Praxis WissenNeue Leitlinie zur Reanimation unter der Lupe

Im Notfall zählt jede Minute: Wird ein Patient in drei bis fünf Minuten frühdefibrilliert, liegt die Chance zu überleben bei 50 bis 70 Prozent, schreibt der European Resuscitation Council in der neuen Leitlinie zur Reanimation. Was ändert sich für Hausärzte?

2015 hat der European Resuscitation Council (ERC) die europäischen Leitlinien zur Versorgung von Patienten mit Kreislaufstillstand überarbeitet. Während zentrale Aussagen zum Ablauf einer Reanimation im Wesentlichen beibehalten wurden (s.u.), haben sich verglichen mit 2010 viele Bewertungen und Details geändert. Wie relevant ist das für uns Allgemeinärzte?

Bisher gibt es kaum Daten, wie häufig derartige Notfälle in der Hausarztpraxis vorkommen. Daher hat der Haus- und Notarzt Dr. Simon Sitter für den Bayerischen Hausärzteverband (BHÄV) die Indikationen bei Notarzteinsätzen in 425 ambulanten (Haus-)Arztpraxen Mittelfrankens (November 2011 bis Juni 2015) analysiert – mit erstaunlichem Ergebnis: Die „laufende Reanimation in der Arztpraxis“ lag im Häufigkeitsranking bei Notarzteinsätzen auf Platz 12. Grund genug für Hausärzte, sich mit den aktuellen Richtlinien zur Reanimation vertraut zu machen.

Die neue ERC-Leitlinie basiert auf dem „International Consensus on Cardiopulmonary Resuscitation and Emergency Cardiovascular Care Science with Treatment Recommendations“ des International Liaison Committee on Resuscitation (ILCOR, www.ilcor.org). Für Themen, die nicht im ILCOR 2015 enthalten sind, wurden aktuelle Veröffentlichungen gesichtet, bearbeitet und ergänzt. Der ERC empfiehlt bewusst nur wirklich wichtige, evidenzbasierte Neuerungen, „um Verunsicherung und Kosten gegenüber den Alt-Empfehlungen 2010 zu vermeiden“.

Neue Empfehlungen im Überblick

Der ERC betont die besondere Bedeutung der Interaktion des Leitstellendisponenten mit dem Notfallzeugen, der mit der Wiederbelebung beginnt. Genauso wichtig sei es, dass zeitnah ein Defibrillator zur Verfügung stehe. Die Indikation zum Reanimationsbeginn besteht bei nicht ansprechbarem, nicht (ausreichend) spontan atmendem Patienten. Abbildung 1 (im PDF) zeigt den Ablauf für Erwachsene und Kinder schematisch.

Erwachsene

Die bisher praktizierten Standardwiederbelebungsmaßnahmen Erwachsener werden weiterhin empfohlen: jeweils 30 Thoraxkompressionen, zwei Atemspenden mit Dauer je eine Sekunde folgen. Das Verhältnis von Herzdruckmassage zu Beatmung bleibt also 30:2. Die Drucktiefe der Thoraxkompressionen soll 5 bis 6 cm betragen und eine Frequenz mit 100-120 pro Minute beibehalten werden. Sie sollen nicht länger als zehn Sekunden unterbrochen werden. Die Wiederbelebungsmaßnahmen sollen unmittelbar nach Absetzen des Notrufes beginnen.

Durch Frühdefibrillation binnen drei bis fünf Minuten nach dem Kollaps können Überlebensraten von 50 bis 70 Prozent erreicht werden. Eine möglichst frühe Defibrillation ist also entscheidend, betont der ERC. Daher fordert das Gremium auch Public-Access-Programme an viel besuchten Orten, um den öffentlichen Zugang zu externen automatisierten Defibrillatoren (AED) zu verbessern. Ergänzend rät der ERC zu „hauseigenen AED“. Für Allgemeinmediziner bedeutet dies, dass in der Praxis ein entsprechendes Gerät vorgehalten werden sollte, damit die Erstversorgung im Notfall fachkundig erfolgen kann.

Einen weiteren Fokus legt der ERC auf die Anwendung selbst haftender Defibrillations-Pads. Sind diese nicht vorhanden, sollen Paddles benutzt werden. So könne der Herzrhythmus rascher beurteilt werden als mit EKG-Elektroden, heißt es als Grund.

Zum Atemwegsmanagement gibt es zahlreiche Methoden während der Reanimation. Die zu ergreifenden Maßnahmen der Atemwegssicherung hängen vom Patienten wie auch den Fertigkeiten des Helfers ab. Unverändert gelten die Empfehlungen zur medikamentösen Therapie während der Reanimation:

  • Generell wird bei der Reanimation 1mg Adrenalin i.v. alle drei bis fünf Minuten empfohlen.

  • Bei pulsloser VT/ Kammerflimmern nach der dritten Defibrillation 1 mg Adrenalin i. v. plus 300 mg Amiodaron i. v., Repetition 1 mg Adrenalin alle drei bis fünf Minuten.

Um die Qualität der Reanimation, die Lage des Endotrachealtubus zu überwachen, betont der ERC, graphische Kapnographie zu verwenden. So erhalte man auch frühzeitig einen Hinweis auf den Wiedereintritt eines Spontankreislaufes. Um reversible Ursachen eines Kreislaufstillstands festzustellen, kann ein Ultraschall eine Rolle spielen. Der ERC weist aber darauf hin, dass ausgiebiges Training nötig ist, um Ultraschall in die Reanimationsmaßnahmen einzubeziehen, wenn die Thoraxkompression möglichst wenig unterbrochen werden soll.

Nicht empfohlen wird es, mechanische Reanimationsgeräte routinemäßig einzusetzen. Extrakorporale lebensrettende Techniken (wie Koniotomie, Entlastungspunktion o.Ä.) können im Einzelfall als rettende Maßnahme eine Rolle spielen, wenn Standard-Maßnahmen des Advanced Life Support (ALS) nicht erfolgreich sind.

Kinder bis 14 Jahre

Auch für Kinder bis zu 14 Jahren können Laien die Wiederbelebungsmaßnahmen nach dem für Erwachsene beschriebenen Ablauf beginnen.

Anders bei qualifizierten Helfern wie Hausärzten: Sie sollen mit fünf initialen Beatmungen beginnen. Die Thoraxkompression soll mit einer Drucktiefe von mindestens einem Drittel der Brustkorbhöhe erfolgen – bei Kleinkindern 4 cm, bei Schulkindern 5 cm. Der veränderte Ablauf erhöht dem ERC zufolge die Chance einer Wiederbelebung. Die Dauer eines Atemhubes ist etwa eine Sekunde und entspricht damit dem Vorgehen bei Erwachsenen. Zur Kardioversion einer pulslosen VT bei Kindern wird als initiale Energiedosis 1J/kg/KG empfohlen.

Sind Ersthelfer auf sich allein gestellt, sollen sie bei Kindern sofort mit der Reanimation beginnen – und den Notruf erst nach einer Minute CPR absetzen. Grundsätzlich empfiehlt der ERC, reversible Ursachen für einen Kreislaufstillstand kritisch nach ERC-Kriterien 2015 „4 Hs“ und „HIT“ zu prüfen (s. Abb. 2 im PDF).

Fazit für die Praxis

Die endotracheale Intubation bleibt der Goldstandard zur Atemwegssicherung bei der Reanimation. Als Sekundärmaßnahme oder nach selbstkritischer Prüfung der eigenen Fertigkeiten sollten sich Ärzte und Praxispersonal mit Möglichkeiten supraglottischer Atemwegssicherung (z.B. dem Larynxtubus) vertraut machen.

Aus der ERC-Forderung „hauseigener AED“ und der evidenzbasierten Effektivität der Frühdefibrillation ergibt sich, dass das Vorhalten eines entsprechenden Gerätes möglichst mit selbsthaftenden Elektrodenpads unabdingbar für eine fachkundige Erstversorgung in der (Haus-) Arztpraxis ist (s. Kasten im PDF).

Die Studienlage zu medizinischen Notfallteams und der damit korrelierende Häufigkeitsrückgang innerklinischer Kreislaufstillstände und Mortalität sprechen für eine regelmäßige Notfall-Schulung auch von ambulanten Praxisinhabern und ihrem Team.

Reanimation: Was bleibt?

Nach wie vor gilt der Grundsatz: fest und schnell drücken, ohne Pausen, beatmen wenn möglich auch durch Laien, frühe Defibrillation; Kinder im Zweifelsfall reanimieren wie Erwachsene. Die ausführlichen Leitlinien nebst kostenfrei downloadbaren Algorithmen und Postern finden sich auf der Website des Deutschen Rat für Reanimation: www.grc-org.de

Abb. 1: Standard Wiederbelebungsmaßnahmen

Erwachsene 30:2

  • Thoraxkompression im Vordergrund

  • Baldmöglichst supraglottische Atemwegshilfe, wenn endotracheale Intubation nicht sicher beherrscht wird, dann kontinuierlich Drücken / Beatmen

  • falls i. v. Zugang nicht möglich per os oder intraossär: Adrenalin: 1 mg alle 3 – 5 min Amiodaron [Cordarex] 300 mg Repetition 150 mg bei defibrillierbarem Rhythmus

Kind (bis 14 Jahre) 15:2

  • Beatmung im Vordergrund – Sicherung Atemwege supraglottisch (Larynxtubus/-maske) dann permanent [Frequenz / Tidalvolumen altersabhängig]

  • bis Beatmung steht 15:2 Kompression nach initial 5 × Atemspende

  • nach 3 × erfolgloser Defibrillation / bei Asystolie / pulsloser elektrodermaler Aktivität mgl. bald: Adrenalin: 0,01 mg / kg KG alle 3 – 5 min Amiodaron: 5 mg / kg KG Repetition nach 2 weiteren erfolglosen Defibrillationen

Auswahl eines AED

Wer ein AED für die Praxis anschaffen will, sollte dabei auch auf die Folgekosten achten, etwa: Langzeitbatterie (Standby-Dauer und Kosten für den Austausch), die Haltbarkeit der Elektroden und deren Austauschkosten. Ist eine Sicherheitstechnische Kontrolle (STK) nötig und wenn ja, in welchem Intervall? Schreiben Hersteller eine STK weder vor oder schließen sie aus, sind AED nach der Medizinprodukte-Betreiberverordnung mindestens alle zwei Jahre einer STK und Kontrolle der Messfunktionen zu unterziehen. Zudem kann es in der Praxis hilfreich sein, wenn die Geräte mit anderen Geräten (etwa des örtlichen Rettungsdienstes) kompatibel sind.

Auf den Seiten 36–37 im PDF zeigt die Hausarzt-Redaktion eine Auswahl an halbautomatischen AED: Folgende Merkmale sind allen vorgestellten Geräten gemeinsam: selbstständige Analyse, ob ein Schock erforderlich ist; Schock muss aktiv ausgelöst werden, dabei wird die Intensität an Erwachsene oder Kinder angepasst; biphasische Schockabgabe.

Es handelt sich nur um eine Auswahl, weitere Anbieter listet zum Beispiel die DGUV auf. Die meisten Hersteller bieten neben Halbautomaten auch vollautomatische AED oder weiter spezialisierte Varianten an. Der Vergleich basiert auf Angaben der Hersteller.

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