Hausarzt MedizinDiabetes bei Kindern rechtzeitig entlarven

In den vergangenen Jahren hat der Anteil übergewichtiger Kinder deutlich zugenommen – damit steigt auch das Risiko für die Entwicklung eines Diabetes. Bei gefährdeten Kindern ist daher ein Screening sinnvoll.

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation sind weltweit 39 Prozent der Erwachsenen (2 Milliarden Menschen) übergewichtig und 13 Prozent der Erwachsenen (0,5 Milliarden) adipös. Auch Deutschland gehört zu den Ländern, in denen Adipositas und Übergewicht das alarmierende Ausmaß einer Volkserkrankung annehmen. Nach den Ergebnissen der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) sind 23,3 Prozent der Männer und 23,9 Prozent der Frauen adipös und 67,1 Prozent der Männer und 53,0 Prozent der Frauen übergewichtig.

Besonders bedrohlich ist die Tatsache, dass auch die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas im Kindesalter in den vergangenen Jahren weltweit deutlich angestiegen ist. Derzeit sind in Deutschland insgesamt 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen von 3 bis 17 Jahren übergewichtig. Ein Drittel von ihnen (6,3 Prozent) leidet unter Adipositas. Im Vergleich zur Referenzpopulation aus den 1980er- und 1990er-Jahren hat sich der Anteil der Übergewichtigen (Adipöse eingeschlossen) um insgesamt 50 Prozent erhöht. Bei älteren Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren hat sich der Anteil Übergewichtiger nahezu verdoppelt, der Anteil Adipöser sogar verdreifacht.

Risiko für Folgeerkrankungen

Abgesehen vom Aussehen und der sozialen Ausgrenzung ist vor allem das erhöhte Risiko für chronische Folge erkrankungen wie Diabetes Typ 2, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall, Arthrose, Schlafapnoe, Fehlgeburten und Krebserkrankungen ein großes Problem. Deswegen ist eine Verbesserung der Ausbildung von Allgemein-, Kinder- und Hausärzten bezüglich des Managements, der Diagnostik und der Behandlung von Adipositas wichtig, um Folgeerkrankungen frühzeitig zu erkennen bzw. vorzubeugen.

In den vergangenen Jahren hat bei Kindern und Jugendlichen der Typ-2-Diabetes in der Altersgruppe 0 bis 20 Jahre trotz einer noch relativ geringen Prävalenz von 2,30/100.000 an Bedeutung gewonnen. Übergewicht und Adipositas spielen neben genetischen Faktoren und bestimmten ethnischen Zugehörigkeiten eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Insulinresistenz und Typ-2-Diabetes. Die im Fettgewebe produzierten proinflammatorischen Adipozytokine wie Leptin, Resistin, Interleukin-6 und TNF-a führen zu einer Verschlechterung der Insulinwirkung. Besonders das viszerale Fettgewebe scheint die Insulinresistenz entscheidend zu beeinflussen.

Die postpartale Lebensphase und die Pubertät scheinen eine wichtige Rolle in der Entwicklung einer gestörten Glukosetoleranz und der Manifestation eines Typ-2-Diabetes bei Kindern (mit Adipositas) zu spielen. Während der Pubertät findet man eine physiologische Zunahme der Insulinresistenz, die sich nach der Pubertät wieder etwas normalisiert.

Bei einer Insulinresistenz nutzt der Körper Insulin nicht effektiv, und Glukose wird nicht von der Zellen aufgenommen, was zuerst zu einer kompensatorischen Expansion der Betazellen, im weiteren Verlauf zu einer Erschöpfung der Funktion der Betazellen, einer Dekompensation der Glukosehomöostase und zum Typ-2-Diabetes führt. Die meisten Patienten wissen jahrelang nicht, dass sie eine Insulinresistenz haben, bis sich der Typ-2-Diabetes manifestiert. Durch gezielte Diagnostik und Änderungen an ihrem Lebensstil könnten sie oft die Manifestation des Typ-2-Diabetes verhindern oder zumindest verzögern.

Symptome der Insulinresistenz

50 – 90 Prozent der Kinder mit Typ-2-Diabetes weisen eine Acanthosisnigricans (siehe Foto) auf, charakterisiert durch eine fokale oder diffuse Hyperkeratosis mit symmetrischen grau-braunen hyperpigmentierten Läsionen auf der Haut, die typischerweise intertriginös, im Halsbereich, seltener zusätzlich in akraler Ausprägung (Nase, Ohren, Palmoplantarhaut, auch oral) auftreten und ein Indikator für eine Insulinresistenz und Malignität ist.

Bei 50 Prozent der Frauen mit polyzystischem Ovarsyndrom kann ein Insulinresistenz nachgewiesen werden. Bis zu 10 Prozent der Betroffenen mit Insulinresistenz entwickeln bis zum 40. Lebensjahr einen Typ-2-Diabetes mellitus.

Neben einer Insulinresistenz mit pathologischer Glukosetoleranz bzw. manifestem Diabetes mellitus gehören die arterielle Hyper­tonie, Fettstoffwechselstörungen und Übergewicht zum Symptomenkomplex des metabolischen Syndroms, der auch im Kinder- und Jugendalter eine hohe Prävalenz zeigt und ein entscheidender Risikofaktor für die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität in der Zukunft ist.

Screening und Diagnostik

Für das Screening scheint der HbA1c -Wert bei gestörter Glukosetoleranz und Typ-2-Diabetes nicht ausreichend sensitiv zu sein, da bei einem Drittel der asymptomatischen Kinder mit Typ-2-Diabetes normale HbA 1c-Werte vorliegen.

Mit dem Homöostase-Model-Assessments der Insulinresistenz (R-HOMA) kann mithilfe des Glukose- und Insulinnüchternwerts das Ausmaß der Insulinresistenz abgeschätzt werden. Der HOMA-Index wird folgendermaßen berechnet:

Insulinnüchternwert (µU/ml) × Glukosenüchternwert (mmol/l) / 22,5 = HOMA-Index

Die Auswertung des R-HOMA basiert auf alters- und geschlechtsspezifischen pädiatrischen Normalwerten (Tab. 2). Bei R-HOMA-Werten über der 95. Alters- und Geschlechtsperzentile liegt eine Insulinresistenz vor. Bei Kindern mit einem BMI oberhalb der 90. Perzentile ab Beginn der Pubertät (Mädchen 10 Jahre, Jungen 12 Jahre) sollte alle 2 Jahre ein oraler Glukosetoleranztest (OGTT) durchgeführt werden, wenn folgende Risikofaktoren vorliegen:

  • Positive Familienanamnese für Typ-2-Diabetes bei erst- und zweitgradig Verwandten

  • Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe mit erhöhtem Risiko (z. B. Asiaten, Afrikaner)

  • Zeichen der Insulinresistenz oder mit ihr assoziierter Veränderungen wie Hypertonie, Dyslipidämie, erhöhte Transaminasen, polyzystisches Ovarsyndrom, Acanthosis nigricans

  • Extreme Adipositas (BMI oberhalb 99,5. Perzentile)

Beim Vorliegen von zwei Risikofaktoren ist die Durchführung eines OGTT notwendig. Liegen mehrere Zeichen der Insulinresistenz vor, ist die Durchführung eines OGTT auch ohne weitere Risikofaktoren sinnvoll. Die Einordnung von Nüchternglukosewerten und OGTT erfolgt je nach verwendeter Methode entsprechend der in Tab. 3 zusammengefassten Grenzwerte.

Therapie

Bei Vorliegen einer Insulinresistenz mit erhöhtem HOMAIndex, gestörter Nüchternglykämie, gestörter Glukosetoleranz oder Typ-2-Diabetes bei adipösen Kindern und Jugendlichen sollte eine Verhaltensstiländerung mit Steigerung der körperlichen Aktivität und Ernährungsumstellung (kalorienredu­zierte Mischkost zur Gewichtsreduk­tion, Verzicht von schnell resorbierbaren Kohlenhydraten) an erster Stelle in den Alltag integriert werden.

Optimalerweise sollten die Kinder dies in einem strukturierten stationären oder ambulanten Rehabilitationsprogramm erlernen. Die Eltern müssen in der Therapie durch Elternschulung unbedingt einbezogen werden, da familiäre Einflüsse eine wichtige Rolle in der Entstehung der Adipositas bei Kindern spielen und durch die Vorbildfunktion der Eltern das Verhalten der Kinder beeinflusst werden kann. Stationäre Programme, z.B. in der CJD Oberau Health & Activity Lodge in Berchtesgaden, umfassen eine Ernährungsschulung, in der durch die Kinderernährungspyramide die optimierte Mischkost mit individueller Portionsgröße, Mahlzeitfrequenzen und Lebensmittelauswahl bestmöglich vermittelt werden.

Im Schulungsbereich „körperliche Aktivität“ erlernen die Kinder, Bewegung und Sport in den Alltag zu integrieren, inaktive Freizeit durch Aktivitäten zu ersetzen. Geeignete Sportarten werden individuell ausgewählt und geübt. Neben Ernährungs- und Bewegungstherapie werden durch verhaltenstherapeutische Maßnahmen Rückfälle vermindert, realistische Ziele erarbeitet, Selbstwertgefühl und soziale Integra­tion gesteigert.

Zusätzlich zur Adipositas Schulung müssen Kinder und Jugendliche mit Typ-2-Diabetes eine Diabetes-Schulung mit Blutzuckerselbstkontrollen erhalten. Nach eigenen Erfahrungen in der CJD Oberau Health & Activity Lodge in Berchtesgaden wird nach einem vierwöchigen stationären Rehabilitationsprogramm mit wöchentlicher Gewichtsreduktion von 0,5 – 1 Prozent des Ausgangsgewichts eine deutliche Senkung des HOMA Indexes, der Trans­aminasen, der Nüchternglukose und der Entzündungswerte beobachtet. Bei unzureichender Stoffwechseleinstellung nach drei Monaten der Lebensstilmodifikation ist eine pharmakologische Intervention notwendig.

Obwohl zurzeit viele Medikamente für die Behandlung von Typ-2-Diabetes bei Erwachsenen zur Verfügung stehen, sind nur Metformin als Mittel der ersten Wahl und Insulin für Patienten unter 18 Jahren zu gelassen.

Metformin verringert die hepatische Glukoseproduktion und verbessert die Insulinsensitivität in der Leber und den Muskeln, was zu einer Verminderung der Insulinresistenz führt. Bei jungen adipösen Frauen mit polyzystischem Ovarsyndrom und Insulinresistenz erleichtert Metformin die Gewichtsreduktion, senkt den Glukosespiegel, erhöht die Insulinsensitivität, verbessert deutlich die Ovarialfunktion und beeinflusst Hirsutismus und Akne günstig. Metformin beeinflusst primär nicht die Insulinsekretion, und es besteht kein Risiko für eine Hypoglykämie. Als Nebenwirkung werden gastrointestinale Beschwerden berichtet. Bei unzureichender Einstellung wird zusätzlich eine Behandlung mit Insulin empfohlen.

Liegen im Rahmen des metabolischen Syndroms außerdem eine Dyslipidämie oder eine Hypertonie vor, sind diese ebenfalls therapiebedürftig.

Als Ultima Ratio haben bei extrem adipösen Jugendlichen mit Folgeerkran kungen bariatrische Eingriffe in den letzten Jahren weltweit drastisch zugenommen. Nach dem Eingriff kommt es zu einer signifikanten Verbesserung der metabolischen Situation. Bei massiv adipösen Patienten konnte die Langzeitmortalität aufgrund Adipositas durch den bariatrischen Eingriff signifikant gesenkt werden.

Fazit

Mit der steigenden Prävalenz von Übergewicht und Adipositas nimmt als Folge auch die Bedeutung des Typ-2-Diabetes zu.

  • Die Symptome der Insulinresistenz zeigen sich als Zeichen eines Prädiabetes deutlich vor der Manifestation eines Diabetes.

  • Durch gezielte Diagnostik, Therapie und Änderungen des Lebensstils von Kindern und Jugendlichen könnte oft die Manifestation von Typ-2-Diabetes verhindert oder verzögert werden.

  • Für die Therapie der Insulinresistenz und des Typ-2-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen stehen Metformin und Insulin zur Verfügung.

Literatur

  • 1 Global Health Observatory (GHO) data, Wold health organization

  • 2 WHO. Obesity: preventing and managing the global epidemic. WHO Technical Report Series 894, Genf 2000

  • 3 Kromeyer-Hauschild K, Wabitsch M, Kunze D et al. (2001)Perzentile fur den Body-mass-Index fur das Kindes- und Jugendalter unter Heranziehung verschiedener deutscher Stichproben. Monatsschrift Kinderheilkunde 149: 807–818

  • 4 DEGS1 (2008-2011), Robert Koch-Institut

  • 5 Kurth B-M, Schaffrath-Rosario A Die Verbreitung von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen. Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS). Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 50 (5/6): 736–743 2007

  • 6 Body-mass index and risk of 22 specific cancers: a population-based cohort study of 5·24 million UK adult. Krishan Bhaskaran, Ian Douglas, Harriet forbes, Isabel dos-Santos-Silva, David a Leon, Liam Smeeth, The Lancet 2014: 755-765

  • 7 Schiel R., Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes mellitus. MedWelt 2/2013; 91-96

  • 8 Hiort Olaf, Danne Thomas, Wabitsch Martin. Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie. Springer 2010: 218-219

  • 9 Amiel SA, Sherwin RS, Simonson DC, Lauritano AA, Tamborlane WV. Impaired insulin action in puberty. A contributing factor to poor glycemic control in adolescents with diabetes. N Eng J Med 1986; 315:215-219

  • 10 Acanthosis nigricans: A fold (intertriginous) dermatosis. Kutlubay Z, Engin B, Bairamov O, Tüzün Y. 2015 Jul-Aug;33(4):466-70. doi: 10.1016/j.clindermatol.2015.04.010. Epub 2015 Apr 8

  • 11 T. Reinehr, Type 2 diabetes mellitus in children and adolescents. World J Diabetes. 2013 Dec 15; 4(6): 270–281

  • 12 Prevalence of metabolic syndrome in a population of obese children and adolescents. Guijarro de Armas MA1, Monereo Megías S, Merino Viveros M, Iglesias Bolaños P, Vega Piñero B Endocrinol Nutr. 2012 Mar;59(3):155-9. doi: 10.1016/j.endonu.2012.01.003. Epub 2012 Feb 10

  • 13 Reinehr T. Clinical presentation of type 2 diabetes mellitus in children and adolescents. Int J Obes (Lond). 2005 Sep; 29 Suppl 2():S105-10

  • 14 Matthews DR, Hosker JP, Rudenski AS, Naylor BA, Treacher DF, Turner RC. Homeostasis model assessment: insulin resistance and beta-cell function from fasting plasma glucose and insulin concentrations in man. Diabetologia. 1985;28(7):412-9

  • 15 Allard, P., E.E. Delvin, G. Paradis, et al., Distribution of Fasting Plasma Insulin, Free Fatty Acids, and Glucose Concentrations and of Homeostasis Model Assessment of Insulin Resistance in a Representative Sample of Quebec Children and Adolescents. Clin Chem, 2003. 49(4): p. 644-649

  • 16 Konsensbasierte (S2) Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Prävention von Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter AGA 21.11.2014

  • 17 Sabin M. Type 2 diabetes in children. Clinical Obesity. 2013;3:112–116

  • 18 Neu A. at Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Kindes- und Jugendalter Diabetologie 2013; 8: s189-199

Interessenkonflikte: Keine

E-Mail-Adresse vergessen? Schreiben Sie uns.
Passwort vergessen? Sie können es zurücksetzen.
Nur wenn Sie sich sicher sind.

Sie haben noch kein Passwort?

Gleich registrieren ...

Für Hausärzte, VERAH® und ÄiW (Allgemeinmedizin und Innere Medizin mit hausärztlichem Schwerpunkt) ist der Zugang immer kostenfrei.

Mitglieder der Landesverbände im Deutschen Hausärzteverband profitieren außerdem von zahlreichen Extras.

Hier erfolgt die Registrierung für das Portal und den Newsletter.


Persönliche Daten

Ihr Beruf

Legitimation

Die Registrierung steht exklusiv ausgewählten Fachkreisen zur Verfügung. Damit Ihr Zugang freigeschaltet werden kann, bitten wir Sie, sich entweder mittels Ihrer EFN zu legitimieren oder einen geeigneten Berufsnachweis hochzuladen.

Einen Berufsnachweis benötigen wir zur Prüfung, wenn Sie sich nicht mittels EFN autorisieren können oder wollen.
Mitglied im Hausärzteverband
Mitglieder erhalten Zugriff auf weitere Inhalte und Tools.
Mit der Registrierung als Mitglied im Hausärzteverband stimmen Sie zu, dass wir Ihre Mitgliedschaft überprüfen.

Newsletter
Sie stimmen zu, dass wir Ihre E-Mail-Adresse für diesen Zweck an unseren Dienstleister Mailjet übermitteln dürfen. Den Newsletter können Sie jederzeit wieder abbestellen.

Das Kleingedruckte
Die Zustimmung ist notwendig. Sie können Sie jederzeit widerrufen, außerdem steht Ihnen das Recht zu, dass wir alle Ihre Daten löschen. Jedoch erlischt dann Ihr Zugang.
Newsletter abbestellen

Wenn Sie den Newsletter abbestellen wollen, geben Sie bitte Ihre E-Mail-Adresse an und wählen Sie die gewünschte Funktion. Wir senden Ihnen dann eine E-Mail zur Bestätigung.