Serie "Seltene Erkrankungen"Seltene im Fokus: Morbus Huntington

Betroffene, die an Morbus Huntington erkrankt sind, leiden an fortschreitenden motorischen, kognitiven und neuropsychiatrischen Einschränkungen. Im Krankheitsverlauf führen zunehmende Bewegungseinschränkungen, Stürze, Gewichtsverlust und kognitive Defizite bis zur Pflegebedürftigkeit.

Wegen der Erkrankungskomplexität ist bei Menschen mit M. Huntington die Anbindung an ein Huntington-Zentrum sinnvoll.

Definition

Die Huntington-Krankheit ist eine seltene genetische langsam fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, die durch zunehmende motorische (charakteristisch ist die Chorea), kognitive, und neuropsychiatrische Störungen gekennzeichnet ist. Die Erkrankung ist überwiegend autosomal-dominant vererbt, Neumutationen sind selten.

Die Prävalenz ist in Europa am höchsten. In Deutschland wird von etwa neun Betroffenen pro 100.000 Einwohnern ausgegangen [1, 2]. Symptome treten meist ab dem mittleren Lebensalter auf. Die durchschnittliche Lebenserwartung nach Krankheitsausbruch beträgt etwa 20 Jahre [3].

Präventive oder verlaufsmodifizierende Therapien sind bislang nicht verfügbar, so dass primär eine unterstützende symptomkontrollierende Behandlung erfolgt.

Symptome

Motorisch ist die Krankheit anfangs durch subtile Bewegungsunruhe gekennzeichnet, die in zunehmende abrupte, unregelmäßige, unkontrollierbare Überbewegungen, die sog. Chorea, voranschreitet. Nach initialem Fortschreiten stagniert die Ausprägung der Chorea.

Es treten vermehrt muskeltonusbedingte Fehlhaltungen (sog. Dystonie), Verlangsamung, Rigidität, und Gangstörungen zutage, die im Spätstadium dominieren [3]. Kognitiv sind anfangs Unaufmerksamkeit und emotionale Defizite die auffälligsten Merkmale.

Danach folgen Störungen der Exekutivfunktionen wie psychomotorische Geschwindigkeit, Organisations- oder Planungsvermögen. Auch die visuell-räumlichen Leistungen verschlechtern sich [4].

Psychiatrische Symptome umfassen ein breites Spektrum. Fortschreitende Apathie ist eines der häufigsten Symptome. In variabler Ausprägung können Depressionen, Reizbarkeit, Zwangsstörungen, aber auch Psychosen auftreten [5].

Das Suizidrisiko ist besonderes in der Anfangsphase nach Auftreten erster Krankheitssymptome sowie in der Phase des zunehmenden Selbständigkeitsverlustes erhöht [6]. Entsprechende Aufmerksamkeit und präventive Maßnahmen sind daher nötig.

Behandlung

Die Behandlungsstrategie beruht auf einer Milderung der Krankheitssymptome zur Verbesserung der Lebensqualität. Zur Reduktion der Chorea kommt aufgrund des günstigeren Nebenwirkungsprofils in Deutschland primär der Dopaminrezeptorantagonist Tiaprid zum Einsatz. Alternativ wird Tetrabenazin eingesetzt.

Bei dominierender Reizbarkeit oder Unruhe stellen atypische Antipsychotika (z.B. Risperidon, Olanzapin) eine geeignete Alternative dar. Psychiatrische Komorbiditäten wie Depressionen, Ängste oder Zwänge werden grundsätzlich analog zum üblichen psychiatrischen Vorgehen bei entsprechenden Beschwerden behandelt.

Eingesetzt werden insbesondere SSRI, Venlafaxin oder Mirtazapin. Nichtmedikamentös spielen Physiotherapie, Ergotherapie sowie Logopädie mit Schluck-therapie, und im Frühstadium Psychotherapie, eine wichtige Rolle. Infolge des erkrankungstypischen Gewichtsverlusts wird eine hochkalorische Ernährung empfohlen. Details sind in der aktuellen Leitlinie unter www.hausarzt.link/NFmRW nachzulesen [7].

Verlaufsmodifzierende Therapien existieren nicht, es besteht jedoch die Möglichkeit an klinischen Studien teilzunehmen. Angesichts der Erkrankungskomplexität ist die Anbindung an ein Huntington-Zentrum sinnvoll. Einen Überblick über Zentren und Studien bietet z.B. die Deutsche Huntington-Hilfe e.V. (www.dhh-ev.de).

Ursachen und Risikofaktoren

Die Krankheit entsteht durch eine erweiterte Wiederholung des Basentripletts Cytosin-Adenin-Guanin (CAG) im Huntingtin-Gen auf Chromosom 4 (4p16.3). Das mutierte Huntingtin-Protein führt über teils noch nicht abschließend geklärte Mechanismen zu progredienter Neurodegeneration der Stammganglien [3, 8].

Ein Auftreten der Krankheit ist ab 36 CAG-Wiederholungen eines geerbten Huntingtin-Gens möglich. Von einem sicheren Krankheitsausbruch im Laufe des Lebens ist aber erst bei ≥ 40 CAG-Wiederholungen auszugehen [8]. Zunehmende Wiederholungszahlen sind mit früherer Manifestation sowie kürzerer Überlebenszeit infolge schwererer Spätsymptomausprägung assoziiert [9]. Allerdings führt der bedeutsame modulierende Einfluss (epi)genetischer sowie Umweltfaktoren zu deutlicher interindividueller Variabilität [3].

Fälle mit negativer Familienanamnese sind häufig auf Basentriplettvermehrungen bei vorbestehend intermediärer CAG-Wiederholungszahl auf dem väterlichen Allel zurückzuführen, da bei 27-35 Wiederholungen eine Replikationsinstabilität vor allem bei der Spermatogenese besteht [10].

Untersuchungen und Diagnose

Die Diagnosestellung beinhaltet eine neurologische, neuropsychologische und psychiatrische Evaluation. Fremd- und Familienanamnese haben dabei einen hohen Stellenwert. Zudem sollte eine zerebrale Bildgebung (möglichst MRT) durchgeführt werden.

Im nächsten Schritt kann bei passenden Beschwerden nach fachärztlichem Aufklärungsgespräch und schriftlicher Einwilligung des Patienten, die Bestimmung der CAG-Wiederholungszahl im Huntingtin-Gen zur Differenzialdiagnostik erfolgen.

Das Ergebnis muss der veranlassende Facharzt persönlich mitteilen. Bei Bestätigung der Huntington-Erkrankung muss in Deutschland eine humangenetische Beratung durch hierfür qualifizierte Ärzte nach Gendiagnostikgesetz angeboten werden [7]. Bei negativem Ergebnis kann eine erweiterte Diagnostik auf genetische Phänokopien erwogen werden.

Notwendigkeit und Ausmaß erweiterter Diagnostik zum Ausschluss erworbener metabolischer, endokriner, toxischer, infektiöser, autoimmuner/paraneoplastischer Ursachen richtet sich nach Familienanamnesestatus, Manifestationsgeschwindigkeit, Alter sowie Zusatzsymptomen [11].

Krankheitsverlauf und Prognose

Auf eine klinisch asymptomatische Lebensphase folgt die schleichend progrediente Krankheitsmanifestation. Kognitive Veränderungen gehen motorischen Symptomen dabei oft um einige Jahre voraus. Nach dieser Frühphase zeigt sich initial in Stresssituationen, dann dauerhaft die typische Chorea, die meist zur Diagnose führt.

Auch kognitive Einschränkungen nehmen zu, die Erwerbsfähigkeit geht schrittweise verloren und Aktivitäten des täglichen Lebens benötigen wachsende Unterstützung. Psychiatrische Auffälligkeiten treten zunehmend in Erscheinung.

In der Spätphase besteht weitestgehende Abhängigkeit, die im Verlauf die Versorgung in einer Pflegeeinrichtung nötig macht. Die Chorea nimmt ab, Verlangsamung, Rigidität und Gangstörung mit Stürzen und Gehfähigkeitsverlust treten in den Vordergrund. Sprechen und Schlucken sind zunehmend beeinträchtigt [12, 13]. Nach 15-20 Jahren versterben die Patienten meist an Infektionen (v.a. Pneumonie) oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen [3].

Prävention

Eine Prävention ist trotz intensiver Forschung bislang nicht möglich. Medikamentenstudien schließen Betroffene in zunehmend (sehr) frühen Krankheitsstadien ein.

Große Beobachtungsstudien wie die weltweite EnrollHD-Studie (www.enroll-hd.de) stellen über die Erfassung des Erkrankungsverlaufs hinaus eine Datenplattform zur Identifikation geeigneter Studienpatienten dar, so dass eine Teilnahme für Interessierte (Mutationsträger wie ungetestete Risikopatienten) besonders sinnvoll sein kann.

Die Autoren haben keine Interessenkonflikte deklariert.

Literatur 

  1. Ohlmeier C, Saum KU, Galetzka W, Beier D, Gothe H. Epidemiology and health care utilization of patients suffering from Huntington’s disease in Germany: real world evidence based on German claims data. BMC Neurol. Dec 10 2019;19(1):318. doi:10.1186/s12883-019-1556-3
  2. Warby SC, Visscher H, Collins JA, et al. HTT haplotypes contribute to differences in Huntington disease prevalence between Europe and East Asia. Eur J Hum Genet. May 2011;19(5):561-6. doi:10.1038/ejhg.2010.229
  3. Walker FO. Huntington’s disease. Lancet. Jan 20 2007;369(9557):218-28. doi:10.1016/S0140-6736(07)60111-1
  4. Papoutsi M, Labuschagne I, Tabrizi SJ, Stout JC. The cognitive burden in Huntington’s disease: pathology, phenotype, and mechanisms of compensation. Mov Disord. Apr 15 2014;29(5):673-83. doi:10.1002/mds.25864
  5. Craufurd D, Thompson JC, Snowden JS. Behavioral changes in Huntington Disease. Neuropsychiatry Neuropsychol Behav Neurol. Oct-Dec 2001;14(4):219-26
  6. Paulsen JS, Hoth KF, Nehl C, Stierman L. Critical periods of suicide risk in Huntington’s disease. Am J Psychiatry. Apr 2005;162(4):725-31 doi:10.1176/appi.ajp.162.4.725
  7. Saft C. S2k-Leitlinie Chorea/Morbus Huntington. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Deutsche Gesellschaft für Neurologie; 2022. 27.1.2023. Accessed 01.12.2023
  8. McColgan P, Tabrizi SJ. Huntington’s disease: a clinical review. Eur J Neurol. Jan 2018;25(1):24-34. doi:10.1111/ene.13413
  9. Langbehn DR, Registry Investigators of the European Huntington Disease N. Longer CAG repeat length is associated with shorter survival after disease onset in Huntington disease. Am J Hum Genet. Jan 6 2022;109(1):172-179. doi:10.1016/j.ajhg.2021.12.002
  10. Goldberg YP, Kremer B, Andrew SE, et al. Molecular analysis of new mutations for Huntington’s disease: intermediate alleles and sex of origin effects. Nat Genet. Oct 1993;5(2):174-9. doi:10.1038/ng1093-174
  11. Wild EJ, Tabrizi SJ. The differential diagnosis of chorea. Pract Neurol. Nov 2007;7(6):360-73. doi:10.1136/pn.2007.134585
  12. Shoulson I, Fahn S. Huntington disease: clinical care and evaluation. Neurology. Jan 1979;29(1):1-3. doi:10.1212/wnl.29.1.1
  13. Kirkwood SC, Su JL, Conneally P, Foroud T. Progression of symptoms in the early and middle stages of Huntington disease. Arch Neurol. Feb 2001;58(2):273-8. doi:10.1001/archneur.58.2.273
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