KompressionstherapieWunden: Angepasster Druck führt zum Erfolg

In Deutschland haben laut Schätzungen bis zu 160.000 Menschen ein florides Ulcus cruris venosum [1]. Bei der Behandlung dieses Krankheitsbildes stellt die Kompressionstherapie eine wesentliche Säule dar.

Bei sachgerechter Durchführung und entsprechender Adhärenz des Betroffenen sollte die Entstauungsphase nach 2 bis 4 Wochen abgeschlossen sein.

In der ersten Phase der Kompressionstherapie, der Entstauungsphase, reduziert eine kräftige Kompressionsversorgung das Beinödem und unterstützt oder ermöglicht auf diese Weise die Abheilung des Ulcus cruris venosum. Studien belegen, dass ein Druck zwischen 40 und 60 mmHg die besten Ergebnisse zeigt [2, 3].

Da sich der Beinumfang bei fachgerechter Kompressionsversorgung in der Entstauungsphase schnell reduziert, kommen Materialien zum Einsatz, die sich dem Umfang entsprechend anpassen können. Am weitesten verbreitet sind die klassischen Kurzzugbinden. Alternativen sind Mehrkomponentensysteme oder die relativ neuen adaptiven Kompressionsbandagen [3].

Mit Messgeräten (z. B. Kikuhime® oder PicoPress®) kann der bestehende Druck zwischen Haut und Kompressionsversorgung durch Messsonden ermittelt werden (Abb. 1). Es ist sinnvoll, solche Geräte zum Einüben korrekter Kompressionsbandagierungen zu nutzen. Im Praxisalltag sind diese leider schwer zu beschaffen (nur über das Ausland bestellbar).

Bei sachgerechter Durchführung und entsprechender Adhärenz des Betroffenen sollte die Entstauungsphase nach 2 bis 4 Wochen abgeschlossen sein.

Eine verwickelte Sache: Kurzzugbinden

Die klassischen Kurzzugbinden sind immer noch die häufigste Versorgungsoption. Allerdings haben sie gegenüber Mehrkomponentensystemen und adaptiven Kompressionsbandagen gewisse Nachteile [4]. Solche Binden sind relativ unelastisch, d. h. ihr Dehnungsvermögen liegt unter 100 Prozent. Dadurch erwirken sie einen hohen Arbeitsdruck, wenn das Bein in Bewegung gerät und das wenig dehnbare Bindenmaterial der Muskelkontraktion einen Gegendruck entgegensetzt. Im Gegensatz dazu ist der Druck bei ruhendem Bein niedriger.

Kompressionsbandagierungen mit Kurzzugbinden verlieren bereits unter leichter Bewegung innerhalb kurzer Zeit an Druck. Dadurch beginnen die Binden aufeinander zu rutschen und die Bandagierung verliert ihre Form. Aus diesem Grund sind Bandagierungen mit Kurzzugbinden in der Entstauungsphase täglich zu erneuern.

Grundsätzlich sollte der Patient nicht ohne Kompressionsversorgung umherlaufen, da sonst ein bereits erzielter Entstauungserfolg vom Vortag verloren geht. Kurzzugbindenbandagierungen sind kontinuierlich – optimalerweise auch über Nacht – am Bein zu belassen oder direkt vor dem ersten Aufstehen anzulegen [3].

Grundlagen der Kompressionsbandagierung

Es gibt zahlreiche Bandagierungstechniken, aber keine wissenschaftlichen Belege für die Überlegenheit einer bestimmten Methode. Bewährt haben sich die Anlagetechniken nach Pütter, Sigg oder Fischer, wobei es zahlreiche Modifikationen dieser Techniken gibt.

Wesentlich für die Effizienz einer Kompressionsbandagierung ist die sachgerechte Ausführung der gewählten Methode. Es ist daher angeraten, die Bandagierungstechnik zu nutzen, die dem Versorger am besten vertraut ist und in der am meisten Sicherheit besteht. Unabhängig davon sind folgende Aspekte grundlegend für jede Kompressionsbandagierung [3, 7]:

  • Als Hautschutz dient ein Baumwollschlauchverband. Dieser wird in 2,5- bis 3-facher Unterschenkellänge vorbereitet und bis zur Kniekehle angelegt.
  • Jede Kompressionsbandagierung sollte zur Vermeidung von Hautläsionen, Schnürfurchen, Druckstellen und Schmerzen unterpolstert sowie zum Ausgleich anatomischer Unebenheiten aus- bzw. aufgepolstert werden (Abb. 3).
  • Auf die Verwendung von Fixierklammern ist wegen der Verletzungsgefahr zu verzichten. Zur Fixierung des Bindenabschlusses dienen Pflasterfixierstreifen.
  • Die Bindenbreite wird orientiert an Form und Durchmesser des jeweiligen Körperteils angepasst.
  • Je nach Unterschenkelumfang und -länge kommen mindestens zwei Binden, ggf. auch mehr, zum Einsatz.
  • Die Kompressionsbandagierung sollte grundsätzlich direkt unterhalb des Großzehengrundgelenks beginnen. Im Anschluss folgt sie dem weiteren Zehenverlauf. Der Fuß ist dabei in Dorsalflexion.
  • Die Anlagerichtung der ersten Binde, d. h. von innen nach außen oder andersherum, orientiert sich an der Fußstellung des Betroffenen. Befindet sich der Fuß bereits in einer Innenrotation (Pronation) oder einer Außenrotation (Supination), sollte die Anlage der ersten Binde korrigierend dagegen arbeiten. Bei Normalstellung kann die Anlagerichtung frei gewählt werden.
  • Da zu lockere Touren am Vorfuß eine Ödemausbildungen provozieren können, ist von Beginn an auf einen guten Anlagedruck zu achten.
  • Um Verletzungen zu vermeiden, ist die Ferse immer mit einzubinden.
  • Die Binde wird immer in Herzrichtung abgerollt und nicht wieder zu den Füßen zurückgeführt.
  • Damit sich die Binden gleichmäßig an das Bein anmodelliert, erfolgt die Anlage unmittelbar auf der Haut unter permanentem Zug. Die Binde wird dabei nicht vom Körper abgehoben oder zu straff angezogen, was das Druckgefälle stören und zu Einschnürungen, einer venösen Stauung, nervalen Druckschäden oder Nekrosen führen kann.
  • Der Schlauchverband wird nach Abschluss der Kompresssionsbandagierung bis zur Kniekehle hochgezogen, am oberen Ende im Kniebereich über die Bandagierung umgeschlagen und mit Pflasterstreifen befestigt.

Im Set erhältlich: Mehrkomponentensysteme

Mehrkomponentensysteme bestehen aus zwei bis vier Komponenten, die in konfektionierten Sets erhältlich sind (Abb. 5). Diese enthalten meist Polster-, Kompressions- und kohäsive Fixierbinden. Im Gegensatz zu Kurzzugbinden erfordert die Erstellung eines phlebologischen Kompressionsverbandes (PKV) mit Mehrkomponentensystemen keine Kenntnis komplexer Bandagierungstechniken [4]. Sie sind grundsätzlich dafür konzipiert, eine kräftige Kompression von mindestens 40 mmHg zu erzeugen.

Um Hinweise auf den erzeugten Druck zu geben, nutzen einige dieser Systeme spezielle Dehnungstechniken oder verfügen über visuelle Marker, die eine korrekte Anlage erleichtern sollen. Eine abschließende kohäsive Binde beugt einem schnellen Verrutschen vor. Einige Hersteller bieten auch “Lite-Varianten” an. Diese ermöglichen die Versorgung von Menschen mit arteriellen Durchblutungsstörungen, bei denen keine kritische Ischämie besteht.

Je nach Entstauungssituation können Mehrkomponentensysteme bis zu 7 Tage am Unterschenkel verbleiben. Sie sind allerdings im Gegensatz zu Kurzzugbinden meist weder waschbar noch wiederverwendbar; die ist erkennbar an der eingekreisten und durchgestrichenen “2” auf der Verpackung.

Ihre Anwendung ist kosteneffektiver, da sich schneller ein Entstauungserfolg einstellt. Zudem fallen gleichzeitig weniger Aufwendungen für Wundauflagen an. Studien unterstreichen die Überlegenheit gegenüber Kurzzugbinden [4, 8]. Die Patientenadhärenz steigt, denn sie sind beweglicher und haben weniger Schmerzen.

Adaptive Kompressionsbandagen

Adaptive Kompressionsbandagen (Klett-Bandagen, Wrap-Verbände) sind eine weitere Möglichkeit der Kompressionsversorgung in der Entstauungsphase. Es handelt sich um Manschetten, die um den Unterschenkel angelegt und mit Klettungen verschlossen werden (Abb. 6). Auf diese Weise wird der jeweilige Anlagedruck individuell eingestellt.

Bei Abnahme des Beinumfangs lassen sich die Klettungen einfach und individuell nachjustieren [4, 9, 10]. Diese Adaption kann von Menschen, die noch an ihre Füße gelangen, oder auch deren Angehörigen selbstständig vorgenommen werden [3]. Die Anlage ist meist nach einer kurzen Schulung möglich, was wiederum ein Faktor zur Steigerung der Adhärenz ist.

Therapieoptionen in der Erhaltungsphase

Nach Abschluss der Entstauungsphase ist ein stabiler Zustand erreicht, da die Ödeme beseitigt sind und die Abheilung des Ulkus voranschreitet.

In der nun einsetzenden Erhaltungsphase kommen Ulkus-Strumpfsysteme zum Einsatz (Abb. 7). Diese Versorgung ermöglicht die Behandlung von weiterhin bestehenden Wunden. Ein Unterziehstrumpf mit einem geringen Anlagedruck fixiert die Wundauflage und wird Tag und Nacht getragen, wobei aus hygienischen Gründen ein täglicher Wechsel erfolgt [7, 10].

Vor dem Aufstehen wird ein medizinischer Kompressionsstrumpf (MKS) übergezogen, der zusammen mit dem Unterziehstrumpf den therapierelevanten Druck erzeugt, meist Kompressionsklasse (KKL) III. Solche Versorgungen gewährleisten die Beweglichkeit im Sprunggelenk und bringen für den Patienten weniger Schuhprobleme und Einschränkungen mit sich als Bindenbandagierungen. Vielen Betroffenen ist es zudem möglich, diese Versorgung selbstständig oder mit Unterstützung durch die Angehörigen, an- und abzulegen.

Versorgungsmöglichkeiten in der Prävention

Wenn das Ulcus cruris venosum abgeheilt ist, beugt das Tragen von medizinischen Kompressionsstrümpfen der Neuentstehung einer Wunde vor. Diese sind daher zur Rezidivprophylaxe meist lebenslang zu tragen. Oft ist hierfür eine mittlere Kompression mit medizinischen Kompressionsstrümpfen in KKL II ausreichend [3, 7, 10]. Die Produkte sind entweder als Konfektionsware erhältlich oder werden als Maßanfertigung hergestellt. Es gibt medizinische Kompressionsstrümpfe in vier Kompressionsklassen sowie in zwei Strickungen – flach- oder rundgestrickt. Zudem sind medizinische Kompressionsstrümpfe in feineren oder gröberen Materialien für verschiedene Beinumfänge erhältlich.

Dem Betroffenen sollte zusammen mit der Strumpfversorgung eine An- und Ausziehhilfe verordnet werden. Diese erleichtert den Umgang mit den Strümpfen und erhöht die Selbstpflegekompetenz des Patienten. Zudem wird das Material geschont, und die Lebensdauer der medizinischen Kompressionsstrümpfe erhöht sich. Da es eine Vielzahl von An- und Ausziehhilfen gibt, sollte vorab eine individuelle Beratung erfolgen.

Venensport

Unter Bewegung entfaltet die Kompressionstherapie ihre eigentliche Wirkung [3]. Daher sind regelmäßige Bewegungsübungen im Rahmen des Venensports Bestandteil von Therapie und Prophylaxe des Ulcus cruris venosum [7]. Hierfür gibt es einfache Venensportübungen wie Greifübungen mit den Zehen, Auf- und Abwippen sowie Kreisen des Fußes oder Abrollen des Fußes über einen runden Gegenstand. Auch Spazierengehen, Nordic Walking und Treppensteigen gehören dazu.

Eine gute Gedächtnisstütze ist die 3-S- und 3-L-Regel:

Sitzen und Stehen ist schlecht,

lieber Laufen und Liegen.

Fazit

Jede adäquate Kompressionsversorgung ist besser als keine. Die Adhärenz des Patienten ist jedoch entscheidend für den Erfolg der Kompressionstherapie. Daher sind Kompromisse bezüglich des Kompressionsdrucks möglich. Zudem steht eine Vielzahl an Materialien und Methoden zur Verfügung, um eine individuell passende Versorgungsoption zu finden.

 

Literatur unter www.hausarzt.digital

Mögliche Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.

 

 

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