PräventionScreening auf Typ-1-Diabetes: Nutzen oder Risiko?

Ein Screening auf Typ-1-Diabetes im Frühstadium ist heute bereits möglich, über den Einsatz wird allerdings kontrovers debattiert.

Typ-1-Diabetes verläuft in drei Stadien.

Ein Antikörperscreening, mit dem sich Kinder in einem sehr frühen Stadium eines Typ-1-Diabetes erkennen lassen, wird in Deutschland bereits in Studien durchgeführt. Ein Beispiel ist die Fr1da-Studie aus Bayern, die seit 2015 läuft: Teilnehmende Eltern können ihre Kinder zwischen zwei und zehn Jahren im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung kostenfrei auf Typ-1-Diabetes im Frühstadium screenen lassen. Nutzen und Risiken eines solchen Screenings werden allerdings teils kontrovers diskutiert.

Der höchste Nutzen eines Screenings wäre, wenn sich dadurch der Ausbruch einer Erkrankung verhindern ließe. Eine solche Therapie ist bei Typ-1-Diabetes zwar nicht in Sicht.

In den USA ist jedoch kürzlich ein Antikörper zugelassen worden, der zumindest die Entwicklung eines Typ-1-Diabetes um im Mittel rund zwei Jahre verzögern kann, aber auch Nebenwirkungen wie eine Lymphopenie haben kann: Teplizumab. In Europa ist der Antikörper, der die fortschreitende Zerstörung der Insulin-sezernierenden Inselzellen des Pankreas durch autoreaktive T-Lymphozyten verhindert, bisher nicht zugelassen.

Typ-1-Diabetes verläuft in drei Stadien

Verabreicht werden kann der Antikörper laut US-Zulassung an Personen ab acht Jahren, die an einem Typ-1-Diabetes im Stadium 2 leiden. Zur Erinnerung: Typ-1-Diabetes verläuft in drei Stadien:

  • In Stadium 1 sind zwei oder mehr für Typ-1-Diabetes spezifische Autoantikörper (z.B. gegen Insulin IAA, Glutamatdecarboxylase GADA oder Insulinoma-assoziiertes Antigen 2 IA-2) nachweisbar, der oder die Betroffene ist aber noch normoglykämisch.
  • In Stadium 2 ist neben den Inselautoantikörpern eine Dysglykämie nachweisbar.
  • In Stadium 3 hat sich ein Typ-1-Diabetes manifestiert.

Professorin Annette-Gabriele Ziegler von der TU München, die die Fr1da-Studie leitet, sieht in Teplizumab einen echten Durchbruch. “Damit viele Menschen und insbesondere Kinder von einer solchen Krankheits-verzögernden Therapie profitieren, sollte ein freiwilliges Screening auf Inselautoantikörper in der Regelversorgung angeboten werden”, resümierte die Diabetologin.

Doch ist das Screening sensitiv genug – und bietet es tatsächlich einen Nutzen oder doch mehr Risiken? In dieser Frage sind sich die Expertinnen und Experten uneins.

Mögliche Vorteile…

Ziegler berichtete von einer Sensitivität von 82 Prozent, wenn jeweils im Alter von zwei und sechs Jahren auf Typ-1-Diabetes-spezifische Autoantikörper gescreent werde. Die Gefahr falsch-positiver Ergebnisse und damit möglicherweise unnötiger Therapien sieht sie als sehr gering an, da das Ergebnis mehrfach überprüft werde: Zwei Antikörper müssen in zwei unterschiedlichen Tests in zwei separaten Blutproben positiv sein.

Vorteile des Screenings auf Typ-1-Diabetes im Frühstadium im Vergleich zu einer spontanen Diagnose sieht sie daher mehrere:

  • Die Ketoazidose-Rate mit potenziell schweren Folgen bei Kindern könne reduziert werden: Zwischen 2015 und 2023 habe die Ketoazidose-Rate in der Fr1da-Studie bei 4,3 Prozent gelegen, berichtete Ziegler. Im DPV-Register, in dem bundesweit über 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes erfasst sind, habe die Ketoazidose-Rate hingegen im Jahr 2019 bei 24 Prozent, im Corona-Jahr 2020 sogar bei 44 Prozent gelegen.
  • Die Betazell-Funktion bei klinischer Manifestation und die Stoffwechseleinstellung sei günstiger als bei einer spontanen Diagnose. Das zeige ein Vergleich mit Kindern aus der DiMelli-Studie.
  • Die Lebensqualität der Eltern verbessere sich.
  • Der Übergang zu einer Insulintherapie zum richtigen Zeitpunkt gestalte sich reibungsloser.
  • Durch das Screening könne ein Zugang zu präventiven Therapien (wie Teplizumab) ermöglicht werden.

Anders sieht das Professorin Beate Karges von der RWTH Aachen. Als erfüllt betrachtet sie nur drei Punkte der von der von der WHO publizierten Kriterien (nach Wilson und Jungner [2], modifiziert nach [3]) für ein populationsbasiertes Screening, nämlich die Punkte 1, 5 und 9 (siehe Kasten unten).

… und mögliche Nachteile

Karges identifizierte hingegen mehrere Risiken eines generellen Screenings:

  • Ein Problem sei unter anderem das Phänomen der “transienten Betazell-Immunität”. Dabei handelt es sich um Typ-1-Diabetes-spezifische Autoantikörper, die nur vor-übergehend auftreten. Ein Forschungsteam aus Finnland habe in einer populationsbasierten Analyse über 27 Jahre festgestellt, dass 33 Prozent der GAD-Antikörper und 57 Prozent der IA2-Antikörper nur vorübergehend nachweisbar waren [4]. Hier bestehe das Risiko einer unnötigen Therapie – mit möglichen Nebenwirkungen.
  • Denn eine Behandlung mit dem Antikörper könne schwere Infektionen, Lymphopenie sowie ein Zytokinfreisetzungssyndrom oder eine Hypersensitivitätsreaktion zur Folge haben.
  • Hinzu komme, dass bei sieben bis 15 Prozent der Menschen mit Typ-1-Diabetes überhaupt keine Autoantikörper nachweisbar seien, diese würden von dem Test also gar nicht erfasst.
  • Und: Es gebe mit Pumpentherapie und CGM (kontinuierlichem Glukose-Monitoring) schon heute effektive Therapieoptionen.

“Ein Screening ist sinnvoll, wenn die Krankheit in der präklinischen Phase heilbar oder die Prognose bei früher Diagnose und Behandlung erheblich besser ist”, so Karges. Dies sei bisher nicht der Fall. Daher sprach sich die Diabetologin weiter für einen Einsatz des Screenings lediglich im Kontext von Forschungsprojekten aus.

Fazit

Ein Screening auf ein sehr frühes Stadium eines Typ-1-Diabetes bei Kindern wird heute bereits in Studien durchgeführt. Ob ein solches Screening in der Allgemeinbevölkerung einen Nutzen hat oder tatsächlich mehr Risiken birgt, wird von Expertinnen und Experten unterschiedlich bewertet.

Mit Teplizumab könnte Kindern, die mittels Screening identifiziert werden, eine Therapieoption zur Verfügung stehen, die die Entwicklung eines Typ-1-Diabetes zumindest verzögern kann. In Deutschland ist Teplizumab derzeit aber nicht zugelassen. Künftig könnten neue präventive Medikamente grundsätzlich aber dazu führen, dass das Screening den Weg in die Regelversorgung findet.

Quellen:

1. Diabetologia 2023, online 17. Juni; doi 10.1007/s00125-023-05953-0

2. Wilson JM et al.The principles and practice of screening for disease; WHO 1968

3. Arch Dis Child 2022;107:790–795. doi 10.1136/archdischild-2021-321864

4. Diabetes Care 2010; 33(6):1206–121; doi 10.2337/dc09-1040

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