SterbehilfeNeue Rechtssicherheit für Ärzte?

Das Bundesverfassungsgericht hat das 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt. Ärzte dürfen demnach explizit bei der Selbsttötung helfen - und doch droht in vielen Ärztekammern der Verlust der Approbation.

Betont das Recht auf Selbstbestimmung: Der Vorsitzende des Senats und Präsident des Gerichts Andreas Voßkuhle (mitte) bei der Urteilsverkündung

Karlsruhe. Das 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe verstößt gegen das Grundgesetz. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Es gebe ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, sagte dessen Präsident, Andreas Voßkuhle, am Mittwoch (26. Februar) bei der Urteilsverkündung. Das schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und dabei Angebote von Dritten – also beispielsweise Ärzten – in Anspruch zu nehmen. Der Strafrechtsparagraf 217 jedoch mache das weitgehend unmöglich, weil er „die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung faktisch weitgehend entleert“. Die Richter erklärten den Paragrafen nach Klagen von Kranken, Sterbehelfern und Ärzten daher für nichtig (Az. 2 BvR 2347/15 u.a.).

Ärzte dürfen Patienten in ihrem Wunsch nach einem selbstbestimmten Sterben somit künftig unterstützen, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen. “Sie dürfen selbst entscheiden, ob sie Menschen in dieser Hinsicht unterstützen wollen oder nicht”, stellte Dr. Henrik Herrmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein, nach der Urteilsverkündung klar. Dass Ärzte nicht zur Förderung der Selbsttötung gezwungen werden, sei zu begrüßen. Auch das Bundesverfassungsgericht hält in sechs Leitsätzen zum mehr als 100-seitigen Urteil explizit fest: “Niemand kann verpflichtet werden, Suizidhilfe zu leisten.”

Cave: Urteil widerspricht in vielen Regionen der Berufsordnung

Das Berufsrecht der Ärzte und Apotheker müsse nun entsprechend ausgestaltet werden, stellten die Richter in ihrem Urteil klar. Denn: Im Großteil der Landesärztekammern ist die Suizidhilfe berufsrechtlich verboten (s. Tabelle). Nicht zuletzt die von der Bundesärztekammer erlassene Musterberufsordnung sieht – so hatte es der Deutsche Ärztetag 2011 beschlossen – ein ausdrückliches berufsrechtliches Verbot ärztlicher Suizidhilfe vor (Paragraf 16 Satz 3). Bei einem Verstoß riskieren Ärzte berufsrechtliche Sanktionen. Ganz generell umfassen diese Warnung, Verweis, Entziehung des passiven Berufswahlrechts, Geldbuße bis zu 50.000 Euro oder die Feststellung der Unwürdigkeit zur Ausübung des Berufs – was zum Widerruf der Approbation führen kann.

“Die heterogene Ausgestaltung des ärztlichen Berufsrechts unterstellt die Verwirklichung der Selbstbestimmung des Einzelnen in verfassungsrechtlich unzumutbarer Weise geografischen Zufälligkeiten”, betonen die Richter. Sprich: Das Berufsrecht müsse so angepasst werden, dass das Recht auf Sterbehilfe nicht vom Wohnort des Betroffenen abhängt.

Darüber hinaus erfordere die Umsetzung des Urteils möglicherweise Anpassungen des Betäubungsmittelrechts, hieß es. Bislang lehnt das Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM) entsprechende Anträge auf Mittel zur Selbsttötung in den meisten Fällen nämlich ab. Dieses Prozedere wird daher wohl angepasst oder zumindest neu diskutiert werden müssen. Die SPD im Bundestag verlangte am Mittwoch Bewegung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der nach dem Sterbehilfe-Urteil “seinen Widerstand gegen die Abgabe der dazu notwendigen Medikamente aufgeben” müsse. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2017 verpflichtet das BfArM, auf Antrag Betäubungsmittel in tödlicher Dosis zur Verfügung zu stellen – was mit dem Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe jedoch einfach verneint werden konnte.

Aktive Sterbehilfe bleibt verboten

Zum Hintergrund: Paragraf 217 stellt seit seiner Einführung die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe. Nur Angehörige und „Nahestehende“, die beim Suizid unterstützen, blieben straffrei. Der Gesetzgeber wollte damit verhindern, dass Suizidhilfe-Vereine wie Sterbehilfe Deutschland oder Dignitas aus der Schweiz ihre Angebote für zahlende Mitglieder ausweiten und gesellschaftsfähig werden. Seit Inkrafttreten des Paragrafen hatten professionelle Sterbehelfer und auch viele Palliativmediziner ihre Aktivitäten weitgehend eingestellt – aufgrund herrschender Unsicherheit zwischen einer (straffreien) einmaligen Unterstützung und der „Gewerbsmäßigkeit“. Doch: „Geschäftsmäßig“ im juristischen Sinne bedeutet nicht gewerblich, sondern so viel wie „auf Wiederholung angelegt“. Auch Sterbehilfe-Vereine lassen sich ihre Dienste oft bezahlen.

Aktive Sterbehilfe – also die Tötung auf Verlangen, zum Beispiel durch eine Spritze – ist und bleibt in Deutschland verboten. Beim assistierten Suizid wird das tödliche Medikament nur zur Verfügung gestellt, der Patient nimmt es aber selbst ein.

Ärzte nehmen Urteil gemischt auf

Die klagenden Ärzte haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit großer Erleichterung aufgenommen. “Es ist ein gutes Urteil für Menschen in verzweifelten Situationen, die wir jetzt wieder ganz normal nach unserem Gewissen behandeln dürfen”, sagte der Palliativmediziner Dr. Matthias Thöns nach der Urteilsverkündung. “Ich kann meinen Patienten wieder ganz normal stark wirksame Schmerzmittel aufschreiben, ohne Angst vor dem Strafrecht haben zu müssen. Und ich kann Patienten in verzweifelten und seltenen Situationen einen Ausweg zeigen und muss sie nicht auf brutale Suizidmethoden verweisen.”

Mitklägerin Dr. Susanne Vogel aus Neumarkt in der Oberpfalz nannte die Ausführungen des Gerichts nun beeindruckend. “Das wird vieles ändern.” Das Wichtigste sei, dass man als Arzt nicht mehr vom Strafgesetz bedroht werde.

Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), hatte im Vorfeld der Urteilsverkündung jedoch vor einer Lockerung des Verbots gewarnt. “Es schützt vor einer Normalisierung des Suizids und es wirkt Erwartungen auf einen regelhaften Anspruch auf ärztliche Unterstützung bei der Selbsttötung entgegen”, sagte er. Ein solcher Anspruch stünde laut Reinhardt im eklatanten Widerspruch zur medizinisch-ethischen Grundhaltung der Ärzte. “Und er liefe den grundlegenden Aufgaben von Ärzten entgegen, Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen, Leiden zu lindern und Sterbenden bis zu ihrem Tod beizustehen.”

Nach dem Urteil ergänzte der BÄK-Präsident, positiv sei zu sehen, dass Ärzte weiterhin nicht zur “Mitwirkung an einer Selbsttötung verpflichtet” werden können. Das Urteil sei aber auch ein Auftrag an den Gesetzgeber, “zum Schutz der Selbstbestimmung über das eigene Leben (…) Mittel und Wege zu finden, die verhindern, dass die organisierte Beihilfe zur Selbsttötung zu einer Normalisierung des Suizids führt”. Dies könne auch im Strafrecht verankert oder durch strafrechtliche Sanktionierungen von Verstößen abgesichert werden.

Auch die großen Kirchen nannten das Urteil “einen Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur”. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte, mit dem Urteil werde die Selbsttötung zur selbstverständlichen Therapieoption.

Richter: Gesetzgeber kann regulieren

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie warnte vor einer Dynamik mit nicht abschätzbaren Folgen. “Beihilfe zum Suizid darf keine Alternative zu einer aufwendigen Sterbebegleitung sein”, erklärte er. In einer immer älter werdenden Gesellschaft steige der finanzielle Druck auf den Gesundheitssektor und der soziale Druck auf die kranken Menschen.

Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle betonte jedoch ergänzend zum Urteil, dass der Gesetzgeber „ein breites Spektrum an Möglichkeiten“ habe, die Suizidhilfe zu regulieren. Das Urteil nennt beispielhaft prozedurale Sicherungsmechanismen wie gesetzlich festgeschriebene Aufklärungs- und Wartepflichten. Die Zuverlässigkeit von Anbietern könne über Erlaubnisvorbehalte gesichert werden. Besonders gefahrträchtige Formen könnten auch verboten werden.

Am Mittwochabend signalisierte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) über Neuregelungen beraten zu wollen. Denkbaren seien für ihn etwa Beratungspflichten, Wartefristen oder unterschiedliche Anforderungen, wie Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des Sterbewillens nachgewiesen werden müssten.

Mit Material von dpa

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