Praxis WissenFühlen sich Landbewohner schlechter versorgt?

Auf dem Land werden Hausärzte immer knapper. Für Patienten bedeutet dies objektiv längere Wege und eine kleinere Auswahl an Ärzten. Aber fühlen sich Patienten in unterversorgten Regionen tatsächlich unterversorgt? Diese Frage hat die Technische Universität Dresden untersucht.

Bei der hausärztlichen Versorgung kommt es vor allem auf zwischenmenschliche Qualitäten an – gerade dort, wo Hausärzte rar werden. Dabei nehmen Patienten insbesondere den Mangel an Alternativen als ein Problem wahr. Das zeigt eine Studie der Technischen Universität Dresden, für die knapp 1.000 Patienten in verschiedenen städtischen und ländlichen Regionen Deutschlands befragt wurden.

Die wohnortnahe hausärztliche Versorgung ist meist die erste Anlaufstelle für Patienten und damit die Basis eines Gesundheitssystems. Internationale Studien [1, 2] belegen, dass eine ausgeprägte primärärztliche Versorgung mit besseren Gesundheitsoutcomes einhergeht, weil zum Beispiel Prävention und eine kontinuierliche Versorgung stärker forciert werden. Dem Sozialgesetzbuch zufolge müssen Ärzte wie Krankenkassen sicherstellen, dass die Bevölkerung bedarfsgerecht und gleichmäßig versorgt wird (Paragraf 70 Abs. 1 SGB V). Gerade in ländlichen Regionen wird das jedoch immer schwieriger. Trotz der vergleichsweise hohen Arztdichte Deutschlands verschärft sich seit Jahren die ungleiche Verteilung von Ärzten – zu Lasten strukturschwacher, ländlicher Regionen [3]. So findet im Durchschnitt nur jeder zweite niedergelassene Hausarzt noch einen Nachfolger, wie der Sachverständigenrat in seinem Gutachten von 2014 feststellt [4]. Doch wie nehmen Patienten das tatsächlich wahr?

Bislang wissen wir nur wenig darüber, wie Patienten die Versorgungssituation in ländlichen Regionen empfinden – ob sich Patienten auf dem Land also tatsächlich schlechter versorgt fühlen als in der Stadt oder nicht. Ebenso ist kaum bekannt, welche Erwartungen Patienten an die Versorgung auf dem Land stellen und ob sich diese womöglich regional unterscheiden. Die Studie der Technischen Universität Dresden bringt nun mehr Licht ins Dunkel, indem sie Patienten aus unterschiedlich gut versorgten städtischen und ländlichen Regionen befragte.

Mangelhafte Bedarfsplanung

Teilgenommen haben insgesamt 921 Frauen und Männer in acht Regionen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Darunter drei städti-sche Gebiete, deren Versorgungsgrad mit Hausärzten über dem Soll-Wert der Bedarfsplanung liegt, und sechs ländliche Regionen, in denen der hausärztliche Versorgungsgrad den Soll-Wert unterschreitet. Der Soll-Wert basiert auf historischen Verhältniszahlen zwischen Hausärzten und Einwohnern eines Planungsbereichs. Auch deswegen steht die Bedarfsplanung in Deutschland seit längerem in der Kritik.

Neben methodischen Defiziten bemängeln Wissenschaftler, dass der tatsächliche Versorgungsbedarf nur noch schlecht abgebildet wird und kaum Patientenbedürfnisse einfließen. Patientenvertreter haben zum Beispiel keine Mitsprachemöglichkeit. Patienten werden also überwiegend indirekt anhand der Variable Erreichbarkeit bei der Bedarfsplanung berücksichtigt. Doch eine bedarfsgerechte und gleichwertige Versorgung lässt sich nicht ausschließlich über den räumlichen Zugang definieren. Umso mehr, da für ländliche Regionen derzeit viele innovative Versorgungskonzepte entstehen, die die traditionelle hausärztliche Tätigkeit erheblich verändern werden.

In der internationalen Literatur wird das Konzept des Zugangs zur Versorgung schon lange breiter definiert als in Deutschland. Es umfasst neben der Erreichbarkeit von Versorgung auch organisatorische Aspekte (wie Sprechzeiten), die Verfügbarkeit notwendiger Leistungen, die finanzielle Erschwinglichkeit sowie die Akzeptanz durch die Patienten [5]. Was bedeutet das für deutsche Hausärzte? Daraus abgeleitet ist für die Zufriedenheit der Patienten mit der hausärztlichen Versorgung wichtig, inwieweit ihre Erwartungen zu

  • der Erreichbarkeit der Ärzte,

  • dem Leistungsumfang der Praxis,

  • Zwischenmenschlichem (wie Kommunikation und ein respektvoller Umgang) und

  • einer kontinuierlichen Versorgung erfüllt werden.

Gute Noten für Hausärzte

Insgesamt stellen die Befragten ihren Hausärzten ein gutes Zeugnis aus: Auf einer Likert-Skala, bei der 7 der maximalen Zustimmung entspricht, variieren die Werte der einzelnen Bereiche zwischen 4,6 und 5,77 (vgl. Abb. 1). Um die Gruppen „Stadt“ nd „Land“ vergleichen zu können, liegt der Analyse eine altersadjustierte Stichprobe von 592 Personen zugrunde. Die allgemeinmedizinische Versorgung wurde in verschiedene Attribute gegliedert: Versorgungskontinuität/-konzentration, Zwischenmenschliches, Leistungsumfang, Erschwinglichkeit der Leistungen, Erreichbarkeit der Praxis und schließlich die generelle Zufriedenheit mit der allgemeinmedizinischen Versorgung.

Einzeln betrachtet ergibt sich daher ein differenzierteres Bild: In ländlichen Regionen mit geringerer Hausarztdichte sind die Befragten generell etwas unzufriedener. Vor allem strukturelle Aspekte bewerten sie ignifikant schlechter als Stadtbewohner, dazu zählt die Erreichbarkeit der Hausarztpraxis und wie erschwinglich nicht von den gesetzlichen Kassen getragene Ausgaben für medizinische Leistungen und Medikamente sind. Hingegen sind beide Gruppen gleich zufrieden mit dem Leistungsumfang, also dem Spektrum gesundheitlicher Probleme, das ihr Hausarzt versorgt.

Ähnlich positiv nehmen Stadt- wie Landbewohner die langfristige Betreuung durch ihren Hausarzt wahr. Dabei wurde erfragt, ob die Patienten überwiegend einen Hausarzt in Anspruch nehmen und ob dieser über eine umfassende medizinische und psychoso-ziale Kenntnis des Patienten verfügt. Durchweg sehr positiv sehen beide Gruppen die zwischenmenschlichen Fähigkeiten der Hausärzte. So zählten dazu ein freundlich-fürsorgliches und respektvolles Verhalten des Hausarztes, aber auch kommunikative Fähigkeiten wie aufmerksames Zuhören, verständliche Erklärungen und Ratschläge. Ebenso fühlten sich die Patienten gleichermaßen gut von ihren Hausärzten in die Therapieentscheidung eingebunden.

Doch nicht jedes Attribut beeinflusst gleich stark, wie zufrieden Patienten generell mit der allgemeinmedizinischen Versorgung sind. Hierzu wurden die Antworten der Gruppen „Stadt“ und „Land“ mit einem Strukturgleichungsmodell analysiert. Demnach sind zwischenmenschliche Qualitäten der Hausärzte die wichtigsten Determinanten der Zufriedenheit mit der allgemeinmedizinischen Versorgung – besonders auf dem Land. Denn in der Land-Gruppe ist der Einfluss zwischenmenschlicher Aspekte auf die Zufriedenheit beinahe doppelt so hoch wie in der Stadt-Gruppe und damit der überragende Einflussfaktor. Für Stadtmenschen sind dagegen der Leistungsumfang einer Praxis und die Erreichbarkeit von ähnlich hoher Relevanz wie die zwischenmenschliche Komponente.

Der Leistungsumfang und die Erreichbarkeit der hausärztlichen Praxis sind gleichermaßen bedeutend für die Patientenzufriedenheit in Land und Stadt, obwohl diese strukturellen Aspekte in ländlichen Regionen objektiv weniger vorteilhaft sind.

Keinen signifikanten Einfluss konnte für das Finanzielle festgestellt werden, also die Erschwinglichkeit von Zahlungen für Leistungen und Medikamente aus eigener Tasche. Die Konzentration und Kontinuität der Versorgung beim Hausarzt beeinflusst bei Städtern nicht die Zufriedenheit. Bei den Landbewohnern wirkt sie sich hingegen sogar negativ aus.

Fazit

Zufriedenheit ist eine positive Einstellung, die sich bildet, wenn Erwartungen und Erfahrungen nicht zu weit voneinander abweichen. Landbewohner müssen größere strukturelle Barrieren überwinden, um hausärztlich versorgt zu werden, und diese Hürden nehmen sie auch wahr. Dennoch beeinflussen diese Faktoren die Zufriedenheit nicht mehr als bei Stadtbewohnern. Auch internationale Studien deuten darauf hin, dass Menschen in ländlichen Regionen ihre Erwartungen in gewissem Maße an die größeren strukturellen Einschränkungen anpassen [6, 7].

Eine starke Konzentration der Versorgung auf einen Arzt in ländlichen Regionen scheint hingegen die Zufriedenheut zu verschlechtern, was einem Mangel an Alternativen und dem schwierigeren Zugang zu spezialisierter Versorgung geschuldet sein kann. Denn gleichzeitig schätzen die Befragten die zwischenmenschlichen und kommunikativen Fähigkeiten ihres Hausarztes sehr, was sich wiederum auf die Zufriedenheit am meisten auswirkt.

Patienten scheinen also die strukturellen Aspekte hausärztlicher Versorgung von der Person des Hausarztes zu differenzieren. Auch frühere Studien fanden bereits den erheblichen Einfluss dieser zwischenmenschlichen Faktoren [8], die deutlich machen, welch existenzielle Bedeutung der lokale Hausarzt im sozialen Gefüge einer ländlichen Gemeinschaft einnimmt [9, 10].

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass bei der hausärztlichen Versorgung aus der Perspektive von Patienten zwischenmenschliche Faktoren die wichtigste Rolle spielen. Die stärkere Konzentration der Versorgung auf einen Arzt aus einem Mangel an Alternativen können Patienten negativ empfinden, auch wenn sie sich bei diesem gut aufgehoben fühlen. Dies sollte bei neuen Versorgungskonzepten berücksichtigt werden, die in ländlichen Regionen schon jetzt unumgänglich sind. Wie neue Modelle auf nicht-medizinische Erwartungen an Gesundheitsversorgung eingehen, wird beeinflussen, ob Patienten diese Modelle effektiv nutzen und ob sie diese positiv bewerten.

Literatur

    1. Starfield B., Shi L., & Macinko J. (2005). Contribution of primary care to health systems and health. Milbank quarterly, 83(3), 457-502
    1. Schoen C., Osborn R., Huynh P. T., & Doty M. (2004). Primary care and health system performance: adults’ experiences in five countries. Health Affairs, 23, W4
    1. Ozegowski S., & Sundmacher L. (2012). Wie „bedarfsgerecht “ist die Bedarfsplanung? Eine Analyse der regionalen Verteilung der vertragsärztlichen Versorgung. Gesundheitswesen, 74(10), 618-26
    1. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen: Gutachten 2014. Bedarfsgerechte Versorgung – Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche. http://www.svr-gesundheit.de/index.php?id=465
    1. Penchansky R., & Thomas J. W. (1981). The concept of access: definition and relationship to consumer satisfaction. Medical care, 19(2), 127-140
    1. Lamarche P. A., Pineault R., Haggerty J., Hamel M., Levesque, J.-F., & Gauthier, J. (2010). The experience of primary health care users: a rural-urban paradox. Canadian Journal of Rural Medicine : The Official Journal of the Society of Rural Physicians of Canada, 15(2), 61–66
    1. Macintyre S., Ellaway A., & Cummins S. (2002). Place effects on health: how can we conseptualise. operationalise and measure them? Social Science and Medicine, 55, 125–139
    1. Ward B., Humphreys J., McGrail M., Wakerman J., & Chisholm M. (2015). Which dimensions of access are most important when rural residents decide to visit a general practitioner for non-emergency care? Australian Health Review, 39 (2), 121-126
    1. Farmer J., Lauder W., Richards H., & Sharkey S. (2003). Dr. John has gone: Assessing health professionals’ contribution to remote rural community sustainability in the UK. Social Science and Medicine, 57(4), 673–686. http://doi.org/10.1016/S0277-9536(02)00410-0
    1. Farmer J., Hinds K., Richards H., & Godden D. (2005). Urban versus rural populations’ views of health care in Scotland. Journal of Health Services Research & Policy, 10(4), 212–219. http://doi.org/10.1258/135581905774414240
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