Berlin. Risikopatienten, Menschen über 70 Jahre sowie Pflegeheimbewohner und -mitarbeiter: Diese Personengruppen sollten sechs Monate nach der zweiten Corona-Impfung eine Auffrischung erhalten, gibt Prof. Thomas Mertens die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) wieder, der er vorsteht. Das gilt auch für Impflinge, denen das Vakzin von Johnson & Johnson verabreicht wurde, sagt er am 2. November in der Bundespressekonferenz.
Ruhe im System nötig
Für Irritationen sorgt allerdings Noch-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der sich für das breite Boostern der Bevölkerung stark macht. Am 2. November können Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sowie Prof. Martin Scheerer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, im Beisein von Mertens ihren Unmut über Spahns Vorpreschen kaum verbergen. Sie plädieren für die Einhaltung der STIKO-Empfehlung. „Wir brauchen die Ruhe im System“, betont Scheerer. Durch die Debatte stünden in den Praxen „zeitfressende Diskussionen“ an. Die KBV ist sich sicher, dass die Niedergelassenen die Auffrischungs-Impfungen bewältigen können. Ihr Vorstandschef Dr. Andreas Gassen plädiert für Erinnerungsschreiben, die staatliche Behörden oder Krankenkassen versenden könnten.
Vorbild Israel?
Einen Tag später spricht Spahn an selber Stelle „Ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe“, betont er. Es gebe einen Unterschied zwischen einer Empfehlung und dem, was machbar sei. Er sehe auch keinen Konflikt mit der STIKO und wolle sich mit den Ärzten für ein einheitliches Vorgehen abstimmen. „Der Impfstoff ist da, die Zulassung ist da, die Erkenntnis aus anderen Ländern ist da”, unterstreicht der Noch-Minister. Dabei bezieht er sich auf Israel. Dieses „hat sich aus der Delta-Welle effektiv herausgeboostert“, hält Prof. Leif Erik Sander fest. Der Leiter der Forschungsgruppe für Infektionsimmunologie und Impfstoff-Forschung der Berliner Charité sitzt mit Spahn auf dem Podium, ebenso wie Prof. Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts. Auf die Frage, wie er sich positioniert, antwortet er: „Es gibt eine Zulassung, die ermöglicht diese Impfungen, und es gibt eine gezielte Impfempfehlung von der STIKO.“
Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, zeigt sich verwundert über den Booster-Streit, sieht er doch die größte Herausforderung beim ungeimpften Anteil der Bevölkerung. Die Booster-Debatte wirke da eher wie ein Ablenkungsmanöver, so Weigeldt. Hausärztinnen und Hausärzte impften bereits nach der STIKO-Empfehlung Menschen über 70 Jahre und Immungeschwächte, sowohl in den Praxen als auch in Heimen. In der Wiedereröffnung der Impfzentren sieht Weigeldt keinen Sinn: “Wir müssen den Impfstoff zu den Menschen bringen und nicht die Menschen zum Impfstoff.” red