Hausarzt MedizinLeberschäden sind selten, aber kaum vorhersehbar

Einige Medikamente können die Leberfunktion beeinträchtigen. Auch wenn das nicht häufig vorkommt, ist bei erhöhten Leberwerten oder unspezifischen Symptomen daran zu denken.

Beim Studium von Beipackzetteln oder Fachinformationen zugelassener Arzneimittel findet sich nicht selten der Hinweis "… bei Anzeichen und Symptomen einer Lebererkrankung (wie z. B. Appetitlosigkeit, Gelbsucht, Dunkelfärbung des Urins, Juckreiz oder Druckschmerz im Bauch) soll die Behandlung abgebrochen werden und gegebenenfalls ein Arzt konsultiert werden".

Dadurch entsteht der Eindruck, arzneistoffbedingte Leberschäden sind häufig auftretende unerwünschte Arzneimittelwirkungen und mit sehr vielen Arzneistoffen assoziiert [1]. Doch tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Leberschäden durch Arzneistoffe sind mit einer Inzidenz von 1 : 10.000 bis 1 : 100.000 exponierten Patienten selten, gleichzeitig jedoch vor allem bei normaler Dosierung schwer vorhersehbar [2].

Leberschäden erkennen

Arzneistoffbedingte Leberschäden sind oft schwierig zu diagnostizieren, da sie ohne spezifische Symptome verlaufen und sich nur durch erhöhte Leberwerte äußern. Bei der Mehrzahl der Patienten sind jedoch unspezifische Anzeichen wie Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Oberbauchbeschwerden oder Fieber erkennbar. Erst wenn die Leberschädigung fortgeschritten ist, kommen dunkler Urin, entfärbter Stuhl, Hautjucken und Gelbsucht hinzu. Doch selbst dann ist oft nicht eindeutig zu klären, ob es sich um eine arzneistoffinduzierte Schädigung oder eine andere Erkrankung der Leber handelt, denn Biomarker, die eine Differenzierung erlauben, sind noch nicht verfügbar. Somit muss die Diagnose eines arzneistoffbedingten Leberschadens immer eine Ausschlussdiagnose sein.

Da im Routinefall keine Leberbiopsie durchgeführt wird, muss die bei jeder Schädigung der Leber auftretende vermehrte Freisetzung von Leberenzymen in den Blutkreislauf zur Bestimmung der Art und Schwere der Schädigung genutzt werden [3]. Eine Konsensusgruppe hat hierzu festgelegt, dass von einem arzneistoffbedingten Leberschaden auszugehen ist, wenn einer der in Tabelle 1 aufgeführten Parameter zutrifft [4]. Um aus diesen Parametern den Phänotyp der Leberschädigung abschätzen zu können, wird der R-Wert berechnet (Tab. 1).

Risikofaktoren

Warum kommt es zu Leberschädigungen bei Arzneimitteleinnahme? Vermutlich ist es das Zusammenspiel vonmehreren Faktoren, die zur Lebertoxizität führen:

Meist wird ein hepatotoxisches Potenzial eines neuen Arzneistoffes im Rahmen des Zulassungsverfahrens in klinischen Studien erkannt und führt dann zum Abbruch der Entwicklung. Dieser Prozess kann arzneimittelbedingte Leberschäden aber nicht gänzlich verhindern. Problematisch sind hier in erster Linie idiosynkratische Reaktionen, die so selten sind, dass sie während der klinischen Prüfung von Arzneimitteln aus statistischen Gründen nicht auftreten bzw. nicht als solche erkannt werden. Zu den am häufigsten betroffenen Arzneistoffklassen zählen Antibiotika und Virustatika, Zytostatika, nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) und Endokrinologika. Beim Einsatz solcher Arzneimittel sollten Arzt und Apotheker grundsätzlich wachsam sein und auf entsprechende Symptome rasch reagieren.

Viele Mechanismen, schlechte Vorhersagbarkeit

Dass arzneimittelinduzierte Leberschäden schwer abzusehen sind, begründet sich vor allem durch die große Zahl an Mechanismen, die als Ursache in Frage kommen. Sie sind sehr heterogen und oftmals nur ungenügend verstanden. Grundsätzlich muss man zwischen Arzneistoffen unterscheiden, die eine direkte Toxizität aufweisen, und solchen, die nur in wenigen Fällen, eventuell auch nur in bestimmten Patientenkollektiven, zu einer Leberschädigung führen.

Liegt der Schädigung eine direkte toxische Wirkung der Substanz zugrunde, so treten die Symptome in aller Regel binnen Stunden nach der Einnahme auf und sind dosisabhängig. Paracetamol kann hier als gut verstandenes und beschriebenes Beispiel dienen. Dabei ist Paracetamol selbst nicht die Ursache der Leberschädigung, sondern reaktive Metaboliten, die über CYP2E1 aus dem Wirkstoff gebildet werden [3].

Beruht die Leberschädigung nicht auf einer direkten toxischen Wirkung, liegt eine idiosynkratische Form der Leberschädigung vor, bei der zwischen Einnahme und Schädigung ein langer Zeitraum liegen kann. Meist treten die Symptome innerhalb von Wochen auf, können aber auch erst Monate nach der Exposition in Erscheinung treten, sind durchweg nicht dosisabhängig und kaum vorhersagbar.

Bisher mangelhafte Dokumentation

Ein Blick in die medizinische Literatur zeigt, dass nur für wenige Arzneistoffe eine umfassende Dokumentation der leberschädigenden Wirkungen vorliegt. Ausnahmen sind Chlorpromazin, Halothan und Amoxicillin + Clavulansäure, für die nicht nur zahlreiche Fallberichte vorliegen, sondern durch Re-Expositionstests ein klarer Zusammenhang zwischen der Einnahme der Substanz und der Leberschädigung nachgewiesen werden konnte [5, 6]. In einigen, wenigen Fällen ist auch das klinische Erscheinungsbild des Leberschadens beschrieben.

Für viele, zum Teil seit Jahrzehnten zugelassene Wirkstoffe wurden jedoch einzelne Fallberichte von Leberschäden publiziert, ohne dass eine abschließende Kausalitätsbewertung existiert. Nicht zuletzt eine unzureichende Dokumentation der Fälle erschwert die Auswertung [7]. Damit ist es für den verschreibenden Arzt oder den in der Selbstmedikation beratenden Apotheker schwer einschätzbar, wie groß ein etwaiges Risiko für den individuellen Patienten ist.

Bessere Information durch neue Register

Um dieser Problematik zu begegnen, wurden in mehreren Ländern Register eingeführt, in denen Berichte zu arzneimittelbedingten Leberschäden gesammelt und ausgewertet werden, z. B. das PRO-EURO-DILI Registry (www.spanishdili.uma.es/proeuro), das Drug-Induced Liver Injury Network (www.dilin.org) und die frei zugängliche Datenbank LiverTox des National Institute‘s of Health (NIH, livertox.nih.gov/index.html).

Besonders interessant ist die in Livertox vorgenommene Klassifizierung der Arzneistoffe entsprechend ihres Risikos, einen Leberschaden hervorzurufen (Tab. 2 unten). Diese Klassifizierung durch LiverTox wurde kürzlich mithilfe des RUCAM-Scores bewertet, wobei 671 Arzneistoffe untersucht und die Wahrscheinlichkeit einer Leberschädigung bei Einnahme dieser Substanzen analysiert wurden [1]. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass 353 (53 Prozent) von 671 Arzneistoffen mit einer Leberschädigung assoziiert sind. Davon wurden 48 (13 Prozent) der Kategorie A, 76 (22 Prozent) der Kategorie B, 96 (27 Prozent) der Kategorie C und 126 (36 Prozent) der Kategorie D zugeordnet. Weitere 7 (2 Prozent) wurden einer neu geschaffenen Kategorie T zugeteilt (direkte Toxine, die bei Standarddosen noch kein lebertoxisches Potenzial aufweisen).

Vorsicht bei der Verordnung

Für über 80 Prozent der 48 Arzneistoffe in Kategorie A sind mehr als 100 Fallberichte zu arzneimittelbedingten Leberschädigungen dokumentiert und gleichzeitig liegen für 92 Prozent dieser Substanzen Daten zu einem positiven Re-Expositionstest vor (Abb. 1, Tab. 3) [1]. Damit kann mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Leberschädigung in kausalem Zusammenhang mit der Einnahme steht, sodass bei diesen Wirkstoffen das lebertoxische Potenzial bei jeder Verordnung dringend bedacht werden sollte.

Für Arzneistoffe der Kategorie B wurden zwar deutlich weniger Fälle einer hepatotoxischen Wirkung gemeldet, aber für immerhin 38 Prozent dieser Substanzen liegt ein positiver Re-Expositionstest vor (Tab. 2) [8]. Daher sollte auch beim Einsatz dieser Substanzen bei Anzeichen einer Leberfunktionsstörung ein möglicher Zusammenhang mit der Einnahme des Arzneistoffs bedacht und die Behandlung sofort unterbrochen werden.

Für die Arzneistoffe in den Kategorien C und D besteht nur eine geringe Wahrscheinlichkeit für ein leberschädigendes Potenzial, wobei eine Leberschädigung durch den Einsatz der Substanzen aus Kategorie C und D nicht völlig auszuschließen ist.

Bei neu zugelassenen Wirkstoffen muss ein mögliches leberschädigendes Potenzial konsequent überwacht werden. Jeder Verdacht auf eine hepatotoxische Reaktion durch einen neuen Wirkstoff sollte umfassend dokumentiert und im Rahmen des Pharmakovigilanzsystems gemeldet werden.

Fazit

Allen Untersuchungen und Sicherheitsvorkehrungen zum Trotz, wird auch in Zukunft für viele Arzneistoffe Ungewissheit darüber bestehen bleiben, ob sie hepatotoxische Reaktionen auslösen können. Die Daten aus den neu angelegten Registern sowie jüngste pharmakogenetische Erkenntnisse werden erst mit einiger Verzögerung im klinischen Alltag ihren Niederschlag finden. Letztere haben gezeigt, dass idiosynkratische lebertoxische Reaktionen oftmals nur bei einem begrenzten Patientenkollektiv auftreten und daher arzneimittelbedingte Leberschäden auch in naher Zukunft nicht vermeidbar sein werden.

Mögliche Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert.

Literatur

  • 1 Björnsson, E. S. Hepatotoxicity by Drugs: The Most Common Implicated Agents. Int. J. Mol. Sci. 17, 224 (2016).

  • 2 Teschke, R. Pharmazeutische Zeitung online: Leberschäden: Krankes Entgiftungsorgan. Pharmazeutische Zeitung (2013). Available at: http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=42581. (Accessed: 24th May 2016)

  • 3 Stephens, C., Andrade, R. J. & Lucena, M. I. Mechanisms of drug-induced liver injury. Curr. Opin. Allergy Clin. Immunol. 14, 286–92 (2014).

  • 4 Aithal, G. P. et al. Case definition and phenotype standardization in drug-induced liver injury. Clin. Pharmacol. Ther. 89, 806–15 (2011).

  • 5 Andrade, R. J., Robles, M. & Lucena, M. I. Rechallenge in drug-induced liver injury: the attractive hazard. Expert Opin. Drug Saf. 8, 709–14 (2009).

  • 6 Papay, J. I. et al. Drug-induced liver injury following positive drug rechallenge. Regul. Toxicol. Pharmacol. 54, 84–90 (2009).

  • 7 Agarwal, V. K., McHutchison, J. G. & Hoofnagle, J. H. Important elements for the diagnosis of drug-induced liver injury. Clin. Gastroenterol. Hepatol. 8, 463–70 (2010).

  • 8 Björnsson, E. S. & Hoofnagle, J. H. Categorization of drugs implicated in causing liver injury: Critical assessment based on published case reports. Hepatology 63, 590–603 (2016).

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