Praxis WissenKindervorsorge: Das hat sich geändert

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat die Kinderrichtlinien und damit das gelbe Heft zur Kindervorsorge überarbeitet. Was ist neu? Was müssen Haus­ärzte wissen? Und welche Apparate müssen sie ­vorhalten?

Seit dem 1. Januar 2017 müssen Hausärzte das neue „gelbe Heft“ ­einsetzen, wenn sie die Kindervorsorgeuntersuchungen dokumentieren wollen. So hat es der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in den neuen Kinderrichtlinien geregelt, die im September 2016 in Kraft getreten sind. Was hat sich geändert?

Zunächst: Vieles ist gleich geblieben! Insbesondere der Charakter der Kindervorsorge als Screeninguntersuchung hat sich bewährt, wie die gründliche wissenschaftliche Neu-Bewertung der Vorsorgen durch den G-BA ergeben hat. Damit wurden Begehren aus bestimmten Kreisen in die Schranken verwiesen, eine sehr viel aufwändigere entwicklungsdiagnostische Untersuchung mit höheren Qualifikationshürden des abrechnenden Arztes zu verknüpfen.

Die größte Veränderung liegt im ­neuen Schwerpunkt des gelben Heftes: Die Beurteilung psychosozialer Entwicklungs­aspekte sowie der Eltern-Kind-Beziehung in den frühen Jahren nehmen einen großen Teil der Untersuchung in Anspruch. Damit bleiben die Kindervorsorgen auch eine Domäne des familienmedizinisch tätigen Allgemeinarztes. Denn sowohl die ­familienmedizinische Orientierung als auch die ­erworbenen Kenntnisse in der Psychosomatik in der Facharztausbildung qualifizieren den Allgemeinmediziner gerade in diesen Bereichen der Entwicklungsüberprüfung. Eine weitere Veränderung ist die Überprüfung des Sehvermögens ab der U7a und des Hörvermögens ab der U8.

Elterninformation

Vor jeder Untersuchung steht im neuen gelben Heft eine Seite „Elterninformation“, die die Eltern ausführlich über die jeweilige Untersuchung und ihre Inhalte aufklärt. Ein freies Textfeld ermöglicht ihnen, Fragen oder Anregungen festzuhalten, die bei der Untersuchung zur Sprache kommen sollen.

Die innere Umschlagseite des Hefts enthält die Teilnahmekarte, auf der Ärzte die jeweilige Untersuchung dokumentieren. Die Karte können Eltern bei Kindergärten, Schulen und Ämtern als Teilnahmebestätigung vorlegen, ohne dabei persönliche Daten zu offenbaren.

Eltern-Kind-Interaktion

Die Vorsorgen U3 bis U6 sehen vor, dass der Arzt die Eltern-Kind-Interaktion beurteilt. Dafür gibt es ­vorformulierte Beschreibungen einer normalen Eltern-­Kind-Interaktion (Tab 1). Problematische Interaktionsmuster können nur im Feld „Hinweise auf Auffälligkeiten“ dokumentiert werden. Im Wesentlichen geht es darum, Stimmung, Kommunikations- und Regulationsmöglichkeiten des Kindes im Kontakt mit seiner primären Bezugsperson einzuschätzen. Bei Auffälligkeiten sollen Eltern beraten und Hilfen angeboten werden.

Entwicklungsüberprüfung mittels „Grenzsteinen“

Die Überprüfung der altersentsprechenden Entwicklung findet in folgenden Bereichen statt: Grobmotorik, Feinmotorik, Sprache (ab U5), Perzeption/Kognition, Soziale/emotionale Kompetenz und Interaktion/­Kommunikation (ab U7). Zur Prüfung gibt das Heft Items („Grenzsteine“) vor, die 90-95 Prozent der Kinder der Altersgruppe als Entwicklungsziel bewältigen. Die Auswahl der Items stößt nicht überall auf Zustimmung. Jedoch sind sie als Teil ­eines Screenings einfach zu beurteilen und aussagekräftig hinsichtlich einer Einschätzung von Entwicklungsverzögerungen. Für die „Feinmotorik“ müssen Kinder verschiedenen Alters zum Beispiel folgende Items bewältigen:

  • U7: Malt flache Spirale. Kann eingewickelte Bonbons oder andere ­kleine Gegenstände auswickeln oder auspacken.
  • U7a: Präziser Dreifinger-­Spitzgriff (Daumen, Zeige-Mittelfinger) zur ­Manipulation auch sehr kleiner ­Gegenstände möglich.
  • U8: Mal-Zeichenstift wird richtig zwischen den ersten drei Fingern gehalten. Zeichnet geschlossene Kreise.
  • U9: Nachmalen eines Kreises, Quadrates, Dreiecks möglich. Stifthaltung wie ein Erwachsener. Kann mit einer Kinderschere an einer geraden Linie entlang schneiden.

Nur bei Auffälligkeiten, also Abweich­ungen von den Grenzsteinen, müssen Ärzte das jeweilige Item ankreuzen.

Elternberatung

Am Ende jeder Untersuchung listet das Heft Themen auf, zu denen Ärzte die Eltern beraten sollen. Verpflichtend sind die Impfberatung (ab U3) und die Beratung zur zahnärztlichen Früherkennung (ab U7a). Die anderen betreffen Medienkonsum, Ernährung, Unfallverhütung – alles Themen, die vorher schon zu vernünftig durchgeführten Vorsorgeuntersuchungen gehörten.

Neugeborenenscreening

Zum Neugeborenenscreening gehört jetzt auch das Screening auf Mukoviszidose. Da dieses in der Regel die Geburtsklinik übernimmt, müssen Hausärzte bei U2 oder U3 prüfen, ob das ­Screening stattgefunden hat. Falls nicht, müssen die Eltern in der Praxis ausführlich beraten werden (humangenetische Untersuchung!) – danach muss das Mukoviszidose-Screening in der Praxis bis zum 28. Lebenstag des Kindes erfolgen. Nötig sind dazu: Blutentnahme kapillar oder venös sowie Filterpapier ähnlich wie beim bekannten Neugeborenenscreening.

Stuhlfarbenkarte

Bei der U2, U3 und U4 wird den Eltern eine Stuhlfarbenkarte vorgelegt, mit der sie die Farbe des Stuhls ihres ­Kindes ­beschreiben sollen. Damit soll eine angeborene Gallengangatresie ausgeschlossen werden, deren erstes Symptom in der Regel der entfärbte Stuhl ist. Die Karte kann auf der Website http://hausarzt.link/TvnhQ bestellt oder bei der ÄK Niedersachsen heruntergeladen werden.

Brückner-Test

Neu ist die Pflicht zur ophthalmoskopischen Untersuchung bereits ab der U2. Dabei geht es bei der U2 und U3 lediglich um eine Transillumination aus etwa zehn bis 30 cm Entfernung, um eine angeborene Katarakt abzuklären. Bei der U4 bis U7 muss der „echte“ Brückner-Test aus drei bis vier Metern Entfernung erfolgen. Er weist auf möglichen Strabismus oder Fehlsichtigkeit hin. Dieser Test ist einfach zu lernen und nur ein Screening-Test. Jede Auffälligkeit muss der Augenarzt abklären. Eine Beschreibung des Brückner-Tests liefert ein Artikel im Deutschen Ärzteblatt aus 2007.

Sehtest

Ab der U7a müssen Ärzte bei jeder Vorsorgeuntersuchung einen Seh- sowie einen Stereotest vornehmen. Für Drei- bis Fünfjährige sind spezielle Tests entwickelt worden, die Hausärzte nach ­einer gewissen Übung problemlos in den Praxen einsetzen können und keine hohen Kosten verursachen (zum Beispiel LEA-Sehtest, Stereotest nach LANG).

Hörtest

Bei der U8 ist nun ein Hörtest erforder-lich mittels eines Audiometers mit mindestens fünf Prüffrequenzen.

Aufbau des neuen Vorsorgehefts

  • neu: Elterninformation
  • Anamnese
  • neu: Orientierende Beurteilung der Entwicklung nach dem Grenzsteinprinzip
  • neu: Beurteilung der Interaktion zwischen Eltern und Kind (U3-U6)
  • Körperliche Untersuchungsbefunde (wie vorher nur Auffälligkeiten ankreuzen)
  • neu: Beratung zu vorgegebenen Themen
  • Ergebnisse einschl. Körpermaße
  • neu: Teilnahmekarte

Übergangsregelung

  • Seit dem 1.9.2016 sollten alle Kinder in den Geburtskliniken mit dem neuen Vorsorgeheft versorgt werden.
  • Bis zur U6 erhalten alle Kinder bei der znächsten Vorsorge ein neues Untersuchungsheft. Die Befunde aus dem alten Heft werden nicht in das neue Heft übertragen.
  • Ab der U7 sind die Untersuchungen auf Einlegeblättern im alten Heft zu dokumentieren (Einlegeblätter sollen bei der regionalen KV zu erhalten sein).

Abrechnung

Die Abrechnung der Kindervorsorgeuntersuchungen erfolgt ab dem 1.1.2017 weiterhin mit den bekannten Ziffern (01712-01719 plus die 01723). Diese werden jetzt allerdings anders bewertet: statt wie bisher 308 Punkte (32,14 Euro) erzielt die Durchführung der Kindervorsorgeuntersuchung nun 401 Punkte(42,23 Euro). Hinzu kommt die Ziffer 01709 (5,27 ­Euro) für die Beratung zur und Durchführung des Mukoviszidose-Screenings für den Fall, dass es in der Geburtsklinik noch nicht erfolgt ist.

Apparative Ausstattung

Für die Kindervorsorgeuntersuchungen benötigen Hausarztpraxen:

  • Babywaage
  • Wärmelampe über Untersuchungstisch
  • Stuhlfarben-Karte neu (U2-U4)
  • Ophthalmoskop neu (U2-U7)
  • Audiometer (mind. Prüffrequenzen) neu (U8)
  • Sehtest für Kinder ab drei Jahren (etwa LEA-Sehtest) (U7a-U9)
  • Stereotest zum Beispiel nach Lang (vorher ab U9, jetzt ab U7a)

Fazit

  • Die neuen Vorgaben für die Kindervorsorgeuntersuchungen tragen dem Umstand Rechnung, dass neue Erkrankungen aus dem psychosozialen Bereich heute die Entwicklung von Kindern in zunehmendem Maße gefährden. Gleichzeitig wurde bei der Entwicklung der neuen Richtlinien das Prinzip erhalten, nach dem die Kindervorsorgeuntersuchung eine Screening-Untersuchung ist und keine umfangreiche Entwicklungsdiagnostik beinhaltet.
  • Möglichst flächendeckend sollen alle Kinder in den verschiedenen Altersgruppen auf Entwicklungsauffälligkeiten untersucht und ggf. weitere Diagnostik und Therapie veranlasst werden.
  • Das neue gelbe Heft dient nicht nur der Dokumentation, sondern auch zur Aufklärung der Eltern. Es beinhaltet darüber hinaus eine Teilnahmekarte, die etwa bei der Kita, Schule oder anderen Behörden die durchgeführten Vorsorgeuntersuchungen nachweist.
  • In diesem Sinne hat sich an der Durchführung von Kindervorsorgeuntersuchungen nicht viel geändert. Sie kann von Kinder- und Allgemeinärzten erfolgen. Familienmedizinisch tätige Hausärzte sollen und dürfen sich weiter wie bisher an der medizinischen Betreuung von Kindern beteiligen.

Lisa Degener, Fachärztin für Allgemeinmedizin, 2. Vorsitzende des Ausschusses Pädiatrische Versorgung im Deutschen Hausärzteverband (Kontakt über: dr.rolf.thelen@t-online.de)

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