Praxis WissenFirst class Medizin für alle?

Durch medizinischen Fortschritt und demografischen Wandel zeichnet sich ab, dass künftig nicht alle gesetzlich Versicherten über medizinische Dienstleistungen jederzeit und in gewünschtem Umfang verfügen können. Aber wie soll der Zugang zu aufwändigen Diagnose-, Operationstechnologien und teuren Medikamenten geregelt werden? Eine Studie der Unis Bayreuth und Halle-Wittenberg gibt darauf eine Antwort.

Priorisierung ist für Ärzte wie Politiker ein rotes Tuch. Sind Patienten in jeder Situation gleich zu behandeln oder gibt es Kriterien, die neben medizinischen Indikatoren eine Bevorzugung rechtfertigen? Sollten sich wohlhabende Menschen einen besseren Zugang zur Gesundheitsversorgung leisten können? Über diese Fragen wird seit Jahren diskutiert – ohne zu wissen, wie es die Be -völkerung sieht. Die Studie von Dr. Christian Pfarr, Universität Bayreuth, und Prof. Marlies Ahlert, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, bringt nun Klarheit.

Jeder ist sich selbst der Nächste

Wie ist etwa zu verfahren, wenn zwei Herzpatienten aus medizinischer Sicht gleichermaßen dringend eine Herzoperation benö-tigen, aber nicht zur selben Zeit operiert werden können? Sollte bei der Entscheidung, wer zuerst operiert wird, ins Gewicht fallen, ob ein Patient raucht oder nicht, alt oder jung ist, Kinder hat oder nicht? Die Antworten der Befragten sind nicht selten durchaus eigennützig – je nachdem, was auf sie selbst zutrifft (s. Grafik auf S. 42). Angenommen, einer der zwei Herzpatienten ist Raucher, der andere Nichtraucher: Dann votieren 31 Prozent der befragen Nichtraucher dafür, dass der Nichtraucher zuerst eine Operation erhalten sollte; 68 Prozent von ihnen erklären hingegen, dass das Rauchverhalten kein Grund sei, einen der beiden Patienten zu bevorzugen. Von den befragten Rauchern aber halten 82 Prozent diesen Unterschied für irrelevant und deutlich weniger – nämlich nur 17 Prozent – meinen, dass der Nichtraucher früher operiert werden solle.

Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn über die beiden Patienten nicht mehr bekannt ist, als dass der eine 30 und der andere 70 Jahre alt ist. Von den Befragten, die jünger als 50 Jahre sind, wollen 45 Prozent den jüngeren Patienten bevorzugen. Nur etwas mehr als die Hälfte von ihnen (53 Prozent) halten das Alter der Patienten bei der Entscheidung für irrelevant. Bei den Befragten im Alter ab 50 Jahren steigt dieser Anteil auf 64 Prozent, während nur noch 35 Prozent dem jüngeren Patienten den Vorzug geben wollen. Weniger auffällig sind die Unterschiede, wenn die Befragten über die beiden Patienten lediglich wissen, dass der eine kleine Kinder hat und der andere nicht. Dieser Unterschied solle keine Rolle spielen, meinen 66 Prozent der Befragten mit Kindern und 71 Prozent der Kinderlosen. Dass der Patient mit kleinen Kindern zu bevorzugen sei, erklären 33 oder 29 Prozent. Dabei sind deutlich mehr Männer als Frauen der Meinung, der Patient mit Kindern solle vorrangig behandelt werden.

Grundsätzliche Skepsis gegenüber Priorisierung

Wenn es also um die Frage geht, welche Kriterien bei der Verteilung knapper medizinischer Dienstleistungen ins Gewicht fallen sollten, machen offenbar nicht wenige Menschen in Deutschland die eigene Einstellung davon abhängig, inwieweit sie selbst diese Kriterien erfüllen oder nicht. Besonders signifikant ist für die Autoren der Studie aber ein anderer Befund: „Bei einer vertieften Auswertung der Daten hat sich gezeigt, dass 38 Prozent der Befragten meinen, keines der drei Kriterien – Rauchgewohnheiten, Alter und zu versorgende Kinder – solle für die Gewährung einer möglichst frühzeitigen Herzoperation in Betracht gezogen werden. Demgegenüber sind nur neun Prozent der Meinung, dass jedes dieser Kriterien berücksichtigt werden sollte“, sagt Pfarr. „Die Verantwortlichen in der Politik, in medizinischen Einrichtungen und im Versicherungswesen sollten daher mit öffentlicher Ablehnung rechnen, wenn sie es eines Tages für geboten halten, Patienteneigenschaften zu definieren, an denen sich die Gewährung knapper medizinischer Dienstleistungen orientieren sollte.“

Bessere Versorgung für Wohlhabende unfair

Ist es fair, wenn sich Wohlhabende eine bessere gesundheitliche Versorgung leisten können? Die Studie unterteilte dazu die Gesamtheit der Befragten in fünf Einkommensgruppen. Ergebnis: In jeder Gruppe sind weit über 60 Prozent der Meinung, der einkommensabhängige Zugang zu einer besseren Gesundheitsversorgung sei unfair; insgesamt teilen 69 Prozent diese Auffassung. Der Anteil derjenigen, die diese Einkommensabhängigkeit zumindest in gewisser Hinsicht für fair halten, steigt zwar mit wachsendem Einkommen, liegt aber selbst in der Gruppe mit den höchsten Einkommen nur bei knapp 13 Prozent. „Bei genauerer Auswertung der Daten zeigt sich allerdings“, so Ahlert, „dass viel entscheidender ist, ob das eigene Vertrauen in das Gesundheitssystem stark ist und die Befragten selbst eine private zusätzliche Krankenversicherung abgeschlossen haben. Ist beides der Fall, wächst offenbar die Bereitschaft, einen einkommensabhängigen Zugang zu einer verbesserten Versorgung zumindest teilweise für fair zu halten.“

Die Studie stützt sich auf das International Social Survey Programme (ISSP). 2011 befasste sich das ISSP erstmals mit dem Umgang mit knappen Ressourcen im Gesundheitswesen. Rund 1.700 Deutsche beantworteten die Fragen. Pfarr: „Derartige Erhebungen sind unverzichtbar, um ein genaueres Bild zu gewinnen, welche Kriterien den Umgang mit knappen Ressourcen aus Sicht der Bevölkerung bestimmen sollten. Politische Entscheidungen zur Priorisierung sollten nicht über die Köpfe der Menschen hinweg getroffen werden.“

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