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EndokrinologieErhöhter TSH-Wert: Auf den Kontext kommt es an

Bei erhöhten TSH-Werten kommen viele Ursachen in Frage, Medikamente sollten daher nicht vorschnell verordnet werden. Ein Experte schätzt, dass rund 25 Prozent der Behandelten unnötigerweise ein Schilddrüsenhormon erhalten.

Bei erhöhten TSH-Werten ohne weitere Symptome sollte nach zwei bis sechs Monaten ein zweites Mal gemessen werden.

Ist der TSH-Wert erhöht, steckt nicht immer eine behandlungsbedürftige Hypothyreose dahinter. Leider würden aber mitunter zu schnell Schilddrüsenhormone verschrieben, konstatierte Professor Joachim Feldkamp vom Klinikum Bielefeld Mitte bei einer Veranstaltung anlässlich der Deutschen Hormonwoche.

Werden bei einer Routinekontrolle erhöhte Werte (normalerweise beträgt der TSH-Wert zwischen 0,3 und 4,2 mU/L) festgestellt, sollte nach zwei bis sechs Monaten erneut der TSH-Wert bestimmt werden, betonte Feldkamp. Diese Empfehlung findet sich auch in der S2k-Leitlinie „Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis“ der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM).

Mögliche Gründe für erhöhte TSH-Werte

„Denn bei 50 bis 60 Prozent der Betroffenen hat sich der Wert bei der zweiten Messung wieder normalisiert“, erklärte der Endokrinologe. Gründe für einen erhöhten TSH-Wert gibt es viele, Einfluss haben beispielsweise:

  • Die Tageszeit: In der Nacht und am frühen Morgen liegt der TSH-Spiegel höher als am Nachmittag. Diese gelte auch für Menschen, die mit einem Schilddrüsenhormon behandelt werden, berichtete Feldkamp. Ein akuter Schlafmangel könne zu höheren morgendlichen TSH-Werten führen.
  • Starke körperliche Belastungen und mehrtägiges Fasten lassen die Sekretionskurve von TSH abflachen.
  • Das Alter: Kinder und Jugendliche haben höhere TSH-Werte als Erwachsene. Auch bei über 70-Jährigen sind höhere Spiegel normal – „Bei Menschen zwischen 70 und 80 Jahren sind TSH-Werte bis 5 mU/l üblich, bei Menschen über 80 Jahre sogar bis 6 mU/l“, so der Endokrinologe. Eine Übertherapie bei Älteren könne Herzrhythmusstörungen oder eine Abnahme der Knochendichte zur Folge haben.
  • Die Jahreszeit: Im Winter liege der TSH-Wert üblicherweise höher als im Sommer. So habe man beispielsweise bei Antarktis-Forschern deutlich erhöhte TSH-Werte festgestellt.
  • Adipositas: Bei Adipösen ohne Schilddrüsenerkrankung sollten leicht erhöhte TSH-Werte nicht behandelt werden, da es sich hier um eine Adaption des Körpers an das Gewicht handle. Bei Gewichtsabnahme sinke auch der TSH-Spiegel spontan wieder, berichtete Feldkamp.
  • Biotin, das oft bei Haut-, Haar- und Nagelwuchsstörungen eingenommen wird,kann in Labortests Schilddrüsenwerte beeinträchtigen und zu falschen Ergebnissen und Fehlbehandlungen führen. Werden hohe Biotin-Dosierungen (zum Beispiel 10 mg) eingenommen, so sollte mindesten eine dreitägige Pause (besser eine Woche) zwischen der Biotineinnahme und der TSH-Bestimmung liegen, riet Feldkamp. Auf den Zusammenhang zwischen Biotin und fehlerhaften Labormessungen macht auch die DEGAM-Leitlinie aufmerksam, die diesbezüglich zudem auf die Einnahme von hochdosierter Azetylsalizylsäure 4 x 1000 mg/d, Heparin und Glukokortikoiden

Die standardmäßige Bestimmung des TSH-Wertes hält Feldkamp für wenig sinnvoll. „Das macht nur Sinn, wenn der Patient neu aufgetretene Beschwerden hat, also etwa bei einer Tendenz zu Depression, Antriebslosigkeit, einem ungewöhnlich hohen Schlafbedürfnis oder Appetitlosigkeit bei gleichzeitiger gestörter Gewichtsregulation.“

Bestimmt werden sollten dann die freien Schilddrüsenhormone T3 und T4, außerdem sollten Antikörper wie TPO-AK, TG-AK und TRAK überprüft und eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt werden.

Der Endokrinologe schätzt, dass rund 25 Prozent der Behandelten unnötigerweise ein Schilddrüsenhormon erhalten. Darunter seien etwa Menschen mit Schilddrüsenknoten, die sich im Ultraschall gut erkennen ließen. „Deutschland ist ein Jodmangelland, und die wichtigste Ursache für Schilddrüsenknoten ist Jodmangel.“

Behandelt werden könne dann mit einer Jodtherapie, gegebenenfalls mit einem Hormon. Auf keinen Fall sollte vorschnell mit einem Schilddrüsenhormon therapiert werden. Auch bei Menschen, die schon seit Jahren Schilddrüsen-Medikamente erhielten, mache es Sinn, die Therapie einmal im Jahr zu überprüfen.

Eine Autoimmunerkrankung kommt selten allein

Auf eine zweite endokrinologische Patientengruppe, die man in der Hausarztpraxis im Blick haben sollte, wies Professor Karsten Müssig hin: Menschen, die an einer Autoimmunerkrankung ihrer Hormondrüsen wie Typ-1-Diabetes, Hashimoto-Thyreoiditis oder Morbus Addison leiden, haben ein höheres Risiko, weitere Autoimmunerkrankungen zu entwickeln – und das kann auch im Abstand von vielen Jahren geschehen.

„Erkranken mindestens zwei endokrine Organe aufgrund autoimmuner Prozesse, wird das als autoimmunes polyglanduläres Syndrom (APS) bezeichnet“, erklärte Müssig.

Das bedeutet für die Praxis: Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes, einer der häufigsten Autoimmunerkrankungen, sollte jährlich ein Check-up der Schilddrüse durchgeführt werden. „Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes ist das Risiko für eine Hashimoto-Thyreoiditis doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Typ-1-Diabetes“, so der Diabetologe und Endokrinologe vom Franziskus-Hospital Harderberg der Niels-Stensen-Kliniken. Hier bestehe das Risiko von Hypoglykämien aufgrund einer Schilddrüsenunterfunktion.

Auch das Risiko für eine Nebennierenerkrankung wie Morbus Addison sei bei Typ-1-Diabetikerinnen und -Diabetikern erhöht. Müssig: „Ein Morbus Addison führt zu Kortisolmangel, wodurch es bei Patienten mit Typ-1-Diabetes zu Hypoglykämien und, wenn die Erkrankung unerkannt bleibt, zu einer lebensbedrohlichen sogenannten Addison-Krise kommen kann.“ Ein Symptom eines Morbus Addison sei eine braune Hautfärbung, erinnerte er.

Hinter Vitiligo und Alopecia areata könnte auch ein APS stecken

Auch nicht-endokrine Organe können bei APS betroffen sein. Dies könne etwa Vitiligo, Alopecia areata oder einen Vitamin-B12-Mangel auslösen. Umgekehrt können diese Befunde auch auf möglicherweise bestehende, aber noch unerkannte Autoimmunerkrankungen des Hormonsystems hinweisen.

„Ein APS ließe sich früher diagnostizieren, wenn Ärztinnen und Ärzte auch bei eigentlich eigenständigen Störungen wie Vitiligo daran denken, dass auch ein APS vorliegen könnte“, resümierte der Endokrinologe.

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