Diagnose HIVVersorgung HIV-Infizierter weiter optimieren – was kann der Hausarzt beitragen?

Dank guter Versorgungsstrukturen werden HIV-Infizierte hierzulande meist erfolgreich behandelt. Verbesserungspotenzial gibt es jedoch bei der Diagnose. Worauf Hausärzte achten sollten, um HIV-Infizierte frühzeitig zu erkennen und welche Strukturen zukünftig angepasst werden müssen, erläuterte Robin Rüsenberg, Geschäftsführer der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter in Berlin.

Gemäß dem AIDS-Programm der Vereinten Nationen (UNAIDS) sollten bis zum Jahr 2020 90 Prozent aller HIV-Infizierten diagnostiziert sein, 90 Prozent davon eine lebensrettende antiretrovirale Therapie erhalten und 90 Prozent eine Viruslast unter der Nachweisgrenze aufweisen. Hat Deutschland dieses Ziel von 90-90-90 erreicht?

Wir haben es noch nicht ganz erreicht, sind aber auf einem sehr guten Weg. Laut Robert Koch-Institut sind derzeit rund 88 Prozent der HIV-Infizierten diagnostiziert, 93 Prozent davon sind unter antiretroviraler Therapie und bei 95 Prozent ist diese Therapie erfolgreich [1]. Als Behandler achten wir vor allem auf den Anteil erfolgreich therapierter HIV-Patienten und hier stellen 95 Prozent einen hervorragenden Wert dar, die 90 Prozent werden zudem seit geraumer Zeit überschritten.

Auf der anderen Seite sind wir vom ersten Ziel – 90 Prozent aller HIV-Infizierten auch zu diagnostizieren – noch ein kleines Stück entfernt. Dass viele Betroffene die Diagnose erst spät erhalten ist ein Problem, denn bei einem weit fortgeschrittenen Immundefekt oder gar einer simultanen HIV/AIDS-Diagnose sind die therapeutischen Möglichkeiten geringer, die Behandlung insgesamt schwieriger und die Langzeitprognose schlechter. Ich bin jedoch optimistisch, mit den richtigen Schritten die ersten 90 Prozent auch bald zu erreichen. Da als weiteres Ziel 95-95-95 bis 2030 ausgerufen wurde, bleibt allerdings auch künftig einiges zu tun.

Was sind Ihrer Ansicht nach die weiteren Ziele bei der Versorgung von HIV-Infizierten?

Grundsätzlich haben wir in Deutschland mittlerweile eine gute bis sehr gute Prävention bzw. Versorgung von Menschen mit HIV erreicht. Das liegt nicht zuletzt an den bestehenden Versorgungsstrukturen. Ein Punkt an dem wir noch arbeiten müssen, sind die bereits erwähnten Late Presenter. Schon seit Jahren weisen mindestens 30 Prozent der Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) bei der Diagnosestellung einen fortgeschrittenen Immundefekt auf, knapp die Hälfte davon (14 Prozent) zeigen bereits Symptome einer AIDS-definierenden Erkrankung [1]. Noch höher liegt dieser Anteil bei heterosexuellen Menschen, hier haben 35 Prozent bereits einen fortgeschrittenen Immundefekt und 18 Prozent AIDS-Symptome.

Hausärzten kommt bei der frühzeitigen Erkennung HIV-infizierter Personen eine wichtige Rolle zu, denn häufig kennen sie die näheren Lebensumstände ihrer Patienten sehr gut und haben optimalerweise ein Vertrauensverhältnis entwickelt, das auch intimere Fragen zulässt. Die Betroffenen selbst wissen oft nicht von ihrer HIV-Infektion, obwohl sie aufgrund anderer Erkrankungen bereits in ärztlicher Behandlung sind. Im Verdachtsfall sollte ein HIV-Test zu einer früheren Diagnose führen.

Worauf sollten Hausärzte achten, um Betroffene frühzeitig zu erkennen?

Wichtige Hinweise können Geschlechtskrankheiten geben, die bei HIV-Infizierten häufiger vorkommen. Auch bei einem Pilzbefall im Mund, Rachen oder der Speiseröhre sowie bei oraler Haarleukoplakie sollte man an eine mögliche HIV-Infektion denken und diese abklären. Weitere Veränderungen betreffen beispielsweise das Blutbild mit Leukopenie, Lymphopenie, Thrombozytopenie, eine Vergrößerung der Milz und der Lymphknoten oder eine abnorme Gewichtsabnahme oder unklare Fieberzustände. Zusätzliche Anhaltspunkte können Aufenthalte in Ländern mit höherer Prävalenz sein.

Ein umfassenderes Wissen zur Gruppe der Late Presenter erhoffen wir uns von der momentan laufenden FindHIV-Studie. Diese soll zum Beispiel ermitteln, welche Charakteristika diese Patientengruppe auszeichnet und mit welcher Symptomatik oder Diagnose die Patienten typischerweise vorstellig werden. Mit Hilfe der gewonnenen Daten werden ein einfach anzuwendender Fragenkatalog zur Frühdiagnose sowie entsprechende Handlungsempfehlungen entwickelt, die auch Hausärzten nutzten können.

Wie lassen sich die bestehenden Versorgungsstrukturen verbessern?

Um nachhaltig die guten Versorgungsstrukturen sicherzustellen, gilt es einige Punkte zu beachten: So sehen wir schon heute deutlich weniger AIDS-definierende Erkrankungsfälle als in der Vergangenheit, dafür behandeln wir zunehmend ältere Patienten mit entsprechendem Komorbiditätsspektrum. Der Umgang mit diesen Patienten wird den Versorgungsalltag zukünftig deutlich stärker prägen. Grundsätzlich haben wir eine Regelversorgung mit hohen Qualitätsstandards. Sollte der Gemeinsame Bundesausschuss im Rahmen der Ambulanten Spezialfachärztlichen Versorgung in der nächsten Zeit ein neues “Spielfeld” für die Versorgung besonderer HIV-Fälle definieren, darf das etablierte Niveau keinesfalls gefährdet werden.

Schließlich stellt bei den HIV-Schwerpunktbehandlern der Nachwuchs ebenfalls ein großes Thema dar. Auch in der HIV-Medizin kommen vergleichsweise wenige jüngere Kolleginnen und Kollegen nach. Das heißt, wir müssen Sorge dafür tragen, die Strukturen auch hinsichtlich der personellen Ausstattung langfristig sicherzustellen. Zudem zeigt die aktuelle Covid-19-Pandemie, dass eine Stärkung der Versorgungsstrukturen in der ambulanten Infektiologie notwendig ist.

Welche wesentlichen Veränderungen wünschen Sie sich für die Zukunft?

Kehren wir wieder zum Ausgangspunkt zurück, dem Ziel der UNAIDS von 90-90-90. Als vierte Ziffer darf die 0 nicht vergessen werden – diese steht für null Diskriminierung der HIV-Infizierten. Denn noch immer berichten viele Betroffene von Diskriminierungserfahrungen, gerade auch im Gesundheitssystem. Diese Erfahrungen tragen natürlich ebenfalls dazu bei, dass manch einer sich nicht frühzeitig testen lässt. Daran müssen wir alle arbeiten, das ist ein gesamtgesellschaftliches Anliegen.

Literatur:

  1.  Robert-Koch-Institut: Epidemiologisches Bulletin 46/19
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