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Chronische WundenKompressionstherapie – wer braucht noch Kurzzugbinden?

Die Kompressionstherapie ist eine wesentliche Säule der konservativen Therapie von chronischen Wunden und Ödemen der unteren Extremitäten. Welche Kompressionsversorgung ist die richtige? Das orientiert sich unter anderem an der jeweiligen Therapiephase. Eine kompakte Übersicht.

Die Kompressionstherapie ist nur erfolgreich, wenn sie sachgerecht durchgeführt und von den Patienten akzeptiert wird.

Das “Wasser” muss weg – die Entstauung

Patienten mit venösen oder lymphatischen Krankheitsbildern haben zu Beginn einer Behandlung meist ein nicht kompensiertes Ödem, welches entstaut werden muss. Bei konsequenter Kompressionstherapie während der Entstauungsphase reduziert sich der Beinumfang fortlaufend.

Daher sollten in dieser Phase phlebologische Kompressionsverbände (PKV) mit Materialien, die sich bei Umfangänderungen entsprechend anpassen lassen, zum Einsatz kommen. Die Entstauungsphase sollte bei sachgerechter Therapie nach spätestens vier Wochen abgeschlossen sein [1].

Kompressionstherapie kann nur erfolgreich sein, wenn ein adäquater Druck über eine angemessene Zeit wirksam ist. Daher sind PKV optimalerweise Tag und Nacht zu tragen. Ein effizienter PKV sollte zur Abheilung eines Ulcus cruris venosum (UCV) mit hohen Druckwerten von 40 bis 60 mmHg angelegt werden [2]. Es gibt folgende Zuordnung von Kompressionsdruckwerten bei PKV [2]:

  • Leicht: < 20 mmHg
  • Mittelstark: ≥ 20–40 mmHg
  • Stark:≥ 40–60 mmHg
  • Sehr stark: > 60 mmHg

Der Kompressionsmarkt in Deutschland bietet eine Vielzahl an verschiedenen Materialien für einen PKV, die stetig weiterentwickelt und verbessert werden. Mehrkomponentensysteme, die in der aktuellen AWMF-Leitlinie zur Kompressionstherapie als anwender- und patientenfreundlich beschrieben werden, erfüllen alle Anforderungen an eine effektive Kompressionstherapie [3].

Zudem gibt es seit einigen Jahren justierbare medizinische adaptive Kompressionssysteme (MAK), die unter anderem das Selbstmanagement unterstützen. Trotz allem werden in Deutschland die klassischen Kurzzugbinden immer noch am häufigsten für PKV eingesetzt [4].

Etabliert aber überholt – PKV mit Kurzzugbinden

Im klinischen Alltag ergeben sich beim Einsatz von PKV mit Kurzzugbinden einige Probleme:

  • Kurzzugbinden verlieren bei Bewegung innerhalb kurzer Zeit an Druck [5-7]. Der initiale Druck fällt bereits in den ersten 30 Minuten erheblich und innerhalb von sieben Stunden um 50 Prozent ab [5,6].
  • Infolge der Ödemreduktion beginnen Kurzzugbinden aufeinander zu rutschen: der PKV verliert seine Form, kann Einschnürungen erzeugen, wird ineffektiv und ist daher in der Entstauungsphase spätestens nach 24 Stunden zu erneuern.
  • Laut einer Erhebung mit 177 Patienten erhielten 69 Prozent keine Unterpolsterung [8]. Unsachgemäße PKV können Schnürfurchen erzeugen, die ggf. zu Druckulzera, Blasen, Hautnekrosen und Nervenschäden führen (Abb. 1a, b, siehe unten). Eine Unterpolsterung mit Watte- oder wiederverwendbaren Schaumstoffbinden beugt diesen unerwünschten Begleiterscheinungen vor.
  • Kurzzugbinden sind aus hygienischen Gründen täglich zu waschen, verlieren nach 15 Wäschen ihre Elastizität [3] und sind somit grundsätzlich alle zwei Wochen neu zu verordnen (Abb. 2, siehe unten). Oft erfolgt eine Neuverordnung aber erst nach 4-6 Monaten [8].
  • In der Praxis zeigen sich erhebliche Defizite bei der sachgerechten Erstellung eines PKV mit Kurzzugbinden auf Anwenderseite.

Die aufgeführten Punkte verdeutlichen, dass eine effektive Therapie mit therapierelevanten Druckwerten über eine ausreichende Zeit mit Kurzzugbinden kaum möglich ist. Weitere Aspekte sind in Tabelle 1 (siehe unten) aufgeführt.

Effizienter, schneller, kostengünstiger – Mehrkomponentensysteme

Mehrkomponentensysteme verfügen über folgende/n Aufbau und Eigenschaften:

  • Konfektionierte Sets, die aus einer bis zu vier Binden bestehen.
  • Aus mehreren Komponenten zusammengesetzt z. B. Polster-, Kurzzug-, Langzugbinden, kohäsiven Fixierbinden oder speziellen Schaumstoffbinden (z. T. mit Calamin oder Zink angereichert).
  • Haftende Eigenschaften einzelner Komponenten stabilisieren den PKV und beugen einem schnellen Verrutschen vor.
  • Je nach Entstauungssituation können sie bis zu sieben Tage am Unterschenkel verbleiben: dies spart Material- (Binden und Verbandmittel) und Personalkosten und unterbricht nicht den Entstauungsprozess [9].
  • Dafür konzipiert, eine kräftige Kompression von ≥ 40 mmHg zu erzeugen.
  • Verfügen teilweise über spezielle Dehnungstechniken oder haben visuelle Marker, die das Erzielen des therapierelevanten Drucks sowie eine korrekte Anlage erleichtern sollen (siehe Abbildung 3 unten).
  • Teilweise in einer “Lite”-Version erhältlich, die bei korrekter Anlage einen Ruhedruck von etwa 20 mmHg erzeugt. Hiermit können u. a. Patienten mit arteriellen Durchblutungsstörungen (ohne kritische Ischämie), meist mit einem Ankle-Brachial-Index (ABI) zwischen 0,6-0,8, therapiert werden. Die niedrigeren Druckwerte mindern für die Patienten das Schmerzaufkommen.

Seit dem Jahr 2000 sind Mehrkomponentensysteme in Deutschland verordnungs- und erstattungsfähig. Sie fallen wie die Kurzzugbinden ins Arznei- und Verbandmittelbudget. Es gibt mittlerweile eine gute Evidenz, die belegt, dass sie den PKV mit Kurzzubinden in der Effektivität überlegen sind [10,11].

Leichter anzulegen – besser akzeptiert

Für die Anlage der Mehrkomponentensysteme sind keine Kenntnisse über komplexe Bandagierungstechniken erforderlich. Auch der Zeitaufwand ist deutlich geringer [11]. Der Einsatz von Mehrkomponentensystemen ist, obwohl diese nicht wiederverwendbar sind, nicht kostenintensiver als Kurzzugbinden, da schneller eine Entstauung erzielt wird.

Da Mehrkomponentensysteme deutlich dünner sind als PKV mit Kurzzugbinden ist das Tragegefühl besser, und die Betroffenen haben weniger Probleme bei der Schuhauswahl [11] (siehe Abbildung 4 unten).

Die Patienten sind zudem beweglicher im Sprunggelenk, was die Arbeit der Venenpumpen fördert und die Adhärenz erhöht [3]. Im Gegensatz zu PKV mit Kurzzugbinden ist eine Anlage von Mehrkomponentensystemen durch geschulte Angehörige möglich [12].

In aktuellen klinischen Studien konnte ein neues Mehrkomponentensystem mit nur einer Binde Patienten und Anwender in den untersuchten praxisrelevanten Aspekten, wie Anlagezeit, -sicherheit und Tragekomfort, überzeugen [13].

Bewertung und Kosten

Obwohl Kurzzugbinden in Deutschland die häufigste Versorgungsform für einen PKV sind, wird der Einsatz kritisch gesehen [3]. In einem Praxistest mit 1.100 Teilnehmern erzielten nur knapp 12 Prozent mit Kurzzugbinden therapierelevante Druckwerte [14].

Unsachgemäße PKV verlängern die Entstauungsphase und mindern die Lebensqualität des Patienten [3]. In der Folge nimmt die Wundexsudation aufgrund weiter bestehender Ödeme nicht ab, und die Wundheilung verzögert sich. Beides steigert den Kostenaufwand für Verbandmittel.

Maßgeblich für die Entscheidung zur Verordnung von Material sind die zu erwartenden Anschaffungskosten sowie Personalkosten, die sich aus dem Zeitaufwand für die Vorbereitung des Materials und die Anlage des PKV errechnen [9].

Während zur Vorbereitung eines PKV mit Mehrkomponentensystem nur der Karton zu öffnen und die Binden auszupacken sind, dauert die Vorbereitung eines sachgerechten PKV mit Kurzzugbinden deutlich länger. Die direkte Gegenüberstellung von Kurzzugbinden und Mehrkomponentensystemen verdeutlicht Vor- und Nachteile der jeweiligen Versorgungsoption.

Fazit

  1. Die Kompressionstherapie kann nur erfolgreich sein, wenn sie sachgerecht durchgeführt und von den Patienten akzeptiert wird.
  2. Es werden Materialen benötigt, die einfach und sicher anzulegen sowie wirtschaftlich und kosteneffektiv sind und die Lebensqualität fördern.
  3. Der Einsatz von Kurzzugbinden geht mit verlängerten Versorgungsprozessen, verzögerter Wundheilung, erhöhten Therapiekosten und verminderter Lebensqualität einher.
  4. Mit Mehrkomponentensystemen kann das Therapieziel meist schneller erreicht werden und gleichzeitig entfallen mehrere Kostenfaktoren.

Mögliche Interessenkonflikte:

Kerstin Protz: Bauerfeind, Curea, Juzo, medi, Lohmann & Rauscher, Hartmann und Urgo.

Prof. Dr. Joachim Dissemond: Curea, medi, Lohmann & Rauscher, Smith & Nephew, Thuasne und Urgo.

Dr. Jürg Traber: Urgo.

PD Dr. Severin Läuchli: Kerecis und Urgo.

Prof. Dr. Markus Stücker: Bauerfeind, Juzo, Viatris, Mölnlycke, medi, Huntleigh Healthcare Ltd., Rheacell und Urgo.

Literatur

  1. Stücker M, Altmeyer P, Reich-Schupke S. Therapie des Ulcus cruris venosum – Neues und Bewährtes. Hautarzt 2011; 62(7): 504-508.
  2. Partsch H, Clark M, Mosti G et al. Classification of compression bandages: practical aspects. Dermatol Surg 2008; 34: 600–609.
  3. Rabe E, Földi E, Gerlach H et al. Medizinische Kompressionstherapie der Extremitäten mitmedizinischem Kompressionsstrumpf (MKS), phlebologischem Kompressionsverband (PKV) und medizinischen adaptiven Kompressionssystemen (MAK). S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie (DGP) in Kooperation mit folgenden Fachgesellschaften: DDG, DGA, DGG, GDL, DGL, BVP. Hautarzt 2021; 72: 137–152.
  4. Reich-Schupke S, Protz K, Kröger K et al. Erhebung zur Kompressionstherapie bei Ärzten, Therapeuten und medizinischem sowie pflegerischem Fachpersonal. Vasomed 2017; 29(1): 6-12.
  5. Larsen AM, Futtrup I. Watch the pressure – it drops. EWMA J 2004; 4(2): 8–12.
  6. Jünger M, Ladwig A, Bohbot S et al. Comparison of interface pressures of three compression bandaging systems used on heathy volunteers. J Wound Care 2009; 18(11): 476-480.
  7. Protz K, Heyer K, Verheyen-Cronau I et al. Loss of interface pressure in various compression bandage systems over seven days. Dermatology 2014; 229 (4): 343-352.
  8. Protz K, Heyer K, Dissemond J et al. Kompressionstherapie – Versorgungspraxis: Informationsstand von Patienten mit Ulcus cruris venosum. J Dtsch Dermatol Ges 2016; 14: 1273-1283.
  9. Dissemond J, Protz K, Moelleken M et al. Kompressionstherapie bei Patienten mit Ulcus cruris – welche Kosten entstehen wirklich? Dtsch Med Wochenschr 2019; 144(16): e94-e101.
  10. O`Meara S, Cullum N, Nelson EA et al. Compression for venous leg ulcers. Cochrane Database Syst Rev 2012; 11: CD000265.
  11. Protz K, Reich-Schupke S, Klose K et al. Kompressionsmittel für die Entstauungstherapie. Vergleichende Erhebung im Querschnitt zu Handhabung, Anpressdruck und Tragegefühl. Hautarzt 2018; 69(3): 232-241.
  12. Weindorf M, Stoffels I, Klode J et al. Einfluss visueller Kontrollsysteme auf den Druck von Kompressionsverbänden. Erste Resultate einer prospektiven klinischen Untersuchung verschiedener Anwenderkollektive. Phlebologie 2012; 41: 18-24.
  13. Moelleken M, Krefting F, Kleinhans M, Dissemond J: Kompressionstherapie mit einem neuen Mehrkomponentensystem mit nur einer Binde bei Patienten mit Ulcus cruris und Ödemen. WUNDmanagement 2023; 17(1): 24-30.
  14. Heyer K, Protz K, Augustin M: Compression therapy – Cross-sectional observational survey about knowledge and practical treatment of specialized and non-specialized nurses and therapists. Int Wound J 2017; 14(6): 1148-1153.
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