AlternativmedizinNaturheilverfahren: Tipps für die Hausarztpraxis

Naturheilkunde und Komplementärmedizin können den hausärztlichen Alltag bereichern. Wie weit reicht der Begriff Naturheilverfahren, wie weit reicht die Komplementärmedizin? Prof. Dr. Detmar Probst darüber, was diese Methoden so interessant macht.

Was sind Naturheilverfahren? Da keine einheitliche abgrenzende Definition besteht, beschränkt man sich üblicherweise auf die Beschreibung der klassischen Naturheilverfahren nach Sebastian Kneipp. Es sind die Pflanzenheilkunde (Phytotherapie), Ernährungs- und Bewegungstherapie, die Anwendung von Wasser (Hydrotherapie mit Balneo- und Thermotherapie) sowie die Ordnungstherapie (heutzutage Mind-Body-Therapy; www.hufelandgesellschaft.de/klassische_naturheilkunde.html).

Obwohl oder gerade weil diese Disziplinen seit dem 19. Jahrhundert vielen Änderungen und Neuerungen unterlagen, werden sie als Teil der praktischen Medizin im deutschsprachigen Raum angesehen und durch die GOÄ teilweise vergütet. Die Komplementärmedizin, im Englischen Complementary and Alternative Medicine (CAM), umfasst als Oberbegriff sämtliche alternativen Heilmethoden (Auswahl in Tab. 1).

Die vorgestellten Methoden sind zum Teil gut erforscht, zum Teil basieren sie auf Traditionen. Meine textlichen Aussagen sind ohne Einschränkungen, falls positive Wirkungsforschung (Evidenz) vorliegt. Konjunktive oder Abschwächungen im Text bedeuten, dass die wissenschaftliche Basis gering oder nicht vorhanden ist.

Handwerk und Kommunikation

Der handwerkliche Teil der Medizin ist bei den Naturheilverfahren und der Komplementärmedizin ausgeprägt. Man ist dem Patienten nahe, wenn Akupunkturnadeln gestochen, Sauggläser appliziert oder Blutegel angesetzt werden. In der Zeit, in der diese Anwendungen wirken, wird man immer wieder nachschauen und sich erkundigen, wie es den Behandelten geht. Diese Nähe zum Patienten sorgt unausweichlich für (auch nonverbale) Kommunikation. Kommunikation und Behandlung passieren gleichzeitig und entfalten auf diese Weise eine duale Heilwirkung.

Durch wiederholte Körperkontakte ist die manuelle Therapie sicher eine der intimsten Formen einer naturheilkundlichen Therapie. Schaut man näher auf die verbreiteten Methoden der Naturheilverfahren, differenzieren sich die Art der Zuwendung und damit auch der Zeitaufwand und die Nähe zum Patienten. In Erkältungszeiten im Winterhalbjahr werden beispielsweise häufig pflanzliche Mittel verordnet, was dem üblichen Rezepteschreiben entspricht – hier liegt das Komplementäre in der Überzeugung, mit etwas Natürlichem, jedenfalls Unschädlichem zu behandeln. Auch Komplexhomöopathika gelangen auf diese Weise ohne Zeitverlust an die Patienten. Jedoch die Repertorisierung eines homöopathischen Einzelmittels erfordert deutlich mehr Zeit. Sie ist nur möglich aufgrund umfassender anamnestischer und persönlicher Hintergründe, die Ärzte erfragen und Patienten preisgeben müssen.

Ähnlich verhält es sich mit der Erstellung einer Rezeptur für einen chinesischen Kräutersud und evtl. eine begleitende Akupunktur. Neben Spezialwissen tritt hierbei die Integration eines außereuropäischen Medizinsystems in unsere westliche Welt. Der zeitliche Aufwand ist immens und neben einer üblichen Hausarztpraxis kaum praktikabel. Chinesische Medizin (TCM) wird daher in Deutschland oft, aber nicht ausschließlich, von chinesischen Ärzten in Praxen für Chinesische Medizin praktiziert.

Naturheilverfahren/Komplementärmedizin bieten als sog. Ordnungstherapie bzw. Mind-Body-Medicine westliche und östliche Therapiemethoden bei vegetativen und psychischen Störungen an. Dazu gehören autogenes Training, progressive Muskelentspannung, Achtsamkeitstraining und Atemtherapie oder Tai-Chi und Qigong. Wirkungsvoll und patientennah ist auch die Behandlung in Gruppen, sei es beim gemeinsamen Fasten oder bei der Heilgymnastik.

Ernährung

Die Ernährungsberatung ist eine sehr kommunikative Disziplin. Sie spielt in den klassischen Naturheilverfahren nach Kneipp eine große Rolle. Jeder Arzt, der weniger Medikamente verordnen möchte, kann über Ernährungsberatung und -empfehlungen beträchtlich zur Gesundheit seiner Patienten bei- tragen. Allerdings ist eine gute Kenntnis der Vollwertkost z. B. in der Zubereitung von rohen Getreidekörnern (Müsli) und Rohkost aus Wurzelgemüse (Salat) erforderlich. Gerade rohe Getreidekörner können zu Unverträglichkeiten führen.

Bauchbeschwerden sind ein häufiger Beratungsgrund in der Hausarztpraxis. Sie sind diagnostisch nicht immer bis ins Letzte zu klären. Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten rufen nach einem angepassten individuellen Speiseplan. Obstipationen bessern sich oft durch eine quellstoff- und kaliumreiche Ernährung, eine ausgeglichene Flüssigkeitszufuhr und mehr Bewegung. Das Reizdarmsyndrom hingegen stellt hohe Ansprüche an Patienten und Behandler. In der entsprechenden Leitlinie finden sich Hinweise auf die Verwendung von Probiotika und pflanzlichen Quellstoffen (z.B. Flohsamenschalen). Häufig geht es heutzutage auch um Gewichtsreduktion und Senkung der kardiovaskulären Risiken. Als hier wirksam und gesundheitlich sehr empfehlenswert belegt ist Vegetarismus – Veganismus jedoch nur mit deutlichen Einschränkungen. Ebenfalls stark gesundheitlich fördernd ist das (Intervall-)Fasten. Einige Wochen lang gemäß der Low-Carb (Atkins)-Diät zu essen, wirkt gewichtsreduzierend ohne gravierende Nebenwirkungen. Der vermehrte Genuss von (Wal-)Nüssen oder Vollkornprodukten täglich reduziert das kardiovaskuläre und diabetogene Risiko erheblich.

Weniger günstig fällt die Bilanz für Nahrungsergänzungsmittel aus. Nur für Erkrankungen, die mit nachweisbarem Mangel an Spurenstoffen und Vitaminen einhergehen, ist eine Wirkung belegt. Für kleinere Bevölkerungsgruppen besteht das Risiko eines umschriebenen, seltener eines umfassenden Mangels, z. B. für Schwangere, für vegan ernährte Kinder, verwitwete Senioren, Suchtabhängige, Menschen mit Essstörungen oder nach bariatrischen Operationen. Die Diagnostik kann hier neben den üblichen Laborbestimmungen auch Vitaminbestimmungen im Serum bzw. Vollblut umfassen. Eine tiefergehende Beratung und die Konzeption von Essensplänen sollten durch eine Ökotrophologin vorgenommen werden. Die Aufgabe von Hausärzten liegt in der Patientenaufklärung über kostenintensive unnötige Nahrungsergänzungsmittel wie auch in der differenzierten Diagnostik zwischen den Ex-tremen Magersucht, Fehlernährung und Überernährung. Bereits prinzipielle Ernährungshinweise mit einigen Details bringen Patienten häufig auf den richtigen Weg.

Hydrotherapie

Wasseranwendungen spielen in den klassischen Naturheilverfahren eine wichtige Rolle. Wenig aufwendige therapeutische Hilfen können, ärztlich beraten bzw. sogar angeleitet, von Patienten zuhause eingesetzt werden, etwa die richtige Auswahl und Zubereitung von Tees bei Enteritis oder produktiver Bronchitis, heißwarme Inhalationen von ätherischen Ölen bei Entzündungen der Nase und der Nebenhöhlen oder Emser Sole in Ultraschallzerstäubern für die tiefen Atemwege bei Hustenreiz und Verschleimung. Alternierende Temperaturreize bei regelmäßig applizierten wechselwarmen Duschen oder Saunagängen helfen vorbeugend gegen Infekte.

Mehr Aufwand erfordern Wickel. Am bekanntesten sind Wadenwickel gegen Fieber, alternativ einfacher an den Handgelenken durchzuführen. Die Temperaturdifferenz soll ca. 5 Grad Celsius nicht überschreiten. Auch Hals- und Leibwickel können für Kinder Linderung bei Pharyngitis und Meteorismus bringen.

In Kurkliniken und großen physiotherapeutischen Einrichtungen besteht die Möglichkeit der Immersion, des Eintauchens ins Wasser. Indikationen sind z. B. Muskeltraining ohne Schwerkrafteinwirkung, neurologische Rehabilitation, Wassergymnastik zur Rückenentlastung und Kräftigung oder dosiertes Training bei Herzinsuffizienz bis Stadium NYHA 2.

Durch die beispielhaft genannten Anwendungen können Ärzte ihren Patienten einen alternativen und z. T. eigenständigeren Umgang bei häufigen gesundheitlichen Störungen näherbringen. Medikamentöse Nebenwirkungen werden so vermieden. Es sind aber die schädlichen Wirkungen falsch applizierter naturheilkundlicher Heilweisen zu berücksichtigen. Zur Vermeidung von Schäden sind Erfahrung auf ärztlicher und Übung auf Patientenseite entscheidend. Die Hausarztmedizin bietet hierfür Raum und Zeit, da sie auf eine längere Patientenbetreuung hin angelegt ist.

Eigenblut, Schröpfen, Blutegel, Triggerpunkt-Therapie

Etliche therapeutische Verfahren, die früher ärztlich angewendet wurden, sind vielfach in den heilpraktischen Bereich abgewandert.

Eigenblutbehandlungen mit wenigen Millilitern Venenblut, entnommen aus einer Cubitalvene, unmittelbar in den Glutaeus reinjiziert oder erst nach Vermischung mit Homöopathika oder Aqua dest., sollen günstig bei permanenter Infektanfälligkeit oder bei der atopischen Dermatitis wirken. Schröpfen ist erfolgreich bei Muskelhärten im Rücken oder im Schultergürtel. Blutegel lindern Arthrosebeschwerden ebenso wie Cantharidenpflaster, die auch bei infektiösen Molusken eingesetzt werden können. Triggerpunkt-Injektionen (Neuraltherapie oder Homöo- siniatrie) sollen bei Schmerzen fast jeder Genese wirken. Eine O2-Anreicherung (Oxyge- nierung, z. B. mit Ozon) des Blutes soll bei Durchblutungsstörungen helfen.

Eine noch nicht erwähnte Königsdisziplin der Naturheilverfahren, die Bewegungstherapie, ist inzwischen ein selbstverständlicher Teil der Gesundheitslehre geworden. Sie wurde, ebenso wie die Ernährungslehre, die Phytotherapie oder der gezielte Einsatz von Wasser, in die praktische Medizin übernommen. In der noch gültigen Gebührenordnung GOÄ von 1988 für privatärztliche Leistungen finden sich entsprechende Leistungsziffern, z. B. für Akupunkturbehandlung, (Gruppen-)Anleitung zur Gymnastik, Setzen von Schröpf- köpfen oder Blutegeln, Eigenbluttherapie, homöopathische Anamnese etc., die den (zeitlichen) Aufwand für die vorgestellten Therapieverfahren entlohnen.

Literatur beim Verfasser.

Mögliche Interessenkonflikte: Der Autor ist Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Phytotherapie und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Naturheilkunde.

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