Patienten schwere PTS, ohne MKS immerhin 23 Prozent der Patienten. In beiden Gruppen traten die meisten Fälle eines PTS innerhalb von 24 Monaten nach der akuten TVT auf. Über 60 Prozent der Patienten mit ihrer ersten proximalen TVT entwickelten innerhalb von 2 Jahren ein PTS. Diese Rate konnte mit MKS um etwa 50 Prozent reduziert werden.

In einer ähnlichen, allerdings offenen Studie haben Prandoni et al. 2004 ebenfalls berichtet, dass Kompressionstrümpfe das Auftreten eines PTS in über 50 Prozent verhindern können [11]. 180 konsekutive Patienten mit einer ersten Episode von symptomatischen proximalen TVT erhielten randomisiert angepasste MKS, die sie für 2 Jahre trugen, bzw. keine MKS. Während des Follow ups von 5 Jahren entwickelten 49 Prozent der Patienten ohne und 25 Prozent der Patienten mit MKS postthrombotische Folgeerkrankungen. Alle bis auf eines dieser Ereignisse wurden in den ersten 2 Jahren beobachtet.

Geringe Wirkung bei schlechter Adhärenz

Im Widerspruch zu diesen Studien beschreiben Kahn et al. aus Kanada 2014 in ihrer Studie, dass MKS bei Patienten mit erstmaliger proximaler TVT keinen Einfluss auf die PTS-Häufigkeit haben [5]. In der randomisierten, placebokontrollierten SOX-Studie wurden 410 Patienten mit einem klassischen MKS versorgt und 396 mit einem Placebo-MKS. Bei dem wirksamen MKS handelte es sich um einen Strumpf mit einem Anpressdruck von 30 – 40 mmHg im Bereich des distalen Unterschenkels. Der Placebo-MKS hatte nur einen Anpressdruck von weniger als 5 mmHg. Die kumulative Inzidenz des PTS lag bei 14,2 Prozent in der Gruppe mit dem wirksamen MKS und bei 12,7 Prozent in der Gruppe mit dem Placebo-MKS (p = 0,58) und zeigt damit keine Überlegenheit des MKS.

In der gleichen Lancet-Ausgabe erschien ein kritisches Editorial der Niederländerin ten Cate-Hoek zu dieser Studie [12]. Sie schreibt, das Ergebnis der Studie von Kahn et al. ist überraschend, da man zu Studienbeginn doch eine effektive Überlegenheit der MKS hinsichtlich der Prävention eines PTS von 33 Prozent angenommen hatte. Als wesentlichen Kritikpunkt führt sie an, dass in der Studie die Adhärenz der Patienten zur Kompressionstherapie nicht kontrolliert, sondern nur abgefragt wurde. Eine gute Adhärenz (Tragen der MKS an 3 oder mehr Tagen pro Woche) wurde nach eigenen Angaben der Teilnehmer von 56 Prozent der Teilnehmer mit dem wirksamen MKS erreicht.

Diese geringe Adhärenz steht im deutlichen Widerspruch zu dem, was wir in Deutschland von unseren Patienten erwarten, wenn wir einen Kompressionstrumpf rezeptieren und auch im Gegensatz zu der Studie von Brandjes et al., die eine Adhärenz von 90 Prozent berichtet. Ein MKS, der nicht regelmäßig getragen wird, kann keine Wirkung entfalten. Wie soll er dies auch?

Schulung wichtig

Ein anderer Kritikpunkt an der kanadischen Studie ist die fehlende Schulung der Patienten. So wurden die Beinmaße dem Strumpfhersteller geschickt und der Patient bekam dann ein Paar der wirksamen MKS bzw. der Placebo-MKS per Post zugesandt. Dadurch ergeben sich zwei Fragen:

  • 1: Welche Fehler entstanden beim Anmessen und Anfertigen?

  • 2: Welche Schulung hat der Patient zum Anziehen des MKS erhalten?

Wir wissen, wie viel Arbeit es bereitet, den optimalen MKS für den einzelnen Patienten auszuwählen. Trotz des Vermessens des Beines rutschen einige MKS oder werden als zu eng empfunden, so dass sie noch einmal verändert werden müssen. Daher soll jeder Strumpf nach Abgabe an den Patienten durch den Arzt auf seine Passform überprüft werden. Außerdem ist in Deutschland der Sanitätsfachhandel dafür zuständig, den Patienten auch in der richtigen Anziehtechnik zu unterrichten.

Eine aktuelle Schweizer Studie hat gezeigt, wie wichtig die Schulung und die Auswahl einer geeigneten Anziehhilfe gerade für ältere Patienten sein können [13]. Laut dieser Studie wird damit sowohl subjektiv als auch objektiv das Tragen von MKS erheblich erleichtert und die Adhärenz gesteigert.

Fazit

Die Kompressionstherapie ist neben der Antikoagulation die wichtigste Säule der Therapie der akuten Thrombose und des postthrombotischen Syndroms. Studien belegen, dass das Tragen medizinischer Kompressionsstrümpfe die Häufigkeit postthrombotischer Syndrome reduzieren kann.

Eine, wenn auch gut gemachte und gut publizierte Studie, bei der die Patienten die Kompressionstherapie weniger als die Hälfte der Wochentage tragen, kann nicht als aussagekräftig angesehen werden.

Interessenkonflikte: keine

Literatur

  • 1 Arpaia G, Carpenedo M, Pistelli R, et al. Attitudes to prescribing compression stockings for patients with acute DVT: the MASTER registry. J Thromb Thrombolysis; 2009; 28: 389 – 93.

  • 2 Brandjes DP, Buller HR, Heijboer H, Huisman MV, de Rijk M, Jagt H, et al. Randomized trial of the effect of compression stockings in patients with symptomatic proximal-vein thrombosis. Lancet 1997; 349:759–762.

  • 3 Fischer H. Eine neue Therapie der Phlebitis. Med Klinik 1910¸30:1172 – 75

  • 4 Kahn SR, Elman E, Rodger MA, et al. Use of elastic compression stockings after deep venous thrombosis: a comparison of practices and perceptions of thrombosis physicians and patients. J Th rombosis and Haemostasis 2003;1:500 –5 06.

  • 5 Kahn SR, Shapiro S, Wells PS et al. Compression stockings to prevent post-thrombotic syndrome: a randomised placebo-controlled trial. Lancet 2014;383(9920):880-888.

  • 6 Kahn SR, Shapiro S, Ducruet T et al. Graduated compression stockings to treat acute leg pain associated with proximal DVT. A randomised controlled trial. Thromb Haemost. 2014;112:1137-1141.

  • 7 Kearon C, Akl EA, Comerota AJ, et al. Antithrombotic therapy for VTE disease: Antithrombotic Therapy and Prevention of Th rombosis, 9th ed: American College of Chest Physician. Evidence-Based Clinical Practice Guidelines. Chest. 2012;141 (2 Suppl): e419S – 94S.

  • 8 NICE clinical guideline 144. Venous thromboembolic diseases: the management of venous thromboembolic diseases and the role of thrombophilia testing. 2012. guidance.nice.org.uk/cg144

  • 9 Ouvry P, Arnoult AC, Genty C et al. Le groupe de travail maladie thromboembolique veineuse de la Société française de médecine vasculaire: Compression therapy and deep vein thrombosis: a clinical practice survey. J Mal Vasc; 2012; 37:140 – 145.

  • 10 Partsch H. Therapy of deep vein thrombosis with low molecular weight heparin, leg compression and immediate ambulation. Vasa 2001; 30: 195 – 204.

  • 11 Prandoni P, Lensing AW, Prins MH, Frulla M, Marchiori A, Bernardi E, et al. Below-knee elastic compression stockings to prevent the post-thrombotic syndrome: a randomized, controlled trial. Ann Intern Med 2004; 141:249–256.

  • 12 ten Cate-Hoek AJ. Elastic compression stockings–is there any benefit? Lancet 2014;383(9920):851-853

  • 13 Sippel K, Seifert B, Hafner J. Donning devices (Foot Slips and Frames) enable elderly people with severe chronic venous insufficiency to put on Compression Stockings. Eur J Vasc Endovasc Surg 2015; 49:221e229

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