World-Wide-WebStundenlang im Netz unterwegs? Das raten Experten

Nur kurz mit dem Smartphone nach Öffnungszeiten, Adresse oder Zugverbindung googeln? Das „kurz“ bleibt oft ein frommer Wunsch. Durchschnittlich 58-mal am Tag wird das Smartphone in die Hand genommen. Aber warum ist das so? Und was raten Experten?

Tech-Unternehmen versuchen, Nutzer möglichst oft und lange am Smartphone zu halten. Das klappt auch ziemlich gut.

Berlin. Über fünf Milliarden Menschen bewegen sich bereits im World-Wide-Web. Einerseits stiftet die Vernetzung und die schnell verfügbaren Informationen viel Nutzen. Andererseits sind die Gefahren für die Gesellschaft groß, warnte der Wissenschaftsjournalist Dr. Ranga Yogeshwar beim „Tag der digitalen Gesundheit“.

Menschen, so Yogeshwar, sind weltweit knapp sieben Stunden im Schnitt täglich online. In Südafrika sind es sogar zehn Stunden. Dabei geht es nicht nur um die Dauer, erklärte der Wissenschaftsjournalist, sondern auch um das Wie. Denn die Stunden werden beim Smartphone meist nicht en Block gesurft, sondern in Häppchen.

„Durchschnittlich 58-mal am Tag nehmen wird das Handy in die Hand“, sagte Yogeshwar. Das sind kleine Strecken, die den restlichen Alltag immer wieder unterbrechen – mit negativen Konsequenzen zum Beispiel auf die Konzentrationsfähigkeit.

Gefangen in der eigenen “Bubble”

Aber was ist so spannend, dass man so oft am Tag zum Handy greift? Es sind vor allen Dingen die sozialen Netzwerke, die mit Belohnungen (Herzchen, Smileys, Daumen hoch) locken und die Menschen gefangen nehmen, berichtete der Wissenschaftsjournalist.

Dabei steckten hinter den Plattformen überwiegend ökonomische Interessen. Und die Menschen würden über Algorithmen hauptsächlich mit den Informationen gefüttert, die ihren Interessen entsprechen. Daraus wiederum resultiere das Phänomen, dass die Menschen mehr und mehr in ihren Blasen lebten, die Wahrnehmung werde verzerrt.

Das habe negative Folgen, warnte Yogeshwar: Eine enorme Polarisierung werde vorangetrieben, die die Demokratien zunehmend auseinanderbrechen lasse. Auch Fake News nähmen zu. Die Konsequenz sei unter anderem Gewalt. So habe es Facebook zugelassen, dass auf dem Portal gegen die muslimische Minderheit der Rohingya in Myanmar auf das schlimmste gehetzt wurde (bis zur Verfolgung und Vertreibung).

Der Angriff auf das Capitol in den USA oder die Aktivitäten von Corona-Leugnern während der Pandemie – es gebe zahlreiche Beispiele dafür, wie Spaltung der Gesellschaft über Internetportale vorangetrieben würden.

Aber wie gelingt es den Tech-Unternehmen eigentlich, die Menschen so sehr am Smartphone, am Laptop, an den Videospielen zu halten? „Wir arbeiten im Zeitalter des Überwachungskapitalismus“, erklärte Professor Christian Montag, Molekularpsychologe an der Universität Ulm.

Das Geschäftsmodell sei, die Menschen überall auszuspionieren. Mit den gesammelten, persönlichen Informationen würden sich die Tech-Unternehmen an die Werbeindustrie wenden, die das nun bestens bekannte Klientel zielgenau bewerben könne.

So werden Nutzer bei der Stange gehalten

Um an diese Daten zu kommen, müssen Unternehmen maximal fesselnde Plattformen bauen. Und um zu messen, was fesselnd ist, gibt es Techniken: Wie ändert sich die Nutzungszeit eines Users, wenn sich ein Element oder Design ändert?

Ein Beispiel ist der “Daumen hoch”- bzw. Like-Button. Dieser ist nicht nur für die Unternehmen und die Werbeindustrie interessant (denn der Nutzer gibt preis, was ihm gefällt), sondern der Button dient auch als soziale Belohnung.

Ein weiteres Instrument, um Nutzer bei der Stange zu halten: „Das natürliche Ende wurde abgeschafft“, wie Molekularpsychologe Montag es ausdrückt: Menschen können immer weiter scrollen zu scheinbar niemals endenden Informationsangeboten. Denn: „Wenn wir alles gelesen hätten, würden wir die Website schließen.”

Mechanismen sind aus dem Glücksspiel bekannt

Auch die Personalisierung ist ein wichtiges Element – also auf den Nutzer zugeschnittene Informationen. Grundsätzlich, so Montag, arbeitet die Tech-Industrie mit sehr vielen Design-Elementen, die nicht anderes zum Ziel haben, als die Menschen in jeder freien Minute zurück zur Plattform zu bringen.

Aber wie erklärt sich solch ein Belohnungssystem (z. B. Daumen-hoch) psychologisch? Die Belohnungen kommen ja nicht zwangsläufig und auch nicht regelmäßig. „Das Prinzip, das dahintersteckt, kennen wir auch aus dem Glückspielbereich“, berichtete Montag.

Der (vereinfacht dargestellte) Mechanismus dahinter: Ein Mensch postet zum ersten Mal etwas. Plötzlich bekommt er ein oder mehrere Likes. Das fühlt sich gut an. In Erwartung, dass wieder etwas Schönes passieren könnte, postet der Mensch erneut etwas. Schnell ist man in diesem System gefangen und konditioniert sich, begleitet vom Plattformdesign, quasi selbst.

Diese Belohnungen, die unregelmäßig und nicht zuverlässig kommen, kennt man in der Psychologie unter dem Begriff intermittierende Verstärkung. Dieser Belohnungsmechanismus gilt in der Verhaltenspsychologie als besonders „löschungsresistent“: es ist äußerst schwierig, das Verhalten wieder abzulegen.

Zurück zur Armbanduhr

Viele jüngere Menschen stehen mit dem Smartphone auf, nutzen es zum Beispiel als Wecker und gehen mit dem Smartphone ins Bett. Wie könnte man sich vor den zahlreichen Manipulationen der Tech-Industrie schützen und den Smartphone-Gebrauch begrenzen?

Grundsätzlich, so Montag, liefe alles unter der Überschrift: “Sich seine Struktur zurückerobern”. Anstatt das Smartphone zu benutzen könne man zum Beispiel wieder eine Armbanduhr tragen oder sich einen Wecker stellen.

Eine weitere Maßnahme: Push-Benachrichtigungen ausschalten. Diese dienten dazu, neugierig zu machen und auf die Plattform zu locken. Auch könne man die Lesebestätigungen bei Messenger-Services ausstellen. Diese Nachrichtendienste würden über sozialen Druck arbeiten.

Interessant sei auch die Macht der Farbwelten, berichtete Montag. Plattformen wie TicToc, Youtube oder Instagram kämen quietschbunt daher. Wenn man die Geräte in den Graufarbmodus stellt, würden derartige Angebote uninteressanter. Psychologische Experimente hätten nahegelegt, dass die Online-Nutzungszeit so tatsächlich reduziert werden kann.

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