Praxis WissenMit der Ampel gegen die Angst

Hausärzte sind oft die ersten Ansprechpartner von Patienten mit Angststörungen. Für viele bleiben sie sogar die einzigen Behandler. Die Uni Jena hat jetzt speziell für die Hausarztpraxis ein verhaltenstherapeutisches Kurzprogramm entwickelt, das sich in der "PARADIES-Studie" bereits bewährt hat.

Vier bis sieben Prozent der Patienten in Hausarztpraxen leiden unter einer Angst- oder Panikstörung. Angstpatienten nehmen hausärztliche Behandlungen drei- bis viermal häufiger in Anspruch als Patienten mit anderen Erkrankungen. Doch erhalten die meisten Betroffenen nie eine fachspezifische Therapie. Ein Mangel ist besonders in der ambulanten Versorgung zu verzeichnen.

“Für die meisten bleibt der Hausarzt der einzige Behandler”, sagt Prof. Jochen Gensichen, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Jena (UKJ). Er und seine Mitar-beiter entwickelten ein Programm, womit Hausärzte Angstpatienten frühzeitig und effektiv versorgen können. In 2012 startete ihre vom Ministerium für Bildung und Forschung unterstützte Studie “Jena-PARADIES” (Patient Activation foR Anxiety DIsordErS), die kürzlich abgeschlossen und im Juni in Berlin erstmals vorgestellt wurde.

Expositionsübungen gegen die Angst

In der Studie hatten 419 Patienten mit Angst- und Panikstörungen in 73 randomisierten Hausarztpraxen entweder das für Hausärzte entwickelte verhaltenstherapeutische Kurzprogramm “Jena-PARADIES” oder eine Standardversorgung erhalten.

Nach zwölf Monaten hatte die Angst der Patienten der Interventionsgruppe signifikant stärker abgenommen als die Standardversorgter (Unterschied 0,37). Die mittleren Verbesserungen im Beck Angst-Inventar nach sechs und zwölf Monaten betrugen bei standardversorgten Patienten der Kontrollgruppe -5,4 und -6,1 Punkte. Patienten mit Intervention schnitten mit -8,4 und -10,2 deutlich besser ab.

Auch sekundäre Zielgrößen wie Depressivität, agoraphobisches Vermeidungsverhalten sowie selbst beurteilter eigener Gesundheitszustand waren signifikant verbessert. Zudem fiel eine die Studie begleitende Kosten-Nutzen-Bewertung des Übungsprogramms von Gesundheitsökonomen des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf positiv aus.

Die eingesetzte evidenzbasierte Intervention ist ein praxis-team-unterstütztes, kognitiv-verhaltenstherapeutisch ausgerichtetes Expositionstraining. Ziel der vier bis sechs Monate dauernden vierstufigen Behandlung ist die Angstabnahme durch allmähliche Gewöhnung an Reize (Abb.1).

Nachdem der Hausarzt auslösende Ängste und die damit verbundenen körperlichen Reaktionen wie Palpitationen, Schweißausbrüche, Tremor oder Atembeschwerden erfasst hat, können diese simuliert oder provoziert werden. Dies ist zum Beispiel bei Atembeschwerden oder Erstickungsgefühlen mit bewusster Hyperventilation oder etwa dem Atmen durch Strohhalme unterschiedlicher Durchmesser möglich. Auf diese Art lernt der Patient in ärztlicher Begleitung, dass auftretende Beschwerden auch wieder nachlassen, er keinen Schaden nimmt und seine Angst übertrieben war. Das neu erlernte Verhalten und die neuen Erfahrungen übertragen sich schließlich in den Alltag des Patienten.

Arzt, Team, Patient: Starkes Therapie-Trio

Für die Studie wurde das gut zu handhabende Diagnose- und Therapiewerkzeug “JAMoL” (Jena-Anxiety-Monitoring-List) entwickelt. Während der Hausarzt vier geplante checklistengestützte Gespräche führt, übernehmen die MFA nach einem ersten persönlichen Kontakt das telefonische Monitoring des Patienten (Abb.2).

In den vier Arztgesprächen ist ein schrittweises Vorgehen angedacht. Dieses besteht aus

  • Aufklärungsgespräch
  • Durchführung und Vereinbarung von Körperübungen wie der Hyperventilation, Vereinbarung von Situationsübungen
  • Besprechen von Lernerfolgen sowie
  • einer Rückfallprophylaxe.

Die MFA sind erste Ansprechpartner für den Patienten und motivieren ihn, sie beobachten und dokumentieren den Symptom- und Behandlungsverlauf mit dem Fragebogen “JAMoL” in zehn Telefonaten und schließen sich mit dem Arzt kurz.

Ein einfaches Ampelschema erleichtert die klinische Interpretation der Patienteninformationen im Behandlungsverlauf. So lassen sich zuverlässig Handlungsanweisungen für die MFA und Empfehlungen für das weitere Vorgehen des Arztes ableiten. Ein Frage- und Antwortbeispiel etwa lautet: “In einer Situationsübung müssen Sie so lange abwarten, bis die Angst von alleine wieder abgenommen hat (Anm.: Auf der Skala auf Zwei fällt) – Ist ihnen das gelungen?” Die Antwort “Ja” ist Grün gekennzeichnet: Dieser Wert ist also unbedenklich und damit kein unmittelbarer Bericht an den Arzt nötig. Die Behandlung kann wie geplant fortgesetzt werden. Die Antwort “Nein” (Rot) dagegen erfordert einen unmittelbaren Bericht an den Arzt. Jetzt ist ein zeitnaher zusätzlicher Patientenkontakt wichtig, in dem Arzt und Patient die Flucht aus der angstbesetzten, aber objektiv ungefährlichen Situation besprechen und den individuellen Behandlungsplan gegebenenfalls verändern oder erneuern. Die Farbe Gelb des Ampelschemas bedeutet tendenziell ungünstige Werte, die jedoch keinen unmittelbaren ärztlichen Kontakt erfordern. Die Werte sollten weiter beobachtet und der Patient beim nächsten Arztgespräch darauf angesprochen werden.

Kurzintervention wirkt nachhaltig

Vor der Intervention erhalten beteiligte Praxisteams Informationen und ein dreistündiges Interventionstraining. Unterstützend wirken Behandlungsmanuale für Interventions-Praxisteams und ein Übungsbuch für Patienten. Das Kurzprogramm eignet sich besonders für Patienten mit leichten und mittelschweren Angststörungen, die sich leitliniengerecht ambulant behandeln lassen.

Hausärztin Dr. Brigitte Klein-Grünert aus dem Kreis Hof zeigt sich überzeugt: “Die Behandlung ist nachhaltig und die meisten Patienten benötigen keine ärztliche Unterstützung mehr. Bei erneut auftretenden Problemen sind jetzt viele in der Lage, mithilfe der Übungen besser mit ihrer Angst umzugehen.” Sie und ihr Team haben an der Studie teilgenommen und zwölf Patienten betreut. Die Allgemeinmedizinerin ist im Ärztenetz “Unternehmung Gesundheit Hochfranken” (UGHO) aktiv und bemüht sich intensiv um eine angemessene Honorierung der Leistung. Erster Anlauf sind Gespräche und Verhandlungen mit der regionalen AOK.

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