Die 60.000 Einwohner, die die Stadt bereits im 14. Jahrhundert zählte, wollten schon immer etwas Besonderes sein. Sie zogen die französischen Könige in der Regel den Grafen von Flandern vor, und die stolzen Bürger der Stadt pochten auf ihre erworbenen Privilegien und Freiheiten. Sie begehrten sogar gegen den in Gent geborenen Kaiser Karl V. auf, wurden von ihm jedoch in die Knie gezwungen.
Gent wird wegen der pittoresken Türme seiner Altstadt auch “das Manhattan des Mittelalters” oder “Europas bestgehütetes Geheimnis” genannt. “Vom Jahr 1000 bis etwa 1550 war Gent vor allem dank des blühenden Tuch-, Leinen und Getreidehandels größer als London und musste nur Paris “über” sich dulden”, erfahre ich im Office von Visit Gent, als ich nach ein paar Tipps zum Erkunden der Stadt frage.
Die “Rivalin” von Brügge hat viele Reize
Der Reiz der ewigen Rivalin der “Schwesterstadt” Brügge zeigt sich rasch beim Bummel durch die Genter Innenstadt, die durch einen bereits 1998 entwickelten, vielfach prämierten Lichtplan kunstvoll erleuchtet wird.
Die wichtigsten Denkmäler – Gent zählt mehr als 9.800 registrierte, kulturhistorisch wertvolle Gebäude – sowie Geschäftsstraßen, Parks und Plätze wurden durch Energiesparlampen mit Lichtakzenten versehen, die nicht nur die Attraktivität der Stadt, sondern auch die allgemeine Sicherheit erhöhen.
Der etwa fünf Kilometer lange Rundgang beginnt am Kouter, einem im 18. Jahrhundert gegründeten Platz, an dem jeden Sonntag der Blumenmarkt stattfindet. Die Standardstrecke streift die Hauptattraktionen Gents, für sportlich Engagierte gibt es auch einen etwas weiteren Weg durch die beleuchteten Außenviertel der Stadt.
Ein Highlight des Weges ist das Gebiet um die Graslei und die Korenlei. Am Ufer der Leie stehen viele mittelalterliche Gildehäuser, die mit ihren prachtvollen Treppengiebeln nicht nur tagsüber, sondern auch in der Nacht romantisch beleuchtet eine wunderschöne Kulisse bieten.
Hier und im angrenzenden Korenmarkt befand sich bereits um das Jahr 1200 das Zentrum des flämischen Kornhandels. Schiffe wurden mit Getreidesäcken, Tuchballen, Weinfässern und sonstigen Handelswaren beladen. Heute können private Bootskapitäne den mitten im Herzen der Stadt gelegenen Yachthafen Portus Ganda ansteuern, und es sich dann in den zahlreichen gemütlichen Straßencafés und Restaurants gut gehen lassen.
Die “Schlacht um die Grafenburg”
Auch die Burg Gravensteen, eine der größten Wasserburgen Europas, ist bei Dunkelheit mit ihren prachtvollen Flaggen besonders authentisch und schön in Szene gesetzt. Die mitten in der Stadt am Zusammentreffen der Flüsse Lieve und Leie stehende, imposante Burg wurde im Jahr 1180 von Graf Philipp von Elsass erbaut.
Die Geschichte der einzigen erhalten gebliebenen mittelalterlichen Festung mit einem nahezu vollständig intakten Verteidigungssystem in Flandern geht bis in die Zeit der römischen Besatzung zurück, als sich auf einer Sandbank der Leie die erste Siedlung befand. Das imposante Gebäude diente mit seiner militärischen Architektur als deutliches Symbol der gräflichen Macht im historisch immer wieder turbulenten Gent.
“Die Burg geriet auch in jüngerer Vergangenheit in die Schlagzeilen”, erzählt uns schmunzelnd unser Führer beim abendlichen Spaziergang. “Denn im Jahr 1949 gab es eine “Schlacht um die Grafenburg”.
Eine große Gruppe Genter Studenten besetzte die Burg und protestierte so gegen die Erhöhung der Bierpreise und gegen die neuen blauen Dienstmützen der Polizei, die die alten weißen Helme ersetzen sollten, um die Polizisten leichter von Postboten und Taxifahrern unterscheiden zu können. Der Studentenstreich verlief friedlich, und in der Abenddämmerung räumten die Studenten die Burg Gravensteen großmütig wieder.”
Außergewöhnliche Fotomotive bieten auch die zahlreichen, wunderschön beleuchteten Kirchen der Stadt. Von der Sint-Michielsbrug bietet sich ein unvergleichlicher Blick auf die Silhouette Gents, die von drei hohen Türmen beherrscht wird.
Einer von ihnen gehört zur Kathedrale St. Bavo mit ihrem weltberühmten “Genter Altar”. Dieses aus 18 Tafeln bestehende Meisterwerk der Gebrüder van Eyck, das den Titel “Die Anbetung des Lamm Gottes” trägt, gilt als eines der bedeutendsten Gemälde aller Zeiten.
Komplettiert wird der Dreiklang der Türme durch den Belfried und die Sint-Niklaaskerk, eine monumentale gotische Kirche. Auf dem Dach des zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Belfried thront der stolze “Drache von Gent” als Sinnbild der Stadt. Der aus dem 14. Jahrhundert stammende Turm, der eine tolle Aussicht auf die Stadt bietet, trägt auch die Sturmglocke, die die Bürger bei Gefahr warnte.
An der Fassade eines Nebengebäudes des Belfried ist auch der “Mammelokker” – übersetzt etwa der “Brusttrinker” – zu bewundern. Der Legende nach soll ein zum Hungertod verurteilter Gefangener seine Bewacher dadurch getäuscht haben, dass er täglich die Muttermilch seiner eigenen Tochter trank.
Vorsicht Umweltzone
“Alle drei Jahre wird unser “City-Walk” im Dunkeln aber noch getoppt, denn dann bieten die “Genter Nächte” ein Lichtfestival mit überraschenden Lichtkunstwerken nationaler und internationaler Künstler sowie spektakulären Aufführungen und Veranstaltungen mit Licht”, berichtet unser Führer weiter.
“Der nächste Termin steht allerdings auch angesichts des Ukraine-Krieges und der dadurch verursachten Energiekrise noch nicht fest, wird aber frühzeitig auf der Homepage von Visit Gent veröffentlicht.”
“Wenn Sie mit dem Auto hier sind und in der Innenstadt geparkt haben, müssen Sie Ihr Fahrzeug bei der Stadtverwaltung anmelden, denn in Gent gilt seit 2020 eine strikte Umweltzone. Es drohen hohe Geldstrafen, wenn Sie sie dies nicht spätestens einen Tag nach dem Einfahren in die Umweltzone getan haben”, erfahre ich, bevor ich das Tourist Office verlasse und danach rasch die Online-Anmeldung vornehme.