Praxis WissenSicherheitskultur: No blame, no shame

Der Umgang mit Fehlern will gelernt sein, gerade in kleinen Praxisteams, bei denen schnell Einzelne an den Pranger geraten können. Eine Sicherheitskultur baut dabei vor allem auf dem Prinzip „no blame, no shame“ auf.

Öffentliches „Bloßstellen“ (to shame) und persönliche Schuldzuweisungen (to blame) eines Teammitglieds nach einem Fehler sind keine geeigneten Mittel, um die Sicherheitskultur in einem Team zu fördern, aus mindestens zwei Gründen:

  • Viele unerwünschte Ereignisse beruhen nicht auf dem individuellen Versagen oder der Schuld eines Einzelnen. Vielmehr spielt die Arbeitsorganisation, das Sicherheitsbewusstsein im Team und auch etwa der Ausbildungsstand eine wesentliche Rolle, für die der Einzelne nicht verantwortlich ist.
  • Persönliche Schuldzuweisung und Sanktionierung zerstört die Sicherheitskultur im Team, führt zu mangelnder Offenheit über Risiken und Sicherheitsprobleme und untergräbt das gegenseitige Vertrauen.

Im vorliegenden Fall berichtet – ungewöhnlich genug – eine Medizinstudentin von ihrem ersten Tag in der Famulatur. Sie beobachtet, dass eine Medizinische Fachangestellte (MFA) eine Lungenfunktionsprüfung nicht korrekt vornimmt, was ihr als vorher langjährige Medizinischtechnische Assistentin (MTA) sofort auffällt. Das Ergebnis ist ein falsch positiver Befund. Sie traut sich verständlicherweise nicht, am ersten Tag gleich die MFA zu kritisieren, aber überlegt, wie das Problem angegangen werden kann. Sie erklärt den MFA in einem vertraulichen Gespräch, worauf bei der Lungenfunktionsprüfung zu achten ist und versucht uberdies eine gemeinsame Fortbildung zu initiieren. Eine sehr gute Lösung.

Freilich stecken hinter der Frage nach personlicher Verantwortlichkeit, der Sanktionierung von “Schuldigen” und der Frage nach dem “Systemansatz” in der Patientensicherheit weitere, noch keineswegs ausdiskutierte Probleme. Dies wurde recht spektakular letztes Jahr deutlich in einer Podiumsdiskussion der US-amerikanischen National Patient Safety Foundation zwischen zwei Protagonisten der Patientensicherheit, Robert M. Wachter und Gregg S. Meyer.

Wachter, Klinikchef aus San Francisco, pladierte dafur, dass bei aller Berucksichtigung sanktionsfreier Sicherheitskultur im Einzelnen, in kleinen Teams letztlich bei wiederholten Zuwiderhandlungen und fehlender Vorbildfunktion doch personliche Verantwortlichkeit (und damit auch Sanktionen) greifen musste(n). Als Beispiel zitierte er Arzte, die beharrlich die Regeln zur Handhygiene verletzen. Andernfalls, und wenn sich zu oft auf das “System” berufen werde, gewinne organisierte Unverantwortlichkeit die Oberhand. Meyer, Gesundheitsmanager in Boston, setzte dem unter anderem entgegen: Wenn es nicht gelinge, den Belangen der Patientensicherheit in Organisationen Anerkennung zu verschaffen, seien individuelle Sanktionen auch nicht geeignet, eine Sicherheitskultur durchzusetzen.

Viele Teams, die sich darum kummern, wurden so frustriert. Denn Sanktionen fuhrten zu Kontrolle und Vertrauensverlust. Interessanterweise wurden vor, wahrend und nach der Debatte die Meinungen einiger Kongressteilnehmer erhoben:

  • Vor der Debatte waren fast 80 Prozent der Zuhorer Wachters Meinung.
  • Während der Debatte regten sich bei 36 Prozent Zweifel.
  • Am Ende standen aber wieder 78 Prozent zu Wachter.

Also ein Problem, das noch nicht ausdiskutiert ist.

Fur die Praxis muss man, das war in der Debatte unstrittig, personliche Verantwortlichkeit moglichst prazise definieren (wo sie am Platze ist). Und auch alle Teammitglieder motivieren, Verantwortung zu ubernehmen. Eine andere Frage ist es, welche Konsequenzen man dann aus der Verletzung solcher Verantwortlichkeiten zieht. Wie handhaben Sie das?

Fehlerbericht Nr. 800

Der jugendliche Patient hat berichtet, dass er in den letzten Tagen „schlechter Luft bekommen hat“. Da die Lunge beim Abhören frei war, ordnete der Arzt eine Lungenfunktionsuntersuchung an. Diese nahm eine MFA wie folgt im Nachbarraum vor: Der Patient saß auf einer Liege und sollte den Anweisungen auf dem Bildschirm folgen, welches er auch (äußerst demotiviert) tat. Das Ergebnis lag etwas unterhalb des Normwerts. Ich selbst hätte die Ergebnisse nicht freigegeben (ich war MTA der Funktionsdiagnostik mit langjähriger Erfahrung), wollte jedoch nicht an meinem ersten Famulaturtag direkt die Untersuchungstechniken des Praxisteams bemängeln.

Was war das Ergebnis?

Der Arzt hat sich die Kurve digital angesehen und dem Jugendlichen ein Beta-2-Sympathomimetikum zum Erweitern der Lunge mitgegeben.

Mögliche Gründe, die zu dem Ereignis geführt haben können?

Für mich war die Fehleranalyse sehr einfach: Die MFA hat die Untersuchung in der Ausbildung nicht gelernt und sich somit selbst aneignen müssen.

  • Der Patient muss aufrecht sitzen, damit ein vollständiges freies Atmen möglich wird.
  • Wichtig sind eine tiefe Inspiration und ZÜGIGE Exspiration, damit die richtigen Volumina und eine sinnvolle FEV1 gemessen werden können. Damit hätte der Jugendliche bei der Messung die Normwerte erreicht.

Welche Maßnahmen wurden aufgrund dieses Ereignisses getroffen oder planen Sie zu ergreifen?

Im Verlauf meiner Famulatur habe ich mir die jeweiligen MFA zum persönlichen Feedbackgespräch zur Seite genommen und ihnen die Relevanz der Untersuchungstechniken sowie die Tricks zum Animieren der Patienten erklärt. Das Ärzteteam wurde von mir ebenfalls informiert, eine gemeinsame Fortbildung haben wir bisher nicht hinbekommen. Der Arzt wollte das Thema jedoch noch im Teammeeting ansprechen.

Ausprobieren und berichten: www.jeder-fehler-zaehlt.de

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