StudieWas Hausärzte von Leitlinien halten

Im Praxisalltag sind Hausärzte mit vielfältigen Entscheidungen konfrontiert - Leitlinien sollen sie dabei unterstützen. Eine Studie hat untersucht, inwieweit Hausärzte Leitlinien nutzen und welche Erwartungen sie an diese stellen.

Gerade den Hausärzten können qualitativ hochwertige und anwendungsfreundliche Leitlinien einen erheblichen Nutzen bieten: Wegen der vielfältigen Abklärungs- und Behandlungssituationen in der Allgemeinmedizin besteht Bedarf an systematischen Entscheidungshilfen [7-10].

Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) hat darauf in den vergangenen zwei Jahrzehnten reagiert, indem sie viele evidenzbasierte Leitlinien für die Hausarztmedizin erarbeitet [11, 12] und disziplinübergreifende Leitlinien in Kooperation mit anderen Fachgesellschaften entwickelt hat.

Darüber hinaus ist die Leitlinienorientierung im Zusammenhang mit Disease-Management-Programmen relevanter geworden [13].

Dennoch ist besonders für den deutschsprachigen Raum nur wenig darüber bekannt, wie groß bei Hausärzten die Akzeptanz und Orientierung in Bezug auf Leitlinien ist, welche Erwartungen sie an selbige stellen, welche Erfahrungen sie damit gemacht haben [3, 14] und welche Verbesserungen sie sich wünschen [15-17].

Die Abteilung Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Mainz hat daher zwischen Dezember 2019 und August 2020 eine Vollbefragung von Hausärzten in Hessen und Rheinland-Pfalz durchgeführt und vertiefende Interviews mit 30 Hausärzten geführt. Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse präsentiert.

Breite Akzeptanz von Leitlinien

Von den 1.073 schriftlich befragten Hausärzten geben 32 Prozent an, Leitlinien häufig anzuwenden; 27 Prozent wenden sie gelegentlich und 33 Prozent eher selten an. Primär erfolgt der Einsatz von Leitlinien bei der Erstdiagnose, bei Verdachtsfällen, bei Therapie und Krankheitsmanagement sowie zur Verlaufskontrolle.

Aus Sicht von 55 Prozent der Befragten ist der generelle Nutzen von Leitlinien (sehr) groß, während weitere 43 Prozent einen vorhandenen, aber eher geringen Nutzen wahrnehmen. 70 Prozent glauben, dass Leitlinien helfen, eine verstärkte Evidenz- und Wissenschaftsorientierung in die Versorgung einzubringen; 57 Prozent sehen sie als nützlich an, um Über-, Unter- und Fehlversorgung abzubauen.

80 Prozent sehen eine bessere Strukturierung des Versorgungsgeschehens, 59 Prozent eine Effizienzsteigerung von Diagnosen oder Therapien. 58 Prozent befürworten Leitlinien mit dem Ziel einer Vereinheitlichung von Diagnose- und Behandlungsstandards.

Unter Ärzten, die Leitlinien einsetzen, bilanzieren 63 Prozent, die Anwendung habe sich insgesamt (sehr) positiv auf die Versorgungs- und Behandlungsqualität ausgewirkt. 65 Prozent gehen davon aus, durch die Arbeit mit Leitlinien die eigenen Kenntnisse und Kompetenzen erweitert zu haben. 57 Prozent richten sich bei der medikamentösen Therapie inzwischen bevorzugt nach Leitlinien-Empfehlungen.

 

DEGAM-Leitlinien beliebt

Die Integration von Leitlinien in die Praxisabläufe erleben Ärzte nicht immer als reibungslos (61 Prozent). Auch befürchten einige der Befragten eine zu starke Einschränkung der Handlungs- und Therapiefreiheit (55 Prozent).

Handelt es sich um eine von der DEGAM konzipierte Leitlinie, begünstigt dies die Bereitschaft der Ärzte, Leitlinien aufzugreifen. Eine Mehrheit der Befragten kennt die meisten DEGAM-Leitlinien und wendet diese auch an. Besonders stark genutzt werden dabei die Leitlinien Schlaganfall, Multimedikation, Müdigkeit, Brustschmerz und Halsschmerzen (64, 63, 55, 54 und 50 Prozent).

Wie optimieren?

Von Leitlinien erwarten die Befragten eine einfache Anwendung und den Ausschluss von Haftungsrisiken. Zudem sollten hausärztliche Mediziner konsequent in den Prozess der Leitlinienentwicklung einbezogen werden (s. Tab.).

Zur weiteren Optimierung hausarztbasierter Leitlinien wünschen sich die Befragten allem voran eine stärkere Berücksichtigung nicht-medikamentöser Alternativen bei der Leitlinienentwicklung (46 Prozent), gefolgt von einer stärkeren Auseinandersetzung mit Fragen der Lebensqualität, einer vergleichenden Betrachtung verschiedener Therapieoptionen und der Einbeziehung alternativer Medizin (43, 37 und 36 Prozent).

47 Prozent präferieren eine kompaktere und prägnantere Gestaltung. Rund 70 Prozent können sich bei Umsetzung der gewünschten Verbesserungen vorstellen, Leitlinien künftig stärker zu nutzen.

Fazit der Studie: Die hohe Akzeptanz hausärztlicher Leitlinien unter Allgemeinmedizinern ist eine gute Basis für weitere Optimierungsprozesse. Um die Attraktivität von Leitlinien für Hausärzte zu erhöhen, sollten ihre Erwartungen gezielt adressiert werden.

So sollten eine hausarztkonforme, möglichst unkomplizierte Anwendbarkeit sowie Übersichtlichkeit und Komplexitätsreduktion gewährleistet sein [18, 19]. Auch sollte sichergestellt werden, dass Leitlinien die Gebührenordnung berücksichtigen und ärztliche Handlungsspielräume erhalten, um praxisnahe Lösungen möglich zu machen.

Wo sinnvoll, sollten Leitlinien Möglichkeiten der Delegation innerhalb des Praxisteams aufzeigen [20]. Hinsichtlich der Beteiligung von Hausärzten im Entwicklungsprozess verfolgt die DEGAM bereits einen partizipativen Ansatz – möglicherweise ist es sinnvoll, Hausärzten noch expliziter zu kommunizieren, wie bereitgestellte Leitlinien zustande kommen.

Literatur

  1. Vollmar HC, Oemler M, Schmiemann G et al. Einschätzung von Hausärzten zu Leitlinien, Fortbildung und Delegation. Z Allg Med 2013; 89: 23-30
  2. Bodenheimer T. The American health care system – the movement for improved quality in health care. N Engl J Med 1999; 340: 488–492
  3. Ollenschlaeger G, Kirchner H, Fiene M. Leitlinien in der Medizin – scheitern sie an der praktischen Umsetzung? Der Internist 2001; 42: 473-483
  4. Europarat. Entwicklung einer Methodik für die Ausarbeitung von Leitlinien für optimale medizinische Praxis. Empfehlung Rec (2001) 13 des Europarates. Z Arztl Fortbild Qualitatssich. 2002; 96: 1-60
  5. Wangler J, Pillath S, Jansky M. Bedeutung und Potenziale von Diagnosealgorithmen in der hausärztlichen Versorgung. Eine Befragung unter hessischen Allgemeinmedizinern. Z Allg Med 2019; 95: 132-137
  6. Wegwarth O, Gaissmaier W, Gigerenzer G. Smart Strategies for doctors and doctors in training. Med Educ 2009; 43: 721-728
  7. Donner-Banzhoff N. Dealing with uncertainty in general medical practice. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes 2008; 102: 13-18
  8. Schneider A, Dinant GJ, Szecsenyi J. Zur Notwendigkeit einer Stufendiagnostik in der Allgemeinmedizin. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes 2006; 100: 121-127
  9. Donner-Banzhoff N, Seidel J, Sikeler AM et al. The Phenomenology of the Diagnostic Process: A Primary Care-Based Survey. Med Decis Making 2017; 37: 27-34
  10. Heneghan C, Glasziou P, Thompson M et al. Diagnostic strategies used in primary care. BMJ 2009; 338: b946
  11. Barzel A. Leitlinien für die hausärztliche Patientenversorgung. https://www.allgemeinarzt-online.de/praxisalltag/a/leitlinien-fuer-die-hausaerztliche-patientenversorgung-1768830 (letzter Zugriff am 14.04.2020)
  12. Steinhäuser J, Götz K, Glassen K, Ose D, Joos S, Szecsenyi J. Praktikabilität und Akzeptanz der DEGAM-Leitlinie ‘‘Nackenschmerzen’’ im Praxistest. Z Allg med 2009; 85: 130-134
  13. Wangler J, Jansky M. Anderthalb Dekaden Disease-Management-Programme – Eine Bilanz zum Status quo aus hausärztlicher Sicht. Dtsch med Wochenschr 2020; 145: e32-e40
  14. Zimmermann F. Individuelle therapeutische Entscheidung oder Leitlinientreue?. Info Onkol. 2015; 18: 48-49
  15. Kunz U, Gusy B. Leitlinien in der Medizin: Anwendung, Einstellungen, Barrieren. Eine Befragung Berliner Hausärzte. Das Gesundheitswesen 2005; 67: VF_V32. https://www.ewi-psy.fu-berlin.de/einrichtungen/arbeitsbereiche/ppg/media/projekte/hausaerzte/kunz_2005.pdf  (letzter Zugriff am 14.04.2020)
  16. Butzlaff M, Kempkens D, Schnee M et al. German ambulatory care physicians’ perspectives on clinical guidelines – a national survey. BMC Fam Pract 2006; 7: 47
  17. Hannes K, Leys M, Vermeire E, Aertgeerts B, Buntinx F, Depoorter AM. Implementing evidence-based medicine in general practice: a focus group based study. BMC Fam Pract 2005; 6: 37
  18. Basedow M, Runciman WB, Lipworth W, Esterman A. Australian general practitioner attitudes to clinical practice guidelines and some implications for translating osteoarthritis care into practice. Aust J Prim Health 2016; 22: 403-408
  19. Peters-Klimm F, Natanzon I, Muller-Tasch T et al. Barriers to guideline implementation and educational needs of general practitioners regarding heart failure: a qualitative study. GMS Z Med Ausbild 2012; 29: Doc46
  20. Solberg LI, Brekke ML, Fazio CJ et al. Lessons from experienced guideline implementers: attend to many factors and use multiple strategies. Jt Comm J Qual Improv 2000; 26: 171-188
  21. Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie, Universitätsmedizin Mainz
  22. Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie, Universitätsmedizin Mainz

 

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