Praxis WissenAmbulant und stationär: bloß teure Doppelstruktur?

Ambulant vor stationär: Diesen Grundsatz im Gesundheitswesen hat der erste Hamburger Versorgungsforschungstag unter die Lupe genommen. Dabei räumten die Forscher mit einigen Mythen auf.

„Mehr ambulant statt stationär“ gehört seit Jahren zu den Forderungen von Politikern an das Gesundheitswesen. Die „Ambulantisierung“ hat längst Fahrt aufgenommen, in wenigen Regionen so rasant wie in Hamburg. Wie stark ist die Entwicklung tatsächlich? Warum gehen die Auslastungen in Kliniken nicht zurück, obwohl das ambulante Versorgungsangebot in Hamburg so gut ist?

Welche Rolle spielt der „Sogeffekt“ vom Ballungsraum auf das Umland? Mit solchen Fragen beschäftigte sich der erste Versorgungsforschungstag Hamburg. „Evidenz statt Vermutung“ hatten sich KV und ZI auf die Fahnen geschrieben – und tatsächlich konnten sie einige Vermutungen mit Fakten erhärten, aber auch mit Mythen aufräumen. So ist die These der vermeintlichen Überversorgung in der Metropole laut ZI-Geschäftsführer Dr. Dominik Graf von Stillfried nicht zu halten. Zwar verfügt Hamburg über ein überdurchschnittlich gutes Versorgungsangebot. Doch nach ZI-Daten kommt fast ein Drittel der in denPraxen und Kliniken versorgten Patienten nicht aus der Hansestadt, sondern aus den angrenzenden Bundesländern.

Besonders die Patienten aus Schleswig-Holstein profitieren von der hohen Versorgungsdichte in Hamburg. In Zahlen: 29 Prozent der Hamburger Praxispatienten kommen aus anderen Ländern, allein 15 Prozent aus Schleswig-Holstein und neun Prozent aus Niedersachsen. Von den Klinikpatienten kommen sogar 31 Prozent aus anderen Bundesländern, hier sind es 19 Prozent, die aus Schleswig-Holstein stammen.

Substitution erkennbar

Zurück zur angeblichen Überversorgung: Bereinigt man die Hamburger Versorgung um die Patienten aus dem Umland, liegen die stationären Kapazitäten je Einwohner in Hamburg 16 Prozent unter und die ambulanten fünf Prozent über dem bundesweiten Durchschnitt. Damit hat das ZI mit Daten erhärtet, was KV und Kliniken in der Hansestadt seit Jahren beobachtet hatten und was zum Teil auch schon in Verhandlungen eingeflossen war.

In der überdurchschnittlichen ambulanten und der unterdurchschnittlichen stationären Versorgungsdichte sieht von Stillfried einen Substitutionseffekt. „Wo viel ambulant passiert, erfolgt weniger stationär.“ Er sprach sich deshalb für Investitionen in Strukturen aus – Investitionen in den ambulanten Sektor helfen, unnötige Klinikeinweisungen zu vermeiden. Anders ausgedrückt: Die hohe Versorgungsdichte im ambulanten Bereich ist keineswegs eine teure Doppelstruktur, sondern trägt dazu bei, die stationären Kapazitäten effizienter einzusetzen.

Denn zu einem Patientenabfluss aus den Kliniken führt die hohe ambulante Versorgerdichte nicht. Die Kliniken erbringen vielmehr deutlich komplexere Eingriffe als in den meisten anderen Bundesländern. Nach Angaben von Dr. Claudia Brase, Geschäftsführerin der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft, weisen die Kliniken in der Hansestadt die größte Fallschwere bundesweit auf. Sie können sich auf diese schweren Fälle konzentrieren, weil die anderen Patienten in den Praxen behandelt werden. Wo diese ambulante Versorgung nicht im Hamburger Ausmaß vorhanden ist, müssen Kliniken auch weniger schwere Fälle behandeln.

Potenzial, stationäre Fälle zu vermeiden

Diese Form der "Ambulantisierung" ist also ein großer Pluspunkt für die Versorgung. Laut Prof. Jonas Schreyögg, Hamburg Center für Health Economics (HCHE) und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, zeigen mehrere Studien das Potenzial vertragsärztlicher Versorgung, um stationäre Fälle zu vermeiden. Er präsentierte eine Auswertung mit den schon realisierten und den potenziellen Einsparungen in diesem Bereich.

Danach vermeidet Hamburg bei ambulantsensitiven Krankenhausfällen (ASK; etwa chronische Herzinsuffizienz oder Diabetes mellitus) rund 30 Euro je Versichertem und hat noch Potenzial für rund fünf weitere Euro je Versichertem. Damit liegt die Hansestadt im Vergleich der Bundesländer an der Spitze. Schlusslicht ist das Saarland, das bislang praktisch keine Einsparungen realisiert und noch Potenzial für rund 20 Euro je Versichertem hat. Auffällig ist, dass die drei Stadtstaaten in diesem Vergleich neben Baden-Württemberg besonders gut abschneiden.

Dennoch gibt es auch in Hamburg noch Potenzial für Verbesserungen. In erster Linie betrifft dies Patienten, die sich ohne Einweisung in die Notaufnahmen begeben. „Wenn man das Versorgungssystem in Hamburg stärken will, ist das der Ansatzpunkt“, sagte von Stillfried. Möglich wäre dies aus Sicht von Prof. Leonie Sundmacher aus München durch eine Verbesserung der kontinuierlichen ambulanten Behandlung und durch eine bessere Erreichbarkeit. Mit anderen Worten: Wenn die niedergelassenen Ärzte ihre Sprechzeiten ausweiten, steigert dies die Effizienz im Gesundheitswesen.

Hier setzt das Vergütungssystem allerdings Grenzen. Die niedergelassenen Ärzte in Hamburg bekommen nur 81% ihrer erbrachten Leistungen in der Morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) honoriert und haben wenig Interesse, noch mehr unbezahlte Leistungen zu erbringen. Als Lösung empfahl Schreyögg eine Angleichung der Vergütungen zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor. Was aber können Regionen, in denen noch deutlich mehr Leistungen ambulant erbracht werden könnten, verbessern? Prof. Hendrik van den Bussche, Hamburger Institut für Allgemeinmedizin, riet zu besserer Kooperation, sowie etwa zu Leitlinien mit Behandlungspfaden, zu präventiven Maßnahmen wie Sturzprophylaxe und Immunisierung, zum Einsatz von Telemedizin und zu einem effektiveren Notdienst, um Klinikeinweisungen zu vermeiden.

Fazit

Zu der von KV-Vize und Hausarzt Dr. Stephan Hofmeister erhofften „Entemotionalisierung“ konnte der Hamburger Versorgungsforschungstag beitragen – und zugleich wichtige Argumente in der gesundheitspolitischen Diskussion unterstützen.

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