Die Bedenken mancher chronisch kranker Personen sind meistens darauf zurückzuführen, dass früher einige neurologische Erkrankungen eine Kontraindikation gegen bestimmte Impfstoffe darstellten, zum Beispiel für eine Pockenimpfung oder auch für eine Impfung gegen Pertussis mit Ganzkeimimpfstoff.
Während der Corona-Pandemie wurden wir häufiger von Erwachsenen um Rat wegen einer Covid-19-Impfung gebeten, die aufgrund von Erkrankungen in der Kindheit bisher nicht eine der empfohlenen Standardimpfungen erhalten hatten mit allen daraus resultierenden Risiken für die Betroffenen.
Die STIKO äußert sich in den aktuellen Empfehlungen 2022 unter dem Punkt “Falsche Kontraindikationen” zu Impfungen bei Personen mit chronischen Krankheiten: “Indizierte Impfungen sollen auch bei Personen mit chronischen Krankheiten – einschließlich neurologischer Krankheiten – durchgeführt werden, da diese Personen durch schwere Verläufe und Komplikationen impfpräventabler Krankheiten besonders gefährdet sind. Personen mit chronischen Krankheiten sollen über den Nutzen der Impfung im Vergleich zum Risiko der Krankheit aufgeklärt werden. Es liegen keine gesicherten Erkenntnisse darüber vor, dass eventuell zeitgleich mit der Impfung auftretende Krankheitsschübe ursächlich durch eine Impfung bedingt sein können.” [1]
Im Folgenden sollen einige Impfungen bei chronischen Erkrankungen und die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) vorgestellt werden.
Autoimmun- und chronisch entzündliche Erkrankungen
Autoimmunerkrankungen (z. B. Myasthenia gravis, Multiple Sklerose) sind ebenso wie chronisch entzündliche Erkrankungen (z. B. Rheumatoide Arthritis, chronisch entzündliche Darmerkrankungen) per se keine Kontraindikation für Impfungen, auch nicht mit Lebendimpfstoffen.
Da diese Patientinnen und Patienten jedoch häufig mit immunsupprimierenden Medikamenten therapiert werden, ist diese Medikation eine Kontraindikation für attenuierte Viruslebendimpfstoffe. Der Masern-Mumps-Röteln- und Varizellen-Impfstatus sollte daher unbedingt vor Therapiebeginn geprüft und fehlende Impfungen sollten ergänzt werden. Inaktivierte Impfstoffe können auch unter der Gabe von Immunsuppressiva verabreicht werden, allerdings ist die Immunantwort ggf. vermindert.
Während Studien bisher keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Impfung und einer neu aufgetretenen Autoimmunkrankheit bzw. einer chronisch-entzündlichen Erkrankung oder einem Schub einer bereits bestehenden Erkrankung belegen, besteht kein Zweifel daran, dass die entsprechenden Infektionen bei nicht Geimpften zu schweren Verläufen führen, Morbidität und Mortalität erhöhen oder einen Schub auslösen können. Impfungen können somit das Risiko für symptomatische Erkrankungen durch die jeweiligen Erreger und für infektionsgetriggerte Schübe der Grunderkrankung verringern [2].
Die STIKO empfiehlt schon seit vielen Jahren explizit eine Influenza-Impfung für Personen mit chronischen neurologischen Erkrankungen, z. B. Multiple Sklerose mit durch Infektionen getriggerten Schüben.
Auch die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) sieht Impfungen als wichtig für die Patientinnen und Patienten an: “Durch Impfungen vermeidbare Infektionen können einerseits schwerwiegende Erkrankungen verursachen, andererseits bei MS-Erkrankten darüber hinaus Schübe auslösen und zur Krankheitsverschlechterung beitragen. Dieses Risiko ist in den meisten Fällen höher einzuschätzen als potenzielle Risiken durch Impfungen. MS-Erkrankte sollten daher entsprechend den von der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert Koch-Instituts (RKI) empfohlenen Impfungen im Erwachsenenalter geimpft werden” [3].
Eine immunsuppressive Therapie muss dabei natürlich berücksichtigt werden. Im Raum steht auch immer die Sorge, dass durch Viruslebendimpfstoffe (Masern-Mumps-Röteln, Varizellen, Gelbfieber) eventuell ein Schub ausgelöst werden könnte, wie dies durch verschiedene Wildviren ja definitiv der Fall ist. Theoretisch ist es denkbar, dass Impfungen einen Schub einer MS auslösen könnten, da sie immunmodulatorisch wirken.
In systematischen Studien und Übersichtsarbeiten konnten aber weder Zusammenhänge zwischen Impfungen (z. B. gegen Hepatitis B, Influenza, Tetanus) und einer Erkrankung an MS noch mit einer Schubauslösung bei bereits diagnostizierter MS beobachtet werden. Nach der Gelbfieber-Impfung wurden Einzelfälle eines MS-Schubes berichtet, allerdings handelte es sich um eine Fallserie mit nur sieben Fällen und methodischen Schwächen. Darauf wies das RKI hin, ein kausaler Zusammenhang konnte nicht hergestellt werden [4].
Impfungen bei Multipler Sklerose
Totimpfstoffe können jederzeit verabreicht werden. Wenn wegen der MS oder einer anderen demyelisierenden Erkrankung eine immunsuppressive Therapie gegeben wird, ist grundsätzlich zu beachten, dass das Impfansprechen auf Totimpfstoffe reduziert sein kann.
Lebendimpfstoffe können grundsätzlich auch bei MS gegeben werden, wenn keine Immunsuppression besteht. Während eines Schubs oder unter einer immunsuppressiven Therapie sind Lebendimpfstoffe allerdings kontraindiziert [4].
Diabetes mellitus und andere chronische Erkrankungen
Diabetiker haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko für schwere Krankheitsverläufe von Infektionskrankheiten, das zeigte sich auch während der Covid-19-Pandemie. Auch bei Ausbrüchen von anderen Viruserkrankungen, wie z. B. der Influenza, waren Zusammenhänge der Glykämielage und der Krankheitsschwere offensichtlich, Diabetespatienten hatten häufiger Komplikationen oder einen schwereren Verlauf [5].
Ein guter Impfschutz ist daher essenziell für diese Patientengruppe. Nicht weniger, sondern mehr Impfschutz lautet die Devise! Daher empfiehlt die STIKO neben den Standardimpfungen zusätzlich die Impfungen gegen Influenza, gegen Pneumokokken und gegen Herpes zoster (ab 50 Jahren).
Auch bei anderen chronischen Erkrankungen, die nicht mit einer Immundefizienz einhergehen, z. B. den chronischen Lungenerkrankungen COPD und Asthma bronchiale, werden zu den empfohlenen Standardimpfungen zusätzlich die Impfungen gegen Influenza, Pneumokokken und Herpes zoster empfohlen.
Die Impfung gegen Zoster mit dem ajduvantierten Totimpfstoff (2 Dosen im Abstand von 2 bis 6 Monaten) wird als Indikationsimpfung ab einem Alter von 50 Jahren von der STIKO empfohlen. Ab einem Alter von 60 Jahren ist sie eine Standardimpfung. Laut Fachinformation kann die Impfung bereits ab 18 Jahren verabreicht werden, z. B. bei einer schweren Immundefizienz.
Die Pneumokokken-Impfung wird bei chronischen Erkrankungen ohne Immundefizienz derzeit mit dem 23-valenten Polysaccharidimpfstoff (PPSV23) von der STIKO empfohlen mit Wiederimpfungen im Abstand von sechs Jahren. Da inzwischen auch zwei höhervalente Konjugatimpfstoffe (15- bzw. 20-valent) zugelassen sind, wird diese Empfehlung möglicherweise den neuen verfügbaren Impfstoffen angepasst werden.
Eine jährliche Influenza-Impfung mit quadrivalenten Impfstoffen ist für eine große Gruppe von Patientinnen und Patienten mit chronischen Vorerkrankungen ab einem Alter von sechs Monaten empfohlen. Für die Generation 60 + empfiehlt die STIKO die Impfung mit einem Hochdosis-Impfstoff (4-fache Dosierung), da dadurch die im Alter oft abgeschwächte Immunantwort verbessert werden kann.
Bei Patientinnen und Patienten mit chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen empfiehlt die STIKO neben den Standardimpfungen gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis und Poliomyelitis die jährliche Influenza-Impfung und die Impfung mit PPSV23.
Literatur:
- Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut 2022, Epid. Bulletin 4/2022.
- Robert Koch-Institut, “Stellen Autoimmunerkrankungen oder chronisch-entzündliche Erkrankungen Kontraindikationen gegen Impfungen dar?”, Stand 16.07.2020, www.hausarzt.link/JdESb
- Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG), www.hausarzt.link/omc5S und www.hausarzt.link/jx9VD
- Robert Koch-Institut, “Was ist bei Multipler Sklerose (MS) und anderen demyelisierenden Erkrankungen in Bezug auf Impfungen zu beachten?”, Stand 16.07.2020, www.hausarzt.link/4Kv3M
- Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG), COVID-19-Impfung und Diabetes, Stand 14.12.2020.
- Mitteilung der Ständigen Impfkommission (STIKO) beim RKI: Wissenschaftliche Begründung zur Empfehlung einer Impfung mit dem Herpes zoster-subunit-Totimpfstoff, Epid. Bulletin 50/2018.
Mögliche Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.