Forum Politik38. Hausärztetag: Medikationsplan – quo vadis?

Gut gedacht, aber nicht gut gemacht: Beim Deutschen Hausärztetag in Potsdam erntet der Medikationsplan viel Kritik. Denn die veranschlagten 163 Millionen Euro werden für Hausärzte zum Ein-Euro Job.

“Sans Souci”, also ohne Sorge, sehen die Hausärzte den Medikationsplan nicht – auch wenn sich die Delegierten dieses Jahr zum Deutschen Hausärztetag in Potsdam getroffen haben, dessen Wahrzeichen bekanntlich das Schloss Sanssouci ist. Ab 1. Oktober haben Versicherte Anspruch auf einen Medikationsplan. Diesen erstellt in der Regel der Hausarzt. Der Ansatz sei grundsätzlich richtig und wichtig, sagte Bundesvorsitzender Ulrich Weigeldt. “Einen Medikationsplan zu erstellen ist aber aufwändig, weil eine Beratung nötig ist. Daher muss die Vergütung der Leistung entsprechend angemessen sein.” Doch es sollte anders kommen.

163 Millionen Euro sind im ärztlichen Honorartopf in 2017 für die Erstellung und Aktualisierung von Medikationsplänen vorgesehen, wie Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und GKV-Spitzenverband am Vorabend des Hausärztetages mitteilten. Rund 20 Millionen gesetzlich Versicherte haben einen Anspruch auf einen solchen Plan, hat das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) aufgrund von Arzneimittelverordnungsdaten berechnet. Auch der GKV-Spitzenverband hat sich bei den Verhandlungen auf diese Zahl gestützt, wie eine Sprecherin auf Nachfrage von “Der Hausarzt” mitteilte. “Wir schätzen, dass diese Zahlen auch realistisch in Bezug auf die Inanspruchnahme sind”, sagte sie. Wie viel bleibt davon also beim einzelnen Arzt hängen?

Was kommt in den Praxen an?

Bei der Berechnung sei der GKV-Spitzenverband davon ausgegangen, dass für die Berechtigten in einem Jahr einmal ein Medikationsplan erstellt und einmal aktualisiert werden muss. Das ergibt rund vier Euro für die Leistung. Dies bestätigte dann auch KBV-Vize Regina Feldmann beim Hausärztetag. Für die Einzelleistung bei Nicht-Chronikern seien vier Euro veranschlagt, bei chronisch Kranken gebe es einen Zuschlag von gut einem Euro, den die KVen automatisch der Chronikerpauschale zusetzen (Details siehe S. 19). Feldmann räumte ein, in die Verhandlungen mit 17 Euro gegangen zu sein, da es sich um eine aufwändige Gesprächsleistung handele. “Da sieht man wieder einmal, was die sprechende Medizin wert ist”, bemängelte sie mit Blick auf die Verhandlungen.

Immerhin: Die Einzelleistung wird extrabudgetär bezahlt und ist nicht gedeckelt. Hausärztechef Weigeldt ist dennoch skeptisch: “163 Millionen ist nur eine geschätzte Zahl, da die Vergütung extrabudgetär läuft. Ob das wirklich in den Praxen ankommt, ist jetzt noch nicht klar.” Als Negativbeispiel führte er die Vergütung nicht-ärztlicher Praxis-assistenten (NäPA) an, deren kalkuliertes Budget immer noch nicht komplett an die Praxen vor Ort ausbezahlt werde. Auch in den Reihen der Hausärzte lösten die von Feldmann vorgestellten Vergütungsdetails Unmut aus. Der Zuschlag komme einem “Ein-Euro Job für Hausärzte” gleich, sagte Dr. Markus Beyer vom Bayerischen Landesverband. Ingrid Dänschel, dritte stellvertretende Bundesvorsitzende und Vorsitzende in Sachsen, ergänzte: “Wenn der Zuschlag an die Chronikerpauschale gekoppelt wird, dann sollte aber die Chronikerdefinition überdacht werden.”

Ein weiterer Kritikpunkt: Der Zuschlag wird leistungsunabhängig gezahlt. Anders als Hausärzte müssen Fachärzte aber nur einen Medikationsplan erstellen, wenn der Versicherte keinen Hausarzt hat. Hingegen sind Hausärzte grundsätzlich dazu verpflichtet. Aus Versorgungssicht ist es zwar richtig, dass der Hausarzt, bei dem idealerweise alle Informationen zusammenfließen sollen, diese Aufgabe übernimmt. Es stellt sich aber die Frage: Warum wird dies dann bei der Honorarsystematik nicht berücksichtigt? Schließlich wurde laut Feldmann kalkuliert, dass 60 Prozent des Hono- rars an Hausärzte und 40 Prozent an Fachärzte fließt.

Ein Wermutstropfen für manche Ärzte: Um den Medikationsplan ausstellen zu können, müssen Ärzte ihre Praxissoftware aktualisieren. Während einige Hersteller dies kostenlos anbieten, lassen andere sich die neue Anwendung gut von den Ärzten bezahlen. Der Hausärztetag fordert daher in einem Beschluss (s. S. 28), dass “alle Softwarehäuser den Medikationsplan ohne Mehrkosten zur Verfügung stellen” sollen. Bis 31. März 2017 können Ärzte übergangsweise auch noch die alten Pläne nutzen. Ab 1. April ist dann aber der bundeseinheitliche neue Plan Pflicht.

“Haftung ist ausgeschlossen”

Dr. Oliver Funken aus Nordrhein gab zu bedenken, dass Hausärzte mit dem Plan einen schriftlichen Beweis lieferten, dass sie alle Arzneimittel des Patienten kennen und geprüft haben. Dies könne Hausärzten in Sachen Haftung zum Verhängnis werden. Diese Befürchtung konnte Feldmann aber ausräumen. “Die Haftung ist ausgeschlossen”, antwortete sie. Wenn Patienten oder mitbehandelnde Ärzte nicht über alle Arzneimittel Auskunft gäben, könnten Hausärzte dafür auch nicht haftbar gemacht werden. Dies habe der Gesetzgeber ebenso gesehen. Prüfungen zur Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) seien erst der nächste Schritt, kündigte sie an. Noch bis 2019 würde diese Stufe erarbeitet. Der Medikationsplan samt AMTS-Prüfung setze für Ärzte in der Praxis voraus, dass es eine unterstützende Software gebe.

Die Diskussion um den Medikationsplan zeigte einmal mehr auf, gegen welche Widerstände Hausärzte innerhalb des Systems der Selbstverwaltung kämpfen. In der Verhandlungsrunde säßen acht Fachärzte und vier Hausärzte, berichtete Feldmann, “da stehen Sie mal auf”, um ihre Forderungen durchzuboxen. Hausarzt Markus Beyer brachte es auf den Punkt: “Wir müssen Ihnen danken Frau Feldmann, dass sie diesen Morast aufgedeckt haben”, sagte er mit Blick auf die Ungereimtheiten um Ex-KBV-Chef Köhler. Die Diskussion habe aber verdeutlicht, “eine Zukunft für Hausärzte ist nur ohne Add-on-Verträge möglich, wenn die Mehrheitsverhältnisse so bleiben.”

“Die HÄVG gehört den Hausärzten allein”

Das hatte auch Weigeldt in seiner Rede unterstrichen. “Die HÄVG gehört den Hausärzten allein, bei den KVen wird dies nie der Fall sein. Damit leben nur wir das Prinzip: Von Hausärzten für Hausärzte!” Der Verband sei damals 1960 entstanden, um den niedergelassenen Fachärzten eine schlagkräftige Interessenvertretung der Hausärzte entgegenzusetzen (s. S. 32). Schon 1960 habe es viele gegeben, die “von außen mit sektoralem Blick glauben, die hausärztlichen Leistungen beurteilen zu können.” Damit spielte Weigeldt auf die jüngsten Bestrebungen an, die Abrechnung von geriatrischen und palliativmedizinischen Leistungen für Hausärzte an spezielle Fortbildungen zu knüpfen. “Es muss aufhören, dass uns ständig neu erfundene Fachgebiete die Kompetenz zur umfassenden Betreuung unserer Patienten absprechen.” Dem pflichtete Feldmann bei: “Wir müssen selbstbewusst auftreten: Wir sind Hausärzte und müssen keine Zusatzqualifikationen machen.”

HZV-Bonus für Versicherte

Als großen Erfolg wertete Weigeldt die Entwicklung der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV), auch wenn einem mitunter die Umsetzung etwas langsam vorkomme, “wir sind ja bei der Etablierung meist nicht mit Rückenwind gesegnet”. Aber er sei überzeugt, dass man weiter vorankommen werde. Mit der HZV hätten die Hausärzte ein funktionsfähiges Konzept der Patientenkoordinierung, das auch aktuelle Fragen nach der hohen Zahl unkoordinierter Arzt-Patienten-Kontakte oder die Qualitäts- und Kostenfrage bei vermeidbaren Klinikeinweisungen beantworte. Heftig kritisierte Weigeldt die Blockade mancher Softwarehersteller: “Die Grenze des Erträglichen ist überschritten. Es kann nicht angehen, dass das Recht der Versicherten auf die HZV, dem Geschäftsinteresse von EDV-Anbietern untergeordnet ist.”

Künftig sollen Versicherte nicht nur gesundheitlich, sondern auch finanziell von der HZV profitieren, schlägt der Hausärzteverband vor. Vorstellbar sei ein Bonus für HZV-Teilnehmer, sagte auch Eberhard Mehl im Video-Interview mit “Der Hausarzt”. In Baden-Württemberg hätten die AOK Baden-Württemberg und die BKK Bosch dies bereits freiwillig umgesetzt und gute Erfahrungen damit gemacht. So müssen AOK-Versicherte etwa nichts zu vielen rabattierten Arzneimitteln zuzahlen. “Die Zuzahlungsbefreiung hat den Charme, dass sie zielgenau die chronisch Kranken von Belastungen frei hält”, ergänzte Weigeldt.

Video

Zu viele Arztkontakte, Nachwuchssicherung oder HZV-Bonus: Zu diesen spannenden Themen nehmen Ulrich Weigeldt, Eberhard Mehl und Dr. Jana Husemann im Video-Interview Stellung. Anschauen unter: hausarzt.link/v42sA

Medikationsplan

Die KBV hat ein Informationsblatt zum Medikationsplan zusammengestellt – für Ärzte: http://hausarzt.link/OZ4AZ, für Patienten: http://hausarzt.link/GuRFp

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