Lokale WundbehandlungEinsatz von Verbandmitteln – ausreichend, wirtschaftlich und gut?

Zur Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden sind derzeit über 6.000 Verbandmittel verfügbar. Dies erschwert es Verordnern und Anwendern, einen Überblick über die zur Verfügung stehenden Versorgungsoptionen zu behalten.

Die lokale Wundbehandlung chronischer Wunden ist nur im Zusammenhang mit einer sachgerechten Kausaltherapie erfolgversprechend. Daher ist es nicht hilfreich, bei stagnierender Wundheilung lediglich von einem Produkt auf ein anderes zu wechseln.

So steht zum Beispiel bei Dekubitus die Vermeidung von Druck, Reibung und Scherkräften im Vordergrund. Bei einem diabetischen Fußulkus ist neben einem gut eingestellten Diabetes ebenfalls eine Druckentlastung des betroffenen Fußes erforderlich.

Liegt eine arterielle Durchblutungsstörung vor, sind revaskularisierende Maßnahmen zu bedenken, und für die Abheilung eines Ulcus cruris venosum ist eine sachgerechte Kompressionstherapie notwendig. Die individuell angepasste Wundversorgung erfolgt erst im Anschluss unter Berücksichtigung dieser Aspekte.

Laut Wirtschaftlichkeitsgebot (§12 Sozialgesetzbuch (SGB) V) müssen Versorgungsmaßnahmen “ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein” und “dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.”

Rechtliche Grundlagen

Die Verbandmitteldefinition änderte sich im Jahr 2019 mit der Verabschiedung des Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV, §31 SGB V). Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) definiert und spezifiziert, welche Produkte als Verbandmittel im Sinne dieses Gesetzes gelten und weiterhin zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erstattungsfähig sind.

Am 20.08.2020 konkretisierte der G-BA den Begriff eines Verbandmittels in Abgrenzung zu sonstigen Produkten in der Wundbehandlung, die durch pharmakologische, immunologische und metabolische Wirkung einen aktiven Einfluss auf die Wundheilung nehmen und somit im Sinne des Gesetzes nicht mehr erstattungsfähig sind.

Als eindeutige Verbandmittel (Gruppe 1), also weiterhin erstattungsfähig, gelten Produkte, die ausschließlich Wunden bedecken, Wund-exsudat aufsaugen oder als individuell erstellte Verbände Körperteile stabilisieren, immobilisieren oder komprimieren.

Hierzu gehören: Binden (z. B. Mull-, Kurzzug-, Gips-, Idealbinden), Kompressen (z. B. Mull-, Vlies-, Saugkompressen), Pflaster (z. B. Fixier-, Heft-, Klammerpflaster, Wundschnellverbände), Mull-/Zellstofftupfer, Synthetik-/Verbandwatte sowie sonstige Produktgruppen (z. B. Mull-/Netz-/Schlauch-/Stütz-/Zellstoffverbände, postoperative Stütz-/Entlastungsverbände, Polstermaterial).

Zu den Verbandmitteln mit ergänzenden Eigenschaften (Gruppe 2), auch weiterhin erstattungsfähig, gehören

  • reinigende und feucht haltende Produkte, z. B. Alginate, Hydrofasern, Hydrogelkompressen, Hydrokolloidverbände, feinporige Polyurethanschaumverbände.
  • Produkte, die Gerüche binden, z. B. Verbandmittel mit Aktivkohle, Superabsorber-Verbände.
  • Antiadhäsiv wirkende Verbandmittel, z. B. Salbenkompressen/-tamponaden, silikonbeschichtete Wunddistanzgitter.
  • Wundexsudat bindende und antimikrobielle Produkte, z. B. DACC-beschichtet (hydrophobe Wundauflagen), Superabsorber-Verbände, Verbandmittel mit Aktivkohle, Verbandmittel mit antimikrobiellen Stoffen – ohne direkten Wundkontakt und ohne Abgabe der jeweiligen antimikrobiellen Stoffe in die Wunde.

Alle Produkte, die nicht in Gruppe 1 oder 2 gehören und die eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung in der Wunde entfalten, sind in der Gruppe 3, als sonstige Produkte zur Wundversorgung zusammengefasst und nach Ablauf einer Übergangsfrist bis zum 02.12.2023 nur noch mit einer gesonderten Zulassung zu Lasten der GKV erstattungsfähig.

Dies betrifft entsprechend der aktuellen Interpretation viele Verbandmittel, z. B. mit Silber, PHMB, Ibuprofen, alle Zubereitungen aus Stoffen, die in der Wunde keine feste Konsistenz annehmen (z. B. konservierte/unkonservierte Hydrogele in Gelform, Sprays), resorbierbare Produkte, (z. B. Kollagen, Hyaluronsäure) und spezielle Reinigungspads.

Eine genaue Liste wird derzeit erarbeitet. Die Hersteller können über ein Nutzenbewertungsverfahren die Erstattungsfähigkeit beantragen. Näheres unter: www.g-ba.de

Wirtschaftliche und medizinisch sinnvolle Wundversorgung

Die nachfolgend aufgeführten Vorgehensweisen bedeuten eine erhebliche Belastung des ärztlichen Budgets, ohne die Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden wesentlich zu verbessern.

1. Verbandwechselintervalle

Die Häufigkeit der Verbandwechsel orientiert sich z. B. an Wundheilungsphase, Wundzustand, Exsudation sowie den Herstellerangaben. Ein Einsatz moderner Wundauflagen ist im Regelfall nur gerechtfertigt, wenn diese nicht täglich gewechselt werden.

Tägliche Verbandwechsel sind allerdings bei infizierten Wunden, stark exsudierenden Wunden zu Beginn der Kompressionstherapie in der Entstauungsphase oder oft bei Malignom-assoziierten Wunden angebracht. Für Verbandmittel der modernen Wundversorgung sind 2 bis 7 Tage Standzeit erreichbar und gewollt. Es sollten regelhaft maximal drei Verbandwechsel pro Wunde und Woche durchgeführt werden.

2. Umfang der Verordnung

Eine Materialverordnung über vier Wochen hinaus ist nicht sinnvoll, um flexibel auf Veränderungen der Wundsituation reagieren zu können.

3. Anzahl der Produkte für einen Verbandwechsel

Es gibt primäre Wundverbände und ggf. Wundfüller, die einen direkten Kontakt zum Wundgrund haben und sekundäre Wundverbände, die die Wunde abdecken oder die primäre Wundauflage fixieren.

Primärverbände, z. B. feinporige Polyurethanschaumverbände, Hydrokolloidverbände und Superabsorber-Verbände.

Wundfüller kommen bei Unterminierungen/Taschenbildungen zum Einsatz, z. B. Alginate, Hydrofaser, Cavity-Schäume.

Sekundäre Wundverbände, z. B. semipermeable Transparentfolienverbände, Fixiervliese, (Saug-)Kompressen, feinporige Polyurethanschaumverbände.

Das Motto “viel hilft viel” gilt nicht für die Wundversorgung. Aufgrund wirtschaftlicher Aspekte gilt zur Orientierung: max. zwei Produkte plus ggf. Fixiermaterial (z. B. elastische Mullbinden, Schlauch-/Folienverbände) verwenden. Oft ist ein Verbandmittel ausreichend.

4. Unsinnige Kombinationen

Unsinnig ist der kombinierte Einsatz von Produkten, die sich in ihrer physikalischen Wirkung aufheben:

Die Feuchtigkeit von Hydrogelen wird durch Alginate, Hydrofaser, Superabsorber-Verbände, feinporige Polyurethanschaumverbände absorbiert. Begründete Ausnahmen sind in Einzelfällen abzuwägen.

Hydrophobe Wundauflagen (DACC beschichtet), die physikalisch Keime binden, sollten gemäß Herstellerangaben nicht mit Fettgazen kombiniert werden. Der Hersteller gibt bei diesen Produkten im Zusammenwirken mit Fett/Öl (z. B. Fettgaze/Salben) einen Verlust der hydrophoben Wirkung an (Abb.1).

5. Wirtschaftlicher Umgang mit Verbandmitteln

  • Wenn ein Hydrogel mehrfach benötigt wird, sollte anstelle unkonservierter Hydrogele (erkennbar an der durchgestrichenen eingekreisten 2) konservierte Produkte (z. B. unter Zusatz von Octenidin, Polihexanid, Hypochlorsäure) verwendet werden. Diese Produkte sind Wochen bis Monate nach Anbruch nutzbar. Nach dem vermutlichen Aus für die Erstattungsfähigkeit von Hydrogelen in Gelform können alternativ Hydrogelkompressen oder feuchte Wundkissen genutzt werden, die weiterhin erstattungsfähig bleiben.
  • Alginattamponaden als Einmalprodukte für kleine Wunden sind unnötig kostenintensiv, da im Regelfall große Restmengen verworfen werden müssen. Wirtschaftlicher ist der Einsatz von kleinen Alginatkompressen, z. B. 5 x 5 cm. Tamponaden sind nach aktuellen Preiserfassungen bei ähnlicher Materialmenge doppelt so teuer wie vergleichbare Alginatkompressen, die tamponiert werden können und dürfen.
  • Hydrokolloid- oder Folienverbände sollten nicht unter Kompressionstherapie zum Einsatz kommen, da sie kaum bzw. kein Exsudat aufnehmen können. Dadurch besteht ein Mazerationsrisiko von Wundrand/-umgebung. Stattdessen sollten, je nach Exsudation, Superabsorber-Verbände oder feinporige Polyurethanschaumverbände (ggf. mit Superabsorbern) genutzt werden.
  • Hydrogele, Alginate oder Hydrofasern, die zur autolytischen Wundreinigung zum Einsatz kommen, sollten nicht täglich gewechselt werden; optimal sind zwei bis dreitägige Wechselintervalle.
  • Eine Sekundärabdeckung von autolytisch wirkenden Produkten, insbesondere Hydrogelen in Gelform, sollte mit Verbandmitteln erfolgen, die diese nicht aufsaugen, z. B. sterile Folienverbände (Abb. 2a und b).
  • Bei hohem Feuchtigkeitsaufkommen sollten zeitnah transparente Hautschutzfilme (als Spray oder Applikatorstäbchen verfügbar) zum Mazerationsschutz zum Einsatz kommen. Ein solcher Hautschutz hält, je nach Produkt und Wundzustand, bis zu vier Tage. Beim Abziehen der Wundauflage wird der Film mitentfernt und ist daher regel-mäßig zu erneuern. Die maximale Verordnungsmenge über vier Wochen sollte zehn Applikatorstäbchen nicht überschreiten. Hautschutzpräparate sind nicht routinemäßig einzusetzen. Ihre Nutzung orientiert sich an der Wundsituation und ist im Einzelfall abzuwägen.

6. Potenzielle Fehlerquellen

Generell sind alle folienbeschichteten Verbandmittel semipermeabel, also atmungsaktiv, d. h. durchlässig für Wasserdampf und Kohlendioxid. Eine Überklebung mit Folienverbänden darf nicht erfolgen, da dies eine Okklusion zur Folge hat. Der Gasaustausch ist nicht mehr möglich, und es besteht ein erhöhtes Infektrisiko (Abb. 3a und 3b).

Damit eine Wundauflage optimal arbeiten kann, ist sie korrekt zu applizieren. Die Beschriftung zeigt grundsätzlich nach außen, denn “die Wunde kann nicht lesen” (Abb.4).

Bei stark exsudierenden sowie infizierten Wunden sollten keine Hydrogele zum Einsatz kommen. Diese erhöhen zusätzlich das Feuchtigkeitsaufkommen und führen zu Mazerationen sowie zu weiterem Infektpotenzial.

7. Versorgung von infizierten und infektgefährdeten Wunden

Bei infizierten Wunden sind mindestens tägliche Verbandwechsel indiziert. Es kommen zeitgemäße Antiseptika mit Octenidin oder Polihexanid zum Einsatz. Infizierte Wunden sind grundsätzlich nicht mit folienbeschichtetem Wundauflagen abzudecken, da diese ein feucht-warmes Wundmilieu erzeugen und somit die Infektion weiter fördern.

Optimal wäre der kombinierte Einsatz von Wunddistanzgittern und (Saug-)Kompressen.

Bei infektgefährdetetn Wunden können Verbandmittel, die Keime abtöten, wie Produkte mit Silber (z. B. mit der Bezeichnung Ag, silver, silber) oder mit PHMB (z. B. mit der Bezeichnung Polihexanid, AMD, “Infekt”) sowie Produkte, die Keime binden, wie hydrophobe Wundauflagen zum Einsatz kommen.

Ein solcher Einsatz ist nur im Anschluss an eine Wundreinigung erfolgversprechend, und der Kontakt zum Wundgrund muss gewährleistet sein. Laut Herstellerinformationen können die genannten Produktgruppen maximal zwischen vier bis sieben Tage auf der Wunde verweilen. Aus wirtschaftlichen Gründen sollten keine täglichen Verbandwechsel stattfinden.

Zudem ist zu bedenken, dass eine kombinierte Anwendung antiseptischer bzw. keimbindender Produkte nicht zu einem größeren Erfolg führt, denn jeder Keim kann nur einmal inaktiviert werden. Solche Versorgungen sind nicht nur medizinisch unsinnig sondern auch unwirtschaftlich (Abb. 5).

Ein Wundinfekt sollte bei konsequenter antiseptischer Behandlung nach spätestens 14 Tagen abgeklungen sein. Flüssige Lokalantiseptika sowie antiseptische und keimbindende Verbandmittel sind keine Standardprodukte zur Regelversorgung sondern speziell für infizierte Wunden entwickelt worden.

Dies ist auch unter Kostenaspekten zu bedenken. Antimikrobiell wirksame Verbandmittel sind oft doppelt so teuer, wie gleichwertige Produkte ohne Zusatzwirkung.

Quellen:

Bültemann A, Daum H, Sellmer W. Wundfibel – Wunden versorgen, behandeln, heilen, 3. Auflage, Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2018, Berlin

Protz K (2019). Moderne Wundversorgung, Praxiswissen, 9. Auflage, Elsevier Verlag, München

Sozialgesetzbuch (SGB) V: https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/

Vasel-Biergans A (2017). Wundauflagen für die Kitteltasche (Band 1 Konventionelle und hydroaktive Wundauflagen, Band 2 Spezielle Wundversorgung und Produkte für den Handverkauf), 4. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart

Wundzentrum Hamburg e. V. Standards: http://www.wundzentrum-hamburg.de/standards/

Mögliche Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert.

Autoren:

Kerstin Protz (Krankenschwester, Projektmanagerin Wundforschung CWC-Comprehensive Wound Center im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) für die Arbeitsgruppe Lokaltherapie der Initiative Chronische Wunden (ICW) e. V. (Anke Bültemann, Björn Jäger, Martin Motzkus, Thorsten Prennig, Werner Sellmer und Barbara Temme).

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