Berlin. Die Corona-Pandemie hat die Infektionsgefahr für viele andere Erkrankungen erhöht: Notwendige Impfungen wurden verschoben oder ganz unterlassen, Impfkampagnen mussten gestoppt werden. So werden aus zahlreichen Ländern der Welt weiterhin Masernausbrüche gemeldet: In den USA etwa nehmen die Fallzahlen seit Jahren zu, auch in Südamerika und Afrika gibt es in mehreren Ländern neue Ausbrüche.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtete kürzlich von einem Anstieg der weltweiten Maserninfektionen um 79 Prozent. Es lohnt sich also, bei der reisemedizinischen Beratung auch den Masern-Impfschutz zu überprüfen, gerade bei jüngeren Reisenden zwischen 15 und 40 Jahren, bei denen die Impfquote schlecht ist.
Vielfach unterschätzt gehört Dengue-Fieber immer noch zu den weltweit häufigsten Infektionskrankheiten, berichtete Professor Tomas Jelinek beim 23. Forum Reisen und Gesundheit. Es habe im vergangenen Jahr allein in Brasilien Ausbrüche mit über einer Million Betroffenen gegeben. Demnächst werde es aber eine echte Neuerung geben: für Ende 2022 habe der Hersteller Takeda den tetravalenten Dengue-Impfstoff QDenga® angekündigt, der auch für die Reisemedizin von Bedeutung ist.
„Der Impfstoff ist gegen alle vier Denguevirus-Serotypen gerichtet und erreicht eine Schutzwirkung von 95,4 Prozent vor Hospitalisierung. Das ist wirklich vorzeigbar – und: es hat in den Studien kein Sicherheitssignal gegeben,“ sagte Jelinek, wissenschaftlicher Leiter des CRM – Centrum für Reisemedizin in Düsseldorf.
Hepatitis und Cholera
Neuerungen gebe es auch bezüglich Hepatitis B. „Der Hepatitis-Impfstoff Heplisav-B® ist schon zugelassen und wird vermutlich im zweiten Halbjahr 2022 verfügbar sein“, berichtete der Reisemediziner. „Diese Vakzine hat doppelt so viel Antigen wie die ‘normalen’ Hepatitis-B-Impfstoffe und ist Squalen-ähnlich adjuvantiert.“
Der Impfstoff werde zweimal im Abstand von vier Wochen verimpft. Jelinek: „Bisher liegen Ein-Jahres-Daten vor, und hier zeigt Heplisav-B® eine stärkere Antikörperantwort als EngerixB®. Natürlich kann man aber noch nichts über den Langzeitschutz sagen, sehr wahrscheinlich hält der Schutz aber genauso lange wie bei EngerixB®.“
Der anderen Hepatitis-B-Impfstoff, der möglicherweise verfügbar werde, ist Sci-B-Vac®. Zugelassen ist er bereits in Israel und zehn weiteren Ländern. „Diese Vakzine enthält drei Antigene, neben dem S-Antigen auch zwei Prä-S-Antigene. Sie erhalten also mit dieser Vakzine einen breiteren Impfschutz“, berichtete Jelinek. „Die Vakzine schützt damit auch vor Defekt-Varianten des Hepatitis B-Virus.“
Für Immungesunde seien diese Defekt-Varianten kein Problem, aber bei Immunsupprimierten könne eine solche Variante eine chronische Hepatitis auslösen. „Dieser Impfstoff wäre also etwas für Immunsupprimierte, nicht für Immungesunde“, so sein Resümee.
Jelinek wies auch auf einen Hepatitis A-Ausbruch in den USA hin. Dieser sei mit dem Besuch von Schnellrestaurants assoziiert gewesen, es habe bei den Infizierten eine hohe Sterblichkeit von rund zehn Prozent gegeben. Nach Angaben der US-Behörde Centers for Control Disease and Prevention (CDC) nehmen seit 2016 landesweite Hepatitis A-Ausbrüche zu, bei denen der Übertragungsweg von Mensch zu Mensch erfolgt.
„Möglicherweise besteht hier ein Zusammenhang mit Opiatabhängigen und der Opiat-Welle in den USA“, sagte Jelinek. Er empfehle bei Reisen in die USA daher aktiv die Hepatitis A-Impfung.
Eine weitere Neuerung gibt es bei der Impfung gegen Cholera. Hier werde die Vakzine Vaxchora® als zweiter Cholera-Impfstoff verfügbar werden. Jelinek: „Es handelt sich um einen Lebendimpfstoff, der zu einer 90-prozentigen Protektivität gegen die wichtigsten Stämme von Vibrio cholerae über zwei Jahre führt.“
Im Gegensatz dazu handle es sich bei Dukoral®, dem bereits in Deutschland verfügbaren Cholera-Impfstoff, um einen Totimpfstoff, der gegen das Cholera-Toxin gerichtet ist. „Wir haben hier aber zusätzlich eine gewisse Kreuzprotektivität gegen enterotoxigene E.coli-Bakterien“, erinnerte Jelinek. „Wir müssen sehen, wo wir die neue Vakzine letztendlich einordnen.“
Meningokokken und Pneumokokken
Auch bei der Meningokokken-Impfung tut sich etwas: Mit MenQuadfi® gibt es eine neue Vakzine gegen Meningokokken vom Serotyp A, C, W und Y. „Generell laufen wir in der Reisemedizin den Meningokokken-Serotypen immer ein bisschen hinterher“, sagte Jelinek. „Eigentlich kommen alle Serotypen überall vor, durch Migrationsbewegungen oder das Reisen haben sie sich auf der ganzen Welt verteilt.“
Er wies zudem darauf hin, dass der Meningokokken-Serotyp W auch bei Älteren aggressive Verläufe hervorrufen kann, das Durchschnittsalter liege hier bei 47 Jahren. „Das ist untypisch, normalerweise ist Meningitis eine Erkrankung des Kindes- und Jugendalters.“
Grundsätzlich müsse die Ständige Impfkommission (STIKO) ihre Empfehlungen bezüglich der Impfung gegen Meningitis überarbeiten, forderte der Reisemediziner. Die STIKO empfiehlt die Impfung gegen Meningokokken der Serogruppe C bekanntlich für alle gesunden Kinder im 2. Lebensjahr mit einem MenC-Konjugatimpfstoff.
Nur bei einem erhöhten Risiko für Meningokokken-Erkrankungen (z.B. angeborene oder erworbene Immundefekte mit T- und/oder B-zellulärer Restfunktion) sollten Säuglinge, Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit einem MenACWY-Konjugatimpfstoff sowie mit einem MenB-Impfstoff geimpft werden.
„Der Serotyp C macht bei Kindern aber nur 13 bis 16 Prozent der insgesamt wenigen Fälle aus. Wenn wir gut schützen wollen, dann sollten wir gegen alle Serotypen impfen!“ betonte Jelinek.
Kritisch äußerte sich der Reisemediziner auch zu den STIKO-Empfehlungen zur Pneumokokken-Impfung. „Man muss sagen: Diese Impfung ist grundsätzlich in Deutschland miserabel umgesetzt.“ Nur sechs Prozent in der Risikogruppe der Immunsupprimierten seien geschützt, hier könne man gerade in der reisemedizinischen Beratung viel zu einer besseren Impfquote beitragen.
Jelinek berichtete: „Wir haben mittlerweile zwei neue Impfstoffe: Apexxnar®, ein 20-valenter Konjugatimpfstoff, der ab 18 Jahren verimpft werden kann, und Vaxneuvance®, ein 15-valenter Konjugatimpfstoff, der ebenfalls ab 18 Jahren zugelassen ist.“ Er hoffe, dass die STIKO die Empfehlungen überarbeiten und wahrnehmen werde, dass es effektive Konjugatimpfstoffe gebe.
Typhus
Bei Typhus gebe es insgesamt eine unschöne Entwicklung, da sich multiresistente Salmonella-typhi-Stämme weltweit ausbreiten und es in Deutschland nur einen einzigen Impfstoff gebe: Typhim Vi®.
Das könnte sich aber ändern: “Ich habe gehört, dass Typhoral® im Mai nächsten Jahres wieder verfügbar sein soll.”
Japanische Enzephalitis
Die Impfung gegen Japanische Enzephalitis (JE) könne mittlerweile auch bei Reisen nach Australien indiziert sein, ging Jelinek auch auf etwas seltenere Reiseimpfungen ein. Bislang galt das JE-Virus als rein asiatischer Krankheitserreger – in Australien umfasste das Endemiegebiet nur die Inseln der Torres-Straße. „Nun werden aber Fälle aus mehreren Bundesstaaten gemeldet, darunter auch Todesfälle.” Er gehe davon aus, dass sich das Virus festsetze.
Die meisten Infektionen mit dem JE-Virus bleiben unbemerkt oder verlaufen mild mit grippeähnlichen Symptomen. Ungefähr eine von 250 symptomatischen Infektionen verläuft aber schwer.
Eine schwere Erkrankung sei durch hohes Fieber und Enzephalitis gekennzeichnet, die sich mit Nackensteifigkeit, Krampfanfällen, Lähmungen und Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma äußere, so Jelinek. „Bis zu 30 Prozent dieser schwer betroffenen Patienten sterben, weitere 30 bis 50 Prozent haben bleibende neurologische Schäden. Eine wirksame Behandlung gibt es nicht.”
Seit 2009 ist in Europa die Vakzine Ixiaro® zugelassen. „Eine JE-Impfung ist sinnvoll, wenn ein mehrwöchiger Aufenthalt in einem Endemiegebiet oder Outdoor-Aktivitäten in ländlichen Regionen geplant sind”, empfahl der Reisemediziner. Auch bei kürzeren Aufenthalten sei zur Impfung zu raten, wenn Risikofaktoren vorlägen, etwa ein Alter über 50 Jahre.
Malaria
Offenbar breitet sich auch Malaria wieder aus: „Nachdem wir uns über Jahre an fallende Malariazahlen in der Welt gewöhnt hatten, ist bereits 2016 eine Kehrtwende eingetreten“, meinte Jelinek. Seitdem stiegen die Malariafälle in vielen Ländern wieder an, seit 2020 habe die WHO mehrfach Warnungen zur deutlichen Zunahme der Malaria in Endemiegebieten ausgesprochen. 2020 gab es weltweit 627.000 Malaria-Todesfälle, ein Plus von 12 Prozent.
„Die Insel Sansibar, auf der Malaria zeitweise ausgerottet war, ist wieder zu einem Hochrisikogebiet geworden. In Ostafrika kommt hinzu, dass mit Anopheles stephensi eine neue Überträgermücke aus Südasien eingewandert ist und dort urbane Ausbrüche auslöst.“ Daher werde ein guter Malariaschutz bei Reisen in Risikogebiete wieder wichtiger.