Berlin. Noch vor der Zulassung in der EU gibt es heftige Debatten um das rund zwei Millionen Euro teure Medikament Zolgensma des Schweizer Pharmakonzerns Novartis. Zwei Kinder in Deutschland haben das Medikament nach Herstellerangaben bisher erhalten, bezahlt von gesetzlichen Krankenkassen. Rasch wurde Kritik laut: Über eine „beispiellose Medienkampagne“ sei auf Kassen und Ärzte erheblicher Druck ausgeübt worden, hieß es in einem Brief von Gemeinsamem Bundesausschuss, Verband der Universitätsklinika Deutschlands und diversen Kassen an Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kürzlich.
Die Eltern der Kinder aus Baden-Württemberg und Sachsen hatten sich an die Presse gewandt, öffentlichkeitswirksame Aktionen gestartet und juristische Unterstützung gesucht. „Ob Zolgensma das bessere Medikament ist, müssen Mediziner beurteilen und nicht Juristen oder die Medien“, sagte Joachim Sproß von der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke (DGM). Die DGM setze sich zwar für eine schnelle Zulassung des Medikaments ein, aber: „Man muss mit den Erwartungen der Eltern ehrlich und sensibel umgehen.“ Es dürfe nicht der Eindruck erweckt werden, dass ein Allheilmittel präsentiert werde.
Geringe Fallzahlen – hohe Preise
Mit einem Preis von etwa 2,1 Millionen Dollar (1,9 Millionen Euro) in den USA ist Zolgensma eines der teuersten Medikamente überhaupt. Eine einmalige Dosis davon soll Kindern mit Spinaler Muskelatrophie (SMA) helfen. Mit dieser seltenen Erkrankung kommt etwa eines von 10.000 Neugeborenen auf die Welt. Auslöser ist ein erblicher Gendefekt, der dazu führt, dass die Nerven im Rückenmark die Muskeln nicht ausreichend versorgen. Es gibt verschiedene Schweregrade. Bei der schwersten Verlaufsform sterben die Kinder unbehandelt meist innerhalb der ersten zwei Lebensjahre an Atemschwäche.
In den USA ist Zolgensma für Kinder bis zwei Jahre seit Mai zugelassen, bis Ende September wurden nach Angaben von Novartis rund 100 Patienten damit behandelt. Für Deutschland und die EU rechnet Novartis mit 50 potenziellen Patienten und der Zulassung im ersten Quartal 2020.
Druck auf die Zulassung
Krankenkassen und Experten befürchten eine Art Nachahmer-Effekt: Auch andere Medikamente könnten künftig über Umwege schon vor ihrer Zulassung auf den Markt kommen, wird gewarnt. Generell sei zu erwarten, dass es in den kommenden Jahren immer mehr hochpreisige Gen- und Zelltherapien geben werde, teilte der Gemeinsame Bundesausschuss mit. Gemeinsam mit Uni-Kliniken und Kassen fordert er gesetzliche Regelungen für den Umgang mit neuen und sehr teuren Arzneimitteln, für die noch keine Zulassung besteht. Außerdem solle im Fall von Zolgensma der Hersteller Novartis zu einem Härtefallprogramm verpflichtet werden.
Ein solches Programm gibt es dann, wenn die Studie zu einem Medikament schon so überzeugend war, dass es nicht mehr zumutbar wäre, mit der Verabreichung des Medikaments bis zur Zulassung zu warten, wie der Mediziner Arpad von Moers erklärt. In diesem Fall dürfen Patienten das Medikament bekommen, die die Voraussetzungen der Studie erfüllt hätten. In der Phase übernehme der Hersteller die Kosten, erläuterte von Moers, Chefarzt an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der DRK Kliniken Berlin Westend. Allerdings dürfte keine vergleichbare Therapie auf dem Markt sein.
Schwierige Bewertungslage
Das Medikament von Novartis ist nicht das erste, das gegen den Muskelschwund helfen soll. Seit 2017 ist in der EU Nusinersen mit dem Handelsnamen Spinraza der Firma Biogen zugelassen, das für die Patientengruppe einen „erheblichen Zusatznutzen“ darstellt, wie der Gemeinsame Bundesausschuss bereits festgestellt hat. Ob Zolgensma dieses Medikament übertrifft, ist offen.
Beide Medikamente können laut Sproß sehr gute Erfolge zeigen: „Es gibt Kinder, die wären vor zehn Jahren keine 24 Monate alt geworden und erreichen heute mit entsprechender Therapie hervorragende motorische Fähigkeiten.“ Das gilt aber bei weitem nicht immer – und es gibt noch große Unsicherheiten. „Es gibt überhaupt keine vergleichenden Studien“, sagte von Moers. Auch die Nebenwirkungen seien noch nicht ausreichend erforscht.
„Wir nehmen das Problem sehr ernst und bemühen uns um eine zeitnahe Lösung im Sinne der Patienten“, hieß es vom Gesundheitsministerium bisher nur.
Quelle: dpa