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Prozess um KrankenkassenbetrugBetrug mit Behinderten

Der Vater eines pflegebedürftigen Sohnes und die Inhaberin eines Pflegedienstes sind wegen Krankenkassen-Betruges angeklagt. Statt dem Pflegedienst soll der Vater den Sohn gepflegt haben.

Die Pflege von behinderten Angehörigen ist zeit- und kostenintensiv.

Aschaffenburg. Ein Kind wird geboren, hat eine schwere Muskelerkrankung und ist als Jugendlicher rund um die Uhr pflegebedürftig; es muss beatmet werden. Dieses Schicksal ereilte eine Familie in Unterfranken. Jetzt steht der 52-jährige Vater vor Gericht. Seine inzwischen verstorbene Frau und er sollen ihren Sohn teilweise selbst gepflegt haben – der Krankenkasse sollen sie aber suggeriert haben, dass ein Pflegedienst die gesamte Pflege übernommen habe. Die 48-jährige Pflegedienstleiterin ist wie der Vater vorm Landgericht Aschaffenburg wegen Betruges angeklagt.

Laut Anklage bekamen Pflegedienst und Familie innerhalb von vier Jahren knapp 800.000 Euro von der Kasse – davon über 200.000 Euro für in Wahrheit nicht erbrachte Leistungen. Dafür manipulierten sie Dienstpläne und Rechnungen. So sieht es die Staatsanwaltschaft. Aufgrund der betrügerischen Absicht sei der ganze Vertrag mit der Krankenkasse falsch gewesen, inklusive der wirklich vom Dienst erbrachten Pflege. Der Vater soll daher laut Anklage – neben einer möglichen Haft- oder Bewährungsstrafe – gut 700.000 Euro zurückzahlen, die Pflegedienstinhaberin knapp 80.000.

Kassen klagen über Abrechnungsbetrug

Jedes 100. Kind unter 15 Jahren war nach Daten des Statistischen Bundesamtes 2017 pflegebedürftig; fast alle wurden zu Hause versorgt. Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen kommt definitiv vor, oft in Form nicht erbrachter Leistungen. 2017 wurden die Kassen dem Bundeskriminalamt (BKA) zufolge so um 120 Millionen Euro geschröpft. Besonders hebt das BKA Betrug durch russischsprachige Pflegedienste hervor. Für einen Intensivpatienten zahlten die Krankenkassen monatlich etwa 22.000 Euro.

Der vorliegende Fall würde ins typische Muster eines Versicherungsbetruges passen, das aus Studien bekannt ist: Ein Versicherungsfall ist da und wird ausgenutzt oder übertrieben, um andere Kosten, Zeitaufwand oder psychische Leiden zu entschädigen.

„Bei pflegenden Eltern muss oft ein Elternteil die Arbeit aufgeben“, berichtet Claudia Groth, Vorsitzende vom „Kinder Pflege Netzwerk“ in Berlin. Das führe zu Verdienstausfall. Auch könne es zu Überforderung kommen. „Es gibt viele Beratungsstellen, aber die Landschaft ist unübersichtlich“, sagt Groth. Sie glaubt, dass Betrug häufiger vorkommt. Denn die Pflegedienste könnten hohe Abrechnungen stellen, aber manche Eltern meinten, sie könnten es besser.

Sind Eltern Pflegern gleichgestellt

Ob im aktuellen Fall tatsächlich ein Betrug stattfand, blieb am ersten Prozesstag am Donnerstag unklar. Ebenso wie der ganze Hintergrund. Beide Angeklagte schwiegen. Die Pflegedienstleiterin kritzelte geistesabwesend wirkend auf einem Blatt Papier; der Vater hörte mit verschränkten Armen aufmerksam zu. Ihre Sicht der Dinge und ein mögliches Motiv bleiben dem Publikum im Gerichtssaal daher zunächst unklar.

Zeugen oder Beweisanträge wurden ebenfalls noch nicht gehört. Richter, Staatsanwalt und Verteidiger führten nur ein Verständigungsgespräch, mit dem sich eine Verhandlung eventuell verkürzen lässt. „Ziel sollte eine Lösung sein, mit der alle leben können“, sagte der vorsitzender Richter. Der Fall sei tragisch genug. Schließlich ist der Sohn nicht nur immer noch rund um die Uhr pflegebedürftig. Inzwischen ist auch noch die Mutter gestorben.

Auch der Staatsanwalt gab sich kompromissbereit. Aber es gehe nicht nur darum, ob die Solidargemeinschaft der Krankenkassen-Patienten geschädigt wurde. „Sondern auch darum, ob einem Menschen die notwendige Pflege vorenthalten wurde“, so der Staatsanwalt.

Geeignetheit als Knackpunkt

Schlechte Pflege verneinten die Verteidiger vehement. Im Vertrag mit der Krankenkasse stehe nur, dass „geeignete Pflegekräfte“ beauftragt werden müssten. Was „geeignete Pflegekräfte“ sind, darüber könne man lange streiten, sagte ein Verteidiger. „Der Knackpunkt ist doch, ob Angehörige geeignete Pflegekräfte sind?“ Wenn man die Frage bejahe, falle die Anklage zusammen. Die Verteidiger forderten, das Verfahren einzustellen.

Darauf wollten sich aber weder Staatsanwalt noch Richter einlassen. „Wir reden nicht über Hilfe der Eltern beim Zähneputzen, sondern über intensive Beatmungspflege“, sagte der Staatsanwalt. Das setze eine geschulte Pflegekraft voraus, die auch auf Schwierigkeiten reagieren könne. „Wir werden hier kein moralisches Urteil darüber fällen, ob im möglichen Notfall irgendwer nicht über die nötige medizinische Ausbildung verfügt hätte“, sagte ein Richter. Es gehe um Betrug.

Ermittlung gegen weitere Personen

Die Rolle des inzwischen 28-jährige Sohnes im weiteren Prozess ist noch unklar. Offiziell war er zeitweise der Vertragspartner der Krankenkasse. Gegen beteiligte Pflegekräfte wird separat ermittelt. An bundesweit mehreren Sozialgerichten laufen mit dem Aschaffenburger Prozess verbundene Verfahren. Fortgesetzt wird der Prozess am Montag, ein Urteil könnte am 10. Oktober fallen.

Quelle: dpa/lby

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