"Die Rauchenden Köpfe"Erste Hilfe zur KBV-Kodierunterstützung

Am 1. Januar ist in einigen Praxen die "Kodierhilfe" im PVS gestartet. Während einige Funktionen helfen, könnte sich die Sortierung der Dauerdiagnosen für manche zum Zeitfresser entpuppen.

Seit 1. Januar 2022 wurde in einigen Praxisverwaltungssystemen (PVS) die sogenannte “Kodierunterstützung” umgesetzt. Die Änderungen fasst folgender Kasten zusammen:

Diese ist dem Terminservice- und Versorgungsgesetz Spahn’scher Handschrift aus 2019 zu verdanken.

Mit dabei ist ein Relikt aus dem muffigen Keller der “Ambulanten Kodierrichtlinie” (AKR), das die Ärzteschaft in 2011 noch abgewendet hat: Die Sortierung der Dauerdiagnosen in “behandlungsrelevant” oder “anamnestisch”. Eine solche Unterscheidung ist meines Erachtens für Hausarztpraxen unsinnig und inmitten der Pandemie eine Zeitverschwendung.

Die Pflicht zur Dokumentation von Diagnosen fußt auf Paragraf 295 SGB V. Ebenso dort verankert: die neue “Kodierunterstützung”. Wie diese umgesetzt wird, hat die KBV-Vertreterversammlung im Benehmen mit Kassen- und Krankenhausvertretern beschlossen.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) macht Ärztinnen und Ärzten diese Diagnosen-Jonglage als optional und freiwillig schmackhaft (www.hausarzt.link/yL7iy). Leider sieht die Umsetzung durch einige PVS-Hersteller im Alltag anders aus: Hier lässt sich die Differenzierung der Diagnosen nicht abschalten.

Anamnestische Diagnosen eventuell nicht in Abrechnungsdatei

Problematisch ist aus meiner Erfahrung, dass anamnestische Dauerdiagnosen nicht in die Abrechnungsdatei gelangen, sie werden also nicht an die KV und die Kassen übermittelt. Vermutlich haben nahezu alle PVS-Hersteller schon 2011 zu Zeiten der AKR damit begonnen, diese Sortierung softwareseitig zu ermöglichen. Nur so lässt es sich für mich erklären, dass man jetzt auf diese Vorgänge zurückgreift und die Dauerdiagnosen vorsortiert – im Wesentlichen erfolgt dies nach dem Eingabedatum.

Dadurch kann es passieren, dass eine vor langer Zeit kodierte Herzinsuffizienz im Archiv der “anamnestischen” Dauerdiagnosen schlummert und dem Arzt damit die Verordnungsbegründung für die entsprechende Dauermedikation fehlt. Dies läuft einerseits dem Sinn der Kodierunterstützung zuwider, die die Qualität der Kodierung verbessern soll.

Andererseits birgt es – wenn man im manchmal turbulenten Praxisalltag nicht aufpasst – die Gefahr, schlimmstenfalls für eine Off-Label-Use-Verschreibung in Regress genommen zu werden, weil für die Verordnung des Medikaments keine entsprechende Indikation kodiert ist.

Ebenso können die im Archiv schlummernden Diagnosen dazu führen, dass vom Arzt unbemerkt die Abrechnungsvoraussetzungen für die Chronikerzuschläge im Kollektivvertrag sowie in Selektivverträgen (03220/1, HZV-Pauschale P3) wegfallen.

Mögliche Lösungen

Bisher haben noch nicht alle PVS-Anbieter die Kodierhilfe installiert, unter anderem fehlte bei Redaktionsschluss noch der Platzhirsch Compu Group Medical. Die Hersteller haben bis 30. Juni für die Umsetzung Zeit. Auf viele Praxen wird ein Mehraufwand an Bürokratie also erst noch zukommen.

Zu hoffen bleibt, dass die KBV jetzt noch das Problem erkennt und gegensteuert. Denkbar und für die Ärztinnen und Ärzte zeitsparender wäre doch eine automatische Prüfung durch die Software (siehe Punkt 9 unten).

Praxen, die bereits aktuell betroffen sind und einen höheren Aufwand spüren, sei ein möglichst pragmatischer Umgang mit der Kodierhilfe empfohlen, damit mehr Zeit für die wichtigen ärztlichen Aufgaben wie die Corona-Impfungen und die Versorgung der Patienten bleibt.

Ein Vorschlag:

  1. Überprüfen Sie, ob Ihre Software die “Kodierunterstützung” schon umsetzt. Falls nicht, kann es sein, dass Sie sich erst zum 1. Juli 2022 damit befassen müssen. Entrinnen können Sie ihr wohl nicht.
  2. Lesen Sie die Begleitschreiben zu den Quartalsupdates Ihres PVS. Sofern diese vorliegen, denn manche Hersteller müssen wohl noch die Wunden von Hackerangriffen lecken. Überprüfen Sie vor allem, wie die geforderte quartalsweise Wiederholung des Dauerdiagnosen-Checks. (s. www.hausarzt.link/ipbSe) umgesetzt ist.
  3. Je nach PVS können die neuen Kodierfunktionen viel Zeit kosten (s. Umfrage-Grafik im PDF). Dann schalten Sie diese soweit es geht in Ihrem PVS ab. Die verpflichtenden Regeln müssen Sie natürlich einhalten – sie sind im PVS aber auch nicht zu deaktivieren! Praxen, bei denen die Software die Funktion bereits bietet, müssen ab sofort mitspielen – zumindest beim richtigen Kodieren von abgelaufenem Infarkt, Schlaganfall, Diabetes mellitus und Bluthochdruckfolgen – denn alle anderen neuen Funktionen sind laut KBV freiwillig!
  4. Prüfen Sie, ob alle Dauerdiagnosen auf dem Abrechnungsdatenträger (“Krankenschein”) vorhanden sind. Dies ist leichter, wenn Sie zunächst die automatische Übernahme der Dauerdiagnosen auf den Abrechnungsdatenträger deaktivieren. Andernfalls ist es schwer festzustellen, welche Dauerdiagnosen fehlen.
  5. Stellen Sie, wo möglich, die Anwendung der Kodierregeln von “bei Eingabe” auf “bei Abrechnung” um. Bei der Konsultation oder beim Einlesen der Chipkarte öffnen sich sonst eine Menge Hinweisfenster, die im Praxisalltag erfahrungsgemäß aus Zeitmangel weggeklickt werden.
  6. Überprüfen Sie, wie Ihr PVS beispielsweise bei der Tagesliste, Plausibilitätskontrollen oder Abrechnungsvorbereitungen eine Sortierung der Dauerdiagnosen ermöglicht. Dazu bedarf es noch der Bereinigung des elektronischen Krankenblatts um die Diagnosen, die durch Überweisungen, AU und Heilmittelverordnungen automatisch auftauchen. Nach meiner Erfahrung können dafür pro Tag und 100 Patienten etwa ein bis zwei Stunden anfallen, das hängt aber auch von PVS und Ihrer Kodiererfahrung ab. Diese Zeit können Sie bei der Bearbeitung von Anfragen der Kassen zur Fortdauer einer AU, Versorgungs- oder Arbeitsamtsanfragen und gleichartig relevanten Dingen einsparen.
  7. Stellen Sie jemanden ab oder ein, der Ihre Patientenkartei durcharbeitet und ausnahmslos alle Dauerdiagnosen von “anamnestisch” auf “behandlungsrelevant” einstuft. Merke: Es gibt für Hausärzte keine nicht relevanten Dauerdiagnosen. Planen Sie auch dafür zusätzlich Zeit ein. Spätestens am Ende des Quartals – vor der Abrechnung – ist diese nötig. Für 1.000 Fälle haben ich und Kollegen etwa zwischen sechs und zwölf Stunden gebraucht, je nach Kodiererfahrung und Korrekturbedarf. Falls Sie wenig “Laufkundschaft” haben, könnten Sie danach die automatische Übernahme der Dauerdiagnosen auf den Abrechnungsdatenträger wieder aktivieren und damit den Aufwand bei den Tageslisten vermindern.
  8. Achten Sie besonders bei vorbereiteten Vertretungsfällen genauer als bisher darauf, dass zu den verordneten Medikamenten die entsprechenden Diagnosen kodiert sind. Beispiel: Das “internistische Polytrauma” mit kardiologischer Vorbehandlung beschert gern neben dem ARNI noch einen SGLT2-Hemmer! Das kann nach zwei Jahren Off-Label-Use wegen einer fehlenden Dauerdiagnose “Herzinsuffizienz” (I50.9 G reicht derzeit noch) einen Regress von fast 6.000 Euro verursachen (Quelle: ifapPraxisCenter3, Stand 15.12.2021).
  9. Informieren Sie neben Ihren Vertretern, etwa bei KV oder Hausärzteverband, auch Ihnen bekannte Kassenmitarbeiter über den Aufwand. Nur so entsteht ein Gesamtbild, das Handeln ermöglicht. Denn nicht zuletzt wirkt sich eine scheinbar geringere Morbidität (durch fehlende Kodes) negativ auf das ärztliche Gesamthonorar aus – ebenso wie auf den Risikostrukturausgleich der Kassen. Eine Schadensbegrenzung auf KV-Ebene wäre das Angebot einer quartalsübergreifenden Kontrolle der kodierten Dauerdiagnosen (“Sie haben in den drei Quartalen vor diesem eine “Arterielle Hypertonie, I10.90 G” kodiert, im aktuellen jedoch nicht), z. B. im Rahmen der in Hessen möglichen Probeabrechnung. Auf PVS-Ebene könnte eine Prüfung der ICD-Kodes gegen die verordneten Arzneien (anhand des ATC-Kodes, der Anatomisch-Therapeutisch-Chemischen Klassifikation des BfArM) helfen. Aber damit ist mittelfristig eher nicht zu rechnen.
  10. Oder Sie nehmen sich zu Beginn jeder Konsultation fünf Minuten Zeit und sortieren die Dauerdiagnosen vor den Augen Ihrer Patienten.
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