KrisenmanagementZwischenbilanz zu Corona mit gemischten Noten

In Deutschland ist es bisher gelungen, die Kliniken vor einer Überforderung durch zu viele Corona-Fälle zu schützen. Einwandfrei gelaufen ist trotzdem nicht alles. Eine Zwischenbilanz aus hausärztlicher Perspektive.

Top: Hausärzte haben früh Initiative ergriffen

In den vergangenen Monaten haben Hausärztinnen und Hausärzte gezeigt, “dass sie nicht nur Versorgung können, sondern auch Krisenmanagement”. So bringt es Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands, auf den Punkt. Schon früh – vielerorts früher als Gesundheitspolitiker und Kassenärztliche Vereinigungen (KV) – sind sie tätig geworden und haben beispielsweise die eigenen Praxisabläufe umstrukturiert oder sich im Aufbau sogenannter Corona-Ambulanzen eingebracht (“Der Hausarzt” 7/20). Innerhalb kürzester Zeit sind so Modelle entwickelt und umgesetzt worden, wie infektiöse Patienten sowohl aus der Praxis ferngehalten und dennoch bestmöglich versorgt werden können.

Flop: Politisches Entscheiden ohne Hausarzt-Wissen

Eine naheliegende Schlussfolgerung aus dieser großen Erfahrung in der Patientenversorgung wäre gewesen, Hausärzte früher in politische Entscheidungen einzubinden. Gesichert wäre dies, indem Krisenstäbe mit hausärztlichen Vertretern besetzt würden. In bestehenden Pandemie-Plänen jedoch bleibt die hausärztliche Versorgung ausgeklammert. Ein weiteres Beispiel: die Sonderregelung zur telefonischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU), nach der Ärzte Patienten mit leichten Atemwegsbeschwerden von März bis Ende Mai auch nach einem Telefonat krankschreiben durften. Diese hatte immer wieder für Ärger gesorgt. Denn: Abrupt hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Sonderregelung aussetzen wollen – und den Beschluss erst nach massivem Protest der Hausärzte verlängert. “Solche Beschlüsse dürfen unter keinen Umständen getroffen werden, ohne die Erfahrungen der Hausärztinnen und Hausärzte einzubeziehen. Sie kennen ihre Patientinnen und Patienten am besten und wissen daher, was derartige Entscheidungen für die Versorgung bedeuten”, betonte Weigeldt in einem offenen Brief an den G-BA (www.hausarzt.link/ALeMq).

Flop: Schutzmaterial in Praxen fehlt über zu lange Zeit

Die Wichtigkeit der Telefon-AU liegt nicht zuletzt in einem der größten Versäumnisse des bisherigen Corona-Verlaufs begründet: der lange fehlenden Schutzausrüstung. Mehr als 50 Hausärztinnen und Hausärzte zogen sich im April für die Aktion “Blanke Bedenken” aus, um nackt auf ihre “Verletzlichkeit” aufmerksam zu machen (www.blankebedenken.org).

Weigeldt sieht hier ein “klares Versagen der Politik”. Denn: Frühzeitig vorliegende Warnzeichen seien ignoriert worden (s. nächster Punkt). “Auch wenn mit hausärztlichem Erfindungsreichtum viele Schutzmaßnahmen selbst erstellt wurden, wollen wir nicht vergessen, dass hier eine Pflicht des Bundesministeriums für Gesundheit besteht.” Dieses jedoch wurde erst spät tätig. Nach Angaben von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wurden Mitte April “erste Vereinbarungen” für die Produktion von Schutzmasken im Inland geschlossen; die Lieferung und vor allem Verteilung über die KVen lief aber überwiegend stockend.

Ab August sollen pro Woche 50 Millionen Masken in Deutschland hergestellt werden.

 

33.500 Intensivbetten waren zum 22. April gemeldet – das sind 20 Prozent mehr als in der Krankenhausstatistik ausgewiesen. Quellen: DIVI Intensivregister, Destatis

Flop: Bestehende Erfahrungen laufen ins Leere

Dabei wurde bereits bei simulierten Pandemie-Szenarien 2007 (Länder- und Ressortübergreifende Krisenmanagementübung, LÜKEX) und 2013 bei einer Diskussion im Bundestag zur Simulation einer SARS-Corona-Pandemie in Europa und Deutschland ein Mangel an Schutzausrüstung festgestellt. Darüber hinaus hatten 2014 Forscher des UKE Maßnahmen identifiziert, um die hausärztliche Versorgung bei einer Pandemie zu sichern (DOI: 10.1007/s00103-014-1970-z). Demnach sollte die Regierung etwa Schutzausrüstung stellen, um Probleme bei der Bevorratung zu verhindern. Alle Punkte wurden bei Corona nicht bis schleppend umgesetzt.

Mittelmaß: Lob für Pflegekräfte und Praxisteams

Mit der Corona-Krise ist eine bis dato oft stiefmütterlich behandelte, nun jedoch als “systemrelevant” gelobte Berufsgruppe wieder mehr in den Fokus geraten: die Pflegekräfte und – wenn auch weniger deutlich – Medizinische Fachangestellte (MFA). Im Podcast von “Der Hausarzt” erzählt Dr. Jana Husemann, niedergelassen in Hamburg und aktiv im Vorstand des dortigen Hausärzteverbands, dass Patienten ihrem Team aktuell mit großer Dankbarkeit entgegentreten. Auf Balkonen applaudierte die Bevölkerung immer wieder für Ärzte und medizinisches Personal. In Teilen hat die Politik reagiert: Für Pflegekräfte sieht das zweite Pandemie-Gesetz einen Bonus von bis zu 1.500 Euro vor (“Der Hausarzt” 9/20). Dies deckt jedoch nicht den ambulanten Bereich ab, der rund 90 Prozent der Corona-Versorgung stemmt. Der Deutsche Hausärzteverband fordert daher gemeinsam mit dem Verband der MFA, Mitarbeitenden in der Praxis mit einem staatlichen Bonus dieselbe Wertschätzung zukommen zu lassen wie den Pflegerinnen und Pflegern.

Mittelmaß: Test-Kapazitäten gezielt einsetzen

Parallel zum Aufstocken der Intensivbetten (s. unten) wurden auch die Testkapazitäten hochgefahren: Mitte Mai hätten laut RKI theoretisch eine Millionen PCR-Tests in 134 Laboren durchgeführt werden können, würde es nicht auch hier zu Lieferengpässen – etwa bei Reagenzien und Abstrichtupfern – kommen. Doch: Eine Bevölkerungsscreening ergibt aus medizinischer Sicht keinen Sinn. Vielmehr müssen die Kapazitäten vorwiegend vulnerablen Patientengruppen, aber auch “Risikostrukturen” – etwa Mitarbeitern in Schlachthöfen – sowie Beschäftigten im Gesundheitswesen zukommen. Für letztere bezifferte das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) den Bedarf jüngst auf 550.000 Tests pro Woche (www.hausarzt.link/GcvxW).

Von 31.000 auf 136.000 Covid-19-Tests sind die täglich verfügbaren Kapazitäten im Zeitraum vom 9. März bis 20. April gestiegen. Die Zahl der deutschlandweit durchgeführten Tests pro Woche hat sich im gleichen Zeitraum von 125.000 auf 400.000 mehr als verdreifacht. Quelle: RKI

Mittelmaß: “Schutzschirm” braucht Nachbesserungen

Das Ende März verabschiedete Covid-19- Krankenhausentlastungsgesetz sieht für Ärzte mit Umsatzeinbußen durch Corona “Ausgleichszahlungen” vor. Doch: An der ein oder anderen Stelle klemme es beim “Schutzschirm” noch, betont der Deutsche Hausärzteverband – insbesondere, was die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung (MGV) betrifft. “Erfreulich ist, dass die Kassen genauso viel Geld für die Versorgung bereitstellen müssen wie zu “normalen” Zeiten – der Umfang bleibt also trotz reduzierter Leistungsmenge regulär”, erklärt Weigeldt. Interpretationsspielraum gebe es aber zum einen bei der Frage der Bedingung dieser Auszahlung, die an die Gefährdung der Fortführung der Praxen geknüpft sei. Zum anderen müssten auch die Honorarverteilungsmaßstäbe entsprechend angepasst werden. Auch “Anfängerpraxen” sind mitunter benachteiligt, da bei ihnen der vorgesehene Bezug aufs Vorjahresquartal nicht möglich ist (“Der Hausarzt” 9/20).

Top: Schnelles Handeln plus Ausbau der Betten

Die strikte Einschränkung des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens seit Mitte März, der Shutdown, hat sicherlich dazu beigetragen, dass die erste Welle der Epidemie in Deutschland gut “handzuhaben” war.

Gleichzeitig konnte die Zahl der Intensivbetten laut Gesundheitsministerium zwischenzeitlich auf über 40.000 erhöht werden. Seit Mai werden die Kapazitäten zurückgebaut. Das Gesundheitssystem sei “zu keiner Zeit” überfordert gewesen, bilanzierten sowohl Spahn als auch KBV-Chef Dr. Andreas Gassen Ende April. Dies sei auch einem “guten hausärztlichen Netzwerk” zu verdanken, das zur Entlastung der Kliniken beigetragen habe, wie Spahn im Interview mit dem US-Nachrichtensender CNBC betonte.

Mittelmaß: Regelversorgung ausreichend im Blick?

Ein “Rückbau” der für Corona-Patienten vorgehaltenen Strukturen findet seit Anfang Mai auch ambulant statt, die Bedeutung der Regelversorgung rückt zurück in den Fokus. Denn: Gerade zu Beginn der Pandemie mieden ältere und chronisch kranke Patienten den Weg in die Praxis aus Angst vor einer möglichen Ansteckung . Daher plädierten der Hausärzteverband und andere Ärztevertreter unisono für Regelungen, die das Risiko von Fehl- oder Unterversorgung minimieren sollten. Eine weitere dramatische “Nebenwirkung” des Shutdowns: häusliche Gewalt, wohl mit hoher Dunkelziffer. Auch in der Zwischenbilanz der Regierung heißt es: “Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen: Häusliche Gewalt nimmt im Verlauf der Pandemie zu.”

Flop: Umgang mit Nichtwissen und Zahlen

Gerade zu Beginn der Pandemie waren alle Akteure mit einem entscheidenden Faktor konfrontiert: Nichtwissen. Ein Beispiel: Erst mit der Zeit habe sich herausgestellt, dass viele Ansteckungen von Infizierten ohne Krankheitsanzeichen ausgehen, erklärte Prof. Lothar Wieler, Chef des Robert Koch-Instituts (RKI), Anfang Mai. “Die Bedeutung der Maske ist auch mit dem zunehmenden Wissen gewachsen”.

Gerade in Publikumsmedien wurde dabei oft “alarmistisch” berichtet. Zwei Knackpunkte: der Umgang mit Zahlen, bei denen etwa von “neu Infizierten”, selten jedoch von “getesteten Infizierten” oder “getesteten Genesenen” gesprochen wurde, sowie eine hohe Präsenz einzelner Experten, vor allem Virologen. Auch hier hätte eine stärkere Präsenz hausärztlicher Meinungen wohl für mehr “Unaufgeregtheit” und einen breiteren Blick sorgen können.

 

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